Die Essenz der Brombeere

Die Essenz der Brombeere

Franziska Trenkle


EUR 10,90
EUR 6,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 150
ISBN: 978-3-99064-591-8
Erscheinungsdatum: 08.07.2019
Vom sexuellen Begehren über das Hungern bis zum Horror vor Fledermäusen: In zwei Dutzend literarischen Miniaturen wirft Franziska Trenkle bemerkenswerte Schlaglichter auf menschliche Empfindungen.
LAVENDER HILL



Am ersten Abend saßen wir in einem Pub in der Nähe von Cutty Sark, aber es war noch nicht wirklich Abend, noch nicht so Abend, dass auch der Engländer ins Pub geht und so hatten wir manchen Tisch zur Auswahl und manches Bier. Es schmeckte noch ein bisschen zu sehr nach Ammoniak und ausgenüchtert und für ein Pub war die Helligkeit eindeutig zu grell, als wäre das dunkle Holz ohne Sonnenschutz. Burbury und ich bestellten ein ziemlich langweiliges Bier, ein durchschnittliches Stout, es kam in riesigen Zylindern und war knapp über eiskalt. Meinen Gedärmen war beim ersten Schluck schon klar, dass sie nun arbeiten müssten. Träge Tage ade. Dazu riss Burbury ein Päckchen Nüsse auf, die sie zuvor in einem indischen Geschäft ergattert hatte, in dem auf jedem Produkt „organic“ geschrieben stand und ich wieder nur hinterhergetrottet war und Burbury wie immer etwas gekauft hatte, ich wusste nie, kaufte sie, um ein Andenken zu besitzen, um den Ladenbesitzer nicht zu demotivieren, um sich selbst zu trösten oder um mich zu kompensieren. Vielleicht machte ihr zu kaufen einfach auch Spaß, wohingegen ich mir vielmehr einen Sport daraus machte, zu verzichten, weniger um zu sparen, sondern um der Versuchung zu widerstehen. Eines Tages wollte ich, um meine Meisterschaft im Verweigern unter Beweis zu stellen, gar mit gültigen Gutscheinen in die Geschäfte gehen und doch nichts erwerben, nichts einlösen. Einfach wieder hinausschlendern, flanierend.
Eine richtig indisch-organische Nuss nun ist selbstverständlich in Curry paniert worden, in roten und gelben Gewürzen der schärfsten Sorte, vom Salz als Grundlage ganz zu schweigen. Diese auf den Tisch rollenden Nüsse schmiss sich Burbury handvoll in den Gaumen, wie ich sie noch nie etwas sich einverleiben gesehen hatte. Rapide und mechanisch verschwanden die kugligen Dinger und vergaß Burbury sogar das Nachspülen, ganz im Gegensatz zum eher gemächlichen Ich. Solche Gier fand ich überaus fesselnd und machte Burbury zum Objekt meiner Beobachtung. Hastig essende Menschen schienen mir schon immer interessant, ich fragte mich von klein auf, was sie mit all der Zeit danach anfingen. Wie vorauszusehen beließen wir es nicht bei einem Stout, trotzdem empfing uns noch das Tageslicht, als wir aus dem Pub traten. Nun ja, es lassen sich in London außer Biertrinken noch ein paar andere Dinge anstellen, damit hatten wir kein Problem. Wir standen vor dem eiskühlen Gherkin auf dem menschenleeren Platz und fühlten uns wie auf einer Raumstation und erst später trieb ich Etymologie dahingehend, dass Gherkin, die Einmachgurke also, wohl von den deutschen Gurken abstamme, görke, görken, görkn usw. Echt schade, dass nicht mehr deutsche Wörter den Sprung ins spaßige Englisch geschafft haben.
