Ein Leben zwischen Terreiro do Paco und Wasserturm

Ein Leben zwischen Terreiro do Paco und Wasserturm

Meine Reise ins Ungewisse

Silvia Maria Pinho


EUR 15,90
EUR 9,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 64
ISBN: 978-3-95840-918-7
Erscheinungsdatum: 17.12.2019
Maria ist ein aufgewecktes, portugiesisches Mädchen, das fröhlich und unbekümmert in die Welt blickt. Als jedoch ihre Eltern eines Tages beschließen, nach Deutschland auszuwandern, gerät ihre heile Welt ins Wanken …
Einleitung

Mein Name ist Maria und ich wurde 1964 in Amora/Portugal geboren.

1971 verließ ich meine Heimat, um mit meinen Eltern in Deutschland ein besseres Leben zu finden.

2017 sah ich im Kino den Film: „Portugal mon amour“ – Ein Jugendlicher erzählte darin die Lebensgeschichte seiner Eltern, die nach Frankreich ausgewandert waren, um dort eine bessere Existenz zu gründen.

So, wie ich und meine Eltern es getan hatten. Dadurch inspiriert, setzte ich meinen Traum in die Realität um und fing an meine Reise ins Ungewisse zu schreiben.

Viel Spaß beim Lesen.




Ich schreibe diese Geschichte, weil sie mein Leben geprägt hat, und niemand der heute nach Deutschland auswandert, um nach einem besseren Leben zu suchen eine Vorstellung davon hat, was wir Migranten damals durchmachen mussten.
Papa Josef kam mit 14 Jahren zusammen mit seinem Vater und seinen zwei Brüdern nach Lissabon. Eigentlich hatte er noch weitere Brüder, aber diese waren entweder kurz nach der Geburt oder später an Krankheiten und Unfällen gestorben. Seine Mutter war ebenfalls sehr früh gestorben.

In ihrer Heimat Aveiro, das liegt im Norden Portugals, hatte Großvater Schiffe auf dem Fluss, die verschiedene Waren transportierten. Für die damalige Zeit waren sie nicht reich, aber durchaus vermögend. Doch nach dem Verlust seiner Frau war er dort nicht mehr glücklich.


Einer meiner Onkel stellte damals hobbymäßig Waffenmunition her. Als er eines Tages mit einem seiner Freunde herumalberte, schoss er ihm versehentlich mit einer seiner Waffen in den Oberkörper. Aus Angst, den Mann getötet zu haben, floh Opa noch in dieser Nacht mit seinen Söhnen nach Lissabon zu seiner Schwester. Es ging alles so schnell, dass sie nur wenige Sachen mitnehmen konnten. Von da an änderte sich viel für meinen Vater Josef. Großvater suchte sich gleich Arbeit und auch Papa und seine Brüder mussten fortan hart arbeiten.
Meine zwei Onkel waren sehr unterschiedlich. Der eine hatte nur Blödsinn im Kopf und der andere war meinem Vater sehr ähnlich – verantwortungsvoll und ein Familienmensch.

Im Alter von 20 Jahren musste Josef zum Bund. Während eines Kurzurlaubs mit seinen Freunden vom Bund kam er nach Amora.

Amora war ein kleines Dorf und gehörte der Gemeinde Almada an. Der Ort liegt an einer Flussmündung des Flusses Tejo. Auf Deutsch heißt Amora übrigens Brombeere.


Sie alberten oft herum. Eines Tages schlossen sie eine Wette ab, wer als erstes ein Mädchen aus diesem Ort kennenlernen würde.

Papa lernte kurz darauf Mama kennen. Und Obwohl Sie damals schielte, verliebte er sich schnell in sie und besuchte sie so oft er konnte. Aber vorher musste er ihren Vater um Erlaubnis bitten. Ja, ja, so war das früher. Josef war ein bildhübscher Mann und niemand glaubte, dass er meine Mutti Catarina wirklich liebte. Als sie das mit der Wette erfuhr, war sie ziemlich sauer und stellte ihn zur Rede. Gott sei Dank, wendete sich alles zum Guten und sie blieben zusammen.

Mutter war auch ziemlich hübsch und fand sogar einen Arzt, der sie kostenlos operierte, sodass sie nicht mehr schielte, denn auch sie kam aus einer Familie, die nicht sehr vermögend war.

Meine Großeltern und ihre Geschwister mussten alle arbeiten. Da meine Mutter das älteste von drei Kindern war, hatte sie es am schwersten. Sie musste obwohl sie sehr klug war, die Schule sehr früh verlassen um in einer Fabrik, die Kork herstellte zu arbeiten. Meine Großeltern waren auf ihren Verdienst angewiesen. Die meisten Dorfbewohner arbeiteten dort. Portugal exportierte schon damals viel Kork – das meiste davon waren Korken für Flaschen.
Auch daheim kochte und putze sie für alle. Da das Geld oft nicht für mehr reichte, gab es oft Suppe oder Brot mit Butter und etwas Wurst. Ab und zu aßen sie frischen Fisch, den mein Onkel selbst im Fluss fischte. Fleisch war teilweise Luxus daher züchteten meine Großeltern Hühner. Wenn eines geschlachtet wurde, gab es ein Festmahl. Hungern musste keiner.
Das Elternhaus meiner Mama war mit sehr schönen alten Möbeln eingerichtet. Die Küche war klein und es gab nur einen einfachen Gasherd mit zwei Kochplatten, einen Küchenschrank und einen Tisch mit fünf Stühlen. Sie hatten zwei Schlafzimmer. In dem einen schliefen ihre Eltern und das andere teilte sie sich mit ihrer Schwester. Der Bruder schlief im Wohnzimmer auf dem Sofa. Die Wäsche wurde mit der Hand gewaschen, die Waschmaschine gab es zu dieser Zeit noch nicht.
Die Matratzen der Betten waren mit Heu gefüllt und mussten mühevoll erneuert werden. Der Boden der Wohnung war aus Holz. Meine Mutter putze ihn knieend mit einer Bürste. Es waren harte Zeiten. Staubsauger und Wischmopp gab es auch noch nicht.

Dann lernte Papas Vater eine Frau kennen, die sich gut mit seinen Söhnen verstand und sie zogen zusammen. Endlich hatte Papa wieder eine Mutter. Ich habe sie später kennen und lieben gelernt. Leider erkrankte Opa ein paar Jahre später an Krebs und starb noch bevor meine Eltern heirateten. Josef musste an seinem Krankenbett schwören, dass er Mama zur Frau nehmen würde.
Sie heiraten und Catarina hatte sogar ein richtiges Hochzeitskleid. Ihre Mutter kaufte den Stoff und ließ das Kleid nähen. Meine Eltern sahen großartig aus. Da sie wenig Geld besaßen, blieben sie vorerst bei der Stiefmutter wohnen. Papa fand dann eine Arbeit neben Mamas Elternhaus und fing dort zu arbeiten an.

Die Arbeit war nicht „ohne“, es war ein Familienbetrieb, der Produkte aus Marmor herstellte. Grabsteine, Arbeitsplatten für Küchen und mehr. Papa atmete sehr viel Staub ein und musste schwer tragen. Mama arbeitete in Schichten und auch viel. Bald konnten sie sich ihre eigene Wohnung leisten. Sie gehörte der Gemeinde und war somit etwas günstiger.
Im Januar 1964 wurde ich geboren und zwar zu Hause. Eine Hebamme half mir auf die Welt. Lustig, oder? Aber für damals normal. Die Krankenhäuser waren rar und es gab sie nur in den Großstädten.

Kaum einer konnte sich ein Taxi leisten und Transportmöglichkeiten gab es wenige.
Jene, die ein Auto besaßen, fuhren von Almada aus über die Brücke 25 de Abril nach Lissabon.
Ansonsten musste man mit dem Bus bis Cacilhas zu fahren und dann mit der Fähre über den Tejo rüber nach Lissabon.

Ich wuchs behütet auf. Wir wohnten im vierten Stock eines sehr schönen und gepflegten Hauses. Das Treppenhaus war mit schönen Blumentöpfen geschmückt. Es gab noch weitere gleich aussehende Häuser. Die Leute nannten es, „Bairro“. Es gab Spielplätze mit einer Schaukel und viel Rasen. Man kannte sich untereinander und blieb oft für ein Schwätzen stehen.
Wir wohnten im vierten Stock. Mit unseren Nachbarn schlossen meine Eltern schnell Freundschaft fürs Leben. Ich war sehr eigen was das Essen betraf und meine Mutter musste mich zum Essen zwingen. Ich heulte deswegen und sofort klingelte unsere Nachbarin Lena an die Haustür, um mich zu sich zu holen. Sie nahm mich zu sich und ich aß dort meinen Teller leer. Sie amüsierte sich köstlich darüber und meine Mutter verstand die Welt nicht mehr. Später bekam Lena eine Tochter die schlimmer war als ich.