Am nächsten Morgen musste ich mich zu Burbury ins Bett legen, da sie durchaus nicht zum Aufstehen zu bewegen war. Sie habe die ganze Nacht geschissen und hoffe nur, der Gestank sei für mich erträglich gewesen, denn wir teilten zwar nicht dasselbe Zimmer, aber doch ein- und dasselbe Bad, das schmal und länglich gewunden war, über genügend Streichhölzer verfügte sowie über ein Fenster. Ich konnte mich also nicht beklagen. Auch war mir die Angelegenheit nichts weniger als schleierhaft: Burbury hatte ihrem ebenso gehätschelten wie empfindlichen System mit den würzigen Nüssen und dem eisigen Bier klar zu viel zugemutet, während meines an allerlei Eskapaden gewohnt war und gegen solche Lappalien immun. Burbury rühmte bei solcher Gelegenheit ihre Familie, die für gewöhnlich nach Kotzan- oder Durchfällen sich gleich wieder an den Tisch setzte und den Teller leer aß. Mir kamen verschiedene Tiere in den Sinn, die ähnlich gestrickt schienen. Konnte ich sie aber in einem Londoner Keller liegenlassen und selber auf die Pirsch gehen? Auf alle Fälle konnte ich das und ich hätte Burbury auch etwas Nettes von meiner Erkundigung mitgebracht, aber sie kämpfte sich hoch und machte ihre Morgentoilette, um mich schleppend und matt zu begleiten, mich, die ich vor Energie strotzte und Marschlust. Da sie wenig lamentierte, sondern nebenher trabte wie ein Kind, das am liebsten mit dir zu Hause bleiben möchte, am zweitliebsten mit dir rausgehen möchte und am überhaupt nichtliebsten alleine zu Hause gelassen werden will, drosselte ich mein Tempo selten und verzichtete sogar auf einen Fahrstuhl, um durch einen berühmten Spiralaufgang am Ende eines Tunnels ans Tageslicht zu gelangen. Burbury, von Natur aus dürr und lang wie eine windgepeitschte Bohnenstange, legte den Oberkörper immer ein bisschen vor, um noch mithalten zu können und ich musste ihre Zähigkeit, angesichts einer Tagesration von zwei Portionen Tee, anerkennend attestieren. Abends aßen wir bei einem semi-vornehmen Italiener, nachdem uns das führerseitig anempfohlene Fish-and-chips-Pub keine Plätze mehr anzubieten hatte. Hier versuchte ich mit Burbury ein ernsthaftes Gespräch zu führen, z. B. über meine Literatur, das noch nicht einmal das Anfangsstadium überleben sollte. Kaum angetrunken fuhren wir einmal mehr mit der U-Bahn zu unserer Kellerwohnung auf dem Hügel, vorbei an so berühmten Punkten wie Paddington Station und Baker Street.
Da wir gerne U-Bahn fuhren und diesbezüglich überhaupt alles toll fanden, was wir bei einem vergleichbaren Transport-System zu Hause als massenhafte Desorientiertheit und fürchterliche Zusammengepferchtheit entschieden gebrandmarkt hätten, zog es uns bald in die vornehmen Außen-Quartiere, denn nur für diese konnte man eine Stunde sitzen bleiben von Nord nach Süd und zurück. Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für Heathrow, was die Ost-West-Achse betrifft, aber ein Flughafen schien uns das Anti-Ziel schlechthin zu sein und wir strichen es somit von der Liste. Gerne flanierten wir durch Hampstead auf und nieder und besuchten DEN Teeladen und besuchten DEN Delikatessen-Laden und besuchten DIE Vollwert-Bäckerei. Ein wenig kamen wir uns dabei vor wie im Dornröschen-Land, in das man sich verheddert und verzettelt und wartet auf den süßen Kuss, der einen herausführt. Einmal gab uns diesen Sigmund, dessen Museum in einem weniger betriebsamen Bezirk liegt, so dass die Vorgärten und Rosenstöcke jedem eine balsamische Ahnung von Frühling schenkten, egal wie viel Kälte hinter jeder Hausmauer eingeschlossen lag. Besagtes Museum entsprach uns wenig, wir empfanden es als staubig und abgeschmackt und hätten uns gar ein paar fette Schinken von Lucian Freud an den Wänden gut vorstellen können, das hätte der Muffigkeit, die über dem zerlegenen Sofa und den zertretenen Teppichen hing, weiß Gott gut getan. Die schweren Kordeln in angegrautem Weinrot, die den Bereich zum Allerheiligsten abtrennten, schwangen unwahrnehmbar wie Magnete, um nicht zu zerfallen. Wieder auf dem Weg in die Stadt beschrieben wir U-Bahn fahrend eine Karte, auf deren Vorderseite zu lesen stand: IWENTTOLONDONANDITRAINED, welche Runen mein Hirn folgendermaßen abtrennte: I WENT TO LONDON AND I TRAINED, weil mir dies von der Satzanalogie her weitaus besser gefiel als das doch eher enttäuschende: I WENT TO LONDON AND IT RAINED. Weiterhin schrieb ich auf die Karte nur, was mir gerade so einfiel und bemühte mich nicht im allermindesten, originell zu wirken, ganz im Unterschied zu Burbury, die praktisch bis in die City hinein an verkrampften Grußformeln herummachte, als würde man sich damit selbst preisgeben. Ich ließ währenddessen meine Gedanken hängen und war plötzlich alleine unterwegs in einem eher noch mittelalterlichen, vielleicht schon viktorianischen London und streunte in einem wenig urbanen Viertel an zwei aufeinanderfolgenden Tagen umher, zwischen denen ich wieder nach Hause flog, um wieder erneut anzureisen und es ist mir die Idee, statt des Tickets ein Hotelzimmer zu kaufen, einfach nicht in den Sinn gekommen. An einem dieser Tage treffe ich einen schlaksigen, etwas ungepflegten, mich nicht wirklich anziehenden jungen Mann, der sich mir aber anhängt und auch mitkommt zu meinen Londoner Bekannten, um eventuell bei ihnen zu übernachten. Diese Idee verflüchtigt sich aber wieder, da die Räume schon mit allerlei orientalischen Kissen und Ketten vollgestopft sind und er kaum Platz findet, um seine bündelweisen 50-£-Scheine zu zählen, was er tatsächlich mit Liebe ein ums andere Mal tut, auf dem Boden sich hinkniend wie ein Mohammedaner beim Gebet. Auch bei ihm fällt es uns nicht ein, dass ein Hotelzimmer doch das Naheliegendste wäre, es ist, als dürfte man an keinem fremden Ort verweilen. Burbury rüttelte mich kurz vor Covent Garden und wir stiegen aus, um puppige Souvenirs zu erschwingen.
Den nächsten Tag fuhren wir nach Whitechapel und fanden uns plötzlich in Bengalien wieder. Kaum kletterten wir aus dem Untergrundloch hoch, schwirrte uns überall diese girlandige Schrift vor Augen, verkauften indisch aussehende weißgekleidete Männer und Frauen in blau-rosa Seiden-Saris geschäftstüchtig ihre Ware. Von dieser Emsigkeit wurde man sofort fortgetragen und die Straße entlanggeschoben wie auf einer Rollbahn. Burbury hatte sich schnell sattgesehen und hielt verzweifelt nach einem Cab Ausschau, das uns zurück nach Europa bringen sollte. Es fuhr uns jedoch zu einer stillgelegten Brauerei, in der nun Kultur herrschte und Markt und in der Burbury mir eine bonbonbunte Handtasche kaufte, zu der ich mich nach langem Zögern genötigt fand. In der Regel genügte es mir festzustellen, was ich mir kaufen würde, wenn, ja, wenn ich eben kaufen würde. Ein hypothetischer Zirkel.