Lenas Eltern wohnten ebenfalls im vierten Stock und waren sehr lustig und ich ging sehr gerne zu ihnen. Jeder nannte sie bei ihrem Spitznamen Sardinha. Ihre Tochter war Friseuse und arbeitete zu Hause. Ich liebte es, ihr zuzusehen wie sie den Leuten die Haare schnitt und wollte später auch Friseuse werden.


Hinter unserem Haus befand sich eine Art Supermarkt. Jeder besaß ein kleines Buch und wenn man nicht gleich zahlen konnte, wurde es dort vermerkt und abgezahlt. Ohne Zinsen, die einzige Möglichkeit für Viele, über die Runden zu kommen.

Die Joghurts gab es in Gläsern, die man sammeln und gegen Spielzeug oder etwas anderes eintauschen konnte. Meistens holte Mama Spielzeug für mich und bald hatte ich eine komplette Kücheneinrichtung für Kinder zusammen. Großartig, denn Spielsachen waren zu der Zeit ziemlich teuer.

Einmal kaufte Catarina Margarine. Sie trug mich auf dem Arm heim. Plötzlich hörte Sie mich sagen: „Mmh, lecker Mami!“ Ich war total mit Margarine beschmiert. Sie schimpfte nicht mit mir, sondern lachte und wischte mir daheim das Gesicht sauber. So war sie, meine Mama. Meine Eltern haben mir nicht mal eine Ohrfeige verpasst. Obwohl ich sie bestimmt mal verdient
hätte.

Ich besaß immer schöne Kleider und Schuhe, die ich nur am Wochenende anziehen durfte. Unter der Woche hatte ich meistens einen Kittel über meiner Kleidung an. Fast alle Kinder, die ich kannte, trugen so etwas. Eitel wie ich war, ging ich nicht einmal zum Spielplatz, um sauber zu bleiben. So war ich halt.

Papa und Mama erzogen mich sehr sozial. Ich teile immer gerne alles mit anderen Kindern. Sei es Spielzeug oder Essen. Ich war nie ein typisches Einzelkind und wenn ein Flugzeug über unser Haus flog, rannte ich auf den Balkon und bat es, mir das nächste Mal ein Schwesterchen oder ein Brüderchen mitzubringen.
Ich sehnte mich nach einer Schwester oder einem Bruder, denn ich war nicht gerne allein.

Irgendwann später, als ich bereits erwachsen war, erzählten sie mir den Grund warum ich keine Geschwister hatte. Nach einem schweren Fahrradunfall wurde bei Josef eine Erbkrankheit festgestellt, die schlimme gesundheitliche Probleme bei einem Neugeborenen verursachen hätte können. So verzichteten sie schweren Herzens auf weitere Kinder.

Meine Eltern unternahmen schon immer gerne etwas. In der Nähe gab es zum Beispiel ein kleines Lokal, in das wir oft gingen, um eine Kleinigkeit zu essen oder Freunde zu treffen. Der Besitzer hatte mich sehr gern und es gab gleich Lupinen (tremosos), wenn er mich sah.

Obwohl meine Eltern nie reich waren, fehlte es mir an nichts. Ich hatte ein eigenes Zimmer mit schönen Möbeln, wir hatten ein Esszimmer, Wohnzimmer, Bad, einen Kühlschrank und sogar einen Fernseher. Der war natürlich schwarz-weiß und empfing nur drei Programme.
Das war nicht selbstverständlich für damals, viele wohnten in sehr armen Verhältnissen.

Viele Kinder durften nicht die Schule besuchen, um zu arbeiten und damit ihre Familien finanziell zu unterstützen. Es gab keine Schulpflicht.

Einmal erzählte mir Mama, dass mein Papa mir unbedingt einen Puppenwagen kaufen wollte. Leider kostete der so viel wie ein Monatsgehalt meines Vaters. Sie bekamen deswegen Streit. Catarina meinte, „Entweder der Wagen, oder ein Monat ohne Essen und Trinken.“ Es waren wirklich harte Zeiten. Aber wie bereits erwähnt, es fehlte mir an nichts.