Bei nächster Gelegenheit kaufte ich mir einen Zwiebel-Bagel in einer gefliesten und gekachelten, leicht marode anmutenden Bäckerei, von dem Burbury auch das kleinste Zipfelchen nicht probieren wollte, manchmal aß sie bis zum Abend nichts außer Wasser, das sie immer bei sich trug im Fläschchen in der Handtasche, wie andere ihren Asthma-Spray. Nicht jedoch an dem Tag, als wir beschlossen, ein Picknick auf Hampstead Heath zu veranstalten und dafür am Vortag bereits auf jedem Markt einkauften, was uns in die Hände fiel. So hatten wir allerlei kleine Pastetchen mit Pilzen und vielem mehr gefüllt, eine Käseauswahl und nicht zuletzt eine honigsüße Melone, die alles ganz köstlich abrundete, auch wenn sie uns mit klebrigen Fingern zurückließ auf dem äußerst gepflegten Rasen knapp unterhalb Kenwood House, der so ebenmäßig gemäht war, dass darüber zu streichen mit den Fingern, diesen tatsächlich Wollust verschaffte. Auf dem Rasen knapp unterhalb Kenwood House, auf dem wir uns so breitgemacht hatten, als wären wir die Herrschaft und hießen Celia und Dorothea.
Am dritten Abend redeten wir bereits von unserem Quartier auf dem Hügel, wir wussten, Chelsea war nicht weit und Battersea lag nahe, aber wir wollten doch lieber in der Nähe bleiben und gingen in das Pub, das unserem Keller gegenüber lag und sich selbst ein Castle rühmte, obschon es viel mehr einer Geisterbahn glich. Daran störten wir uns nicht, wir bekamen unser Bier an der Bar und betrachteten verwundert die alte, übergewichtige Irre auf Ballerinas, die sich hinter und an einer Soundanlage zu schaffen machte, als könnte sie davon die geringste Ahnung haben. Aber sie belehrte uns eines Besseren, denn das angekündigte Karaoke wurde von ihr mit solcher Meisterschaft und Vollmundigkeit geführt, dass wir uns an unseren Gläsern festhielten und allen Spott ins unterste Loch verbannten. Burbury überlegte sogar, mit einem Song teilzunehmen, hatte jedoch neben all der begeistert sich vordrängenden Jugend und Halbjugend keine Chance, wahrgenommen zu werden. Die Irre kommentierte sämtliche Darbietungen vorher und während und nachher in einer Sprache, die wir frühestens nach zwei Stunden als Englisch identifizierten, nachdem wir zuvor auf bereits ausgestorbene Sprachen zurückgegriffen hatten.
Sprachlos ließ uns auch Elvis zurück, der sich ein Bier geben ließ, kurz mit der Irren verhandelte und alsbald Love me Tender sang, als wäre er es buchstäblich selbst, nur um danach ungerührt wieder hinauszuschlendern, noch auf dem Höhepunkt des frenetischen Gejohles, so als hätte er bloß seinen Hund Gassi geführt. Perplex, leicht angeheitert beschlossen wir, keine weiteren Glanzleistungen abzuwarten und gingen durch die sanfte Nacht nach Hause, beschwingt, als spürten wir weder Gewicht noch Widerstand.










ADEN - LIEBESGESCHICHTE AUF PAKISTANISCH



Diese Geschichte ist halbfiktiv. Ich meine, ich kannte Aden, aber vielleicht anders. Dies schicke ich voraus, weil alles immer wissen muss, wie stark autobiographisch dies oder jenes gefärbt sei. Diesem Voyeurismus soll damit Genüge getan werden.