Tagsüber, wenn meine Eltern arbeiteten, war ich mit meinem Cousin und seiner Schwester bei einer Nanny untergebracht. In Portugal gab es zu dieser Zeit keine Kindergärten. Meine Kindheit war trotzdem sehr glücklich. Amora war damals ein kleines, sehr schönes Dorf. Es gab große Herrengüter, die noch in Besitz von Herzögen oder Grafen waren. Sie wohnten zwar nicht mehr dort, hatten aber Leute, die sie bewirtschafteten.
Besonders schön war es, abends am Ufer zu spazieren. Man sah sogar die Skyline von Lisboa.

1969 zog es meinen Onkel Antonio mit seiner Frau und ihrem Sohn nach Deutschland. Ihr Ziel war die Stadt Mannheim. In Portugal gab es wenig Arbeit und in Deutschland gab es damals viel Arbeit und wenige Arbeiter. Jeder Migrant wurde herzlich aufgenommen. Der erste, er war glaube ich Spanier, wurde sogar vom damaligen Bundeskanzler mit einem Blumenstrauß empfangen.

Mein Onkel rief oft an und erzählte uns von Deutschland. Von seiner Arbeit und den Kollegen. Es ging ihnen gut im neuen Land und sie blieben vorerst dort.

Papa erkranke und sollte laut seinem Arzt seine Arbeit aufgeben. Der Staub setzte seiner Lunge zu. Da er aber so schnell keine andere Arbeit fand, musste er bleiben. Eines Tages rief sein Bruder an und bot ihm eine Stelle in seiner Firma an. Und so machte sich Papa 1970 erstmal allein auf den Weg nach Deutschland.

Es begann für uns drei eine traurige Zeit. Er und Mama waren noch nie getrennt voneinander gewesen. Jeder Brief von meinem Papa wurde unter Tränen von Mami vorgelesen. Aber zu wissen, dass es ihm gut ging, half uns, die Tage zu überstehen, denn schließlich tat er es für uns.

Wir bekamen in dieser Zeit oft Besuch von Papas Tanten aus dem Norden. Einmal, als sie mal wieder da waren, gab es in Lissabon ein großes Erdbeben. Das Radio warnte alle davor. 7,9 auf der Richterskala. Am späten Abend begann die Erde tatsächlich zu beben. Ich war klein, kann mich aber trotzdem gut daran erinnern.
Meine Mama und die Tanten nahmen mich auf den Arm und wir gingen auf die Straße, wo bereits mehrere Leute waren.


Unser Glück war, dass das Epizentrum im Meer lag und somit keine großen Schäden in Städten und Vororten entstanden waren.

Irgendwann rief Papa an und erzählte uns von seiner Arbeit, und dass er eine Bleibe für uns gefunden hätte und uns gerne im September 1971 nachholen würde. Er vermisste uns.

Meine Mama redete lange mit mir, einem siebenjährigen Kind, das niemals aus Portugal hinausgekommen war.
„Kleines, ich und Papa wollen in einem Land namens Deutschland ein besseres Leben für uns aufbauen. Willst du mitgehen oder lieber bei Oma und Opa aufwachsen? Leider würden wir dich nur in den Ferien besuchen können.“ Meine Antwort war: „Mama ich gehe mit Euch!“ Ein Leben ohne sie war für mich undenkbar.

Also fingen wir an, zu packen und vieles zu organisieren. Meine Mutter kündigte ihre Arbeit, meldete mich von der Schule ab.
Da ich diese nur ein Jahr besucht hatte, blieben kaum Erinnerungen zurück.

5 Sterne
Ein Leben zwischen Terreiro do Paco und Wasserturm - 11.01.2020
Fatima

Ein tolles Buch. Meine Eltern und ich finden sich darin. Danke Silvia.

5 Sterne
Ein Leben zwischen Terreiro do Paco und Wasserturm - 11.01.2020

Ein tolles Buch. Meine Eltern und ich finden sich darin. Danke Silvia.

5 Sterne
Ein Leben zwischen Terreiro do Paço und Wasserturm - 03.01.2020
TONI

Ein schönes Buch. Zeigt das Leben eines Immigranten auf!Es hat sich nichts zur heutigen Zeit geändert! Glückwunsch!!

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