Bestechend an Aden war seine Schönheit. Aden war Pakistani. Das bedeutet: schwarzblaues Haar, schwarzblaue Wimpern; schwarzblaue Wimpern finde ich zum Niederknien, selten habe ich welche in echt gesehen, geschwungen, regelmäßig angeordnet, nichts ineinander verhakt oder symmetrieaufwühlend. In der Klasse war er der Schönste. Locker. Zwar habe ich kürzlich gelesen, die Menschheit würde insgesamt schöner, aber in Adens Klasse war keine Konkurrenz sichtbar, keine männliche, keine weibliche. Er stach sie alle aus. Die sandfarbene Haut war so ruhig und eben, dass man glatt darin seinen Frieden fand. Obwohl er nur sporadisch dem Unterricht seinen Glanz bescherte, war er doch beliebt und selbstredend gern gesehen. Was er sagte, war Mittelklasse, trotzdem hingen alle an den sanften Lippen, wenn nicht die Ohren-, so die Augenpaare.
Mit Aden ein Verhältnis zu beginnen, war nicht meine Absicht und ergab sich erst, als wir uns vermehrt außerhalb der Schule trafen. Lieber im Grunde hätte ich einen schönen Bruder gehabt; es war mir nie vergönnt gewesen, mit einem Bruder Staat zu machen. Unser Umgang war sehr sanft und eigentlich immer alles von einem Lächeln begleitet. Hetze kannten wir nicht. Als wir einsahen, dass wir ebenso gut in seiner 1-Zimmer-Wohnung liegen konnten statt uns über ein Café-Tischchen hinweg anzulächeln, war die Zeit der Softdrinks vorbei. Wohnung ist bereits den Mund etwas vollgenommen. Es war eben ein Raum mit einem großen Bett, von dem aus man links in die offene Küchennische, rechts an den rechteckigen Tisch mit Holzstühlen sah, wobei alles wie zusammengesteckt wirkte, als ob von Kinderhand gefertigt, einmal im Sommerbastelkurs. Mein Blick schweifte immer Aden nach. War er in der Küche, um seinen weißen Tee zu zelebrieren, betrachtete ich ihn, dort stehend, meist nur in schwarzen Boxer-Shorts, ließ meinen Blick sich an ihn gewöhnen und es war uns beiden wortlos wohl. Sehr gerne saß ich halbaufgerichtet im Bett, seinen Bewegungen folgend oder - seinen Kopf im Schoss - uns streichelnd mit Blicken und Händen und Fingerkuppen.
Nie wären wir auf die Idee gekommen, unseren Status mit Worten zu zementieren. Es war ein Gewebe wie Organza und hätte selbst unserem Atem nicht standgehalten.
Unsere Wohligkeit, unser Aufgehobensein liefen über den optischen wie haptischen Kanal. Nicht dass wir nicht auch gesprochen hätten, wir einigten uns meist auf Englisch, das Aden leidlich sprach, in dem üblichen Asien-Stakkato; es sei denn, ich war müde und kippte ins Deutsche, ohne es herunterzufahren wie sonst gewohnt mit den Fremdsprachigen. Aden fragte nie etwas nach, begnügte sich vielmehr mit dem, was nicht an seinem Sprachniveau abperlte. Im Nachhinein fühlte ich mich bestens verstanden, unsere Sprache bestand aus einem Abtasten mit sanften, kleinen Küssen, extrem heilsam.
Nicht dass wir nie durchgedrungen wären. Wir hatten Sex. Doch war es uns beiden etwas, das wir leichthin abtaten, gelassen als marginal betrachteten. Beide empfanden wir Leidenschaft als zu heftig für unsereins. Zärtlichkeit hieß unsere Sucht. Liebkosen wäre eine zutreffende, leider Gottes absterbende Bezeichnung unseres Zeitvertreibs gewesen. Als Kleinode galten wir einander. Warum sterben solche Wörter aus?
War ich bei ihm, sprach er manchmal von Pakistan, vom Norden und Osten dieses riesigen Landes, das vor nicht allzu langer Zeit immenser noch war, klebend an den Flanken Indiens. Zeitgleich mit Aden war ich mit der Lektüre von Salman Rushdies „Midnight’s Children“ beschäftigt, diesem brillant-geschwätzigen Werk, das mich tief mitnahm in geschichtliche Verhältnisse zwischen der einen und der anderen Welt; mir die Wehen der indischen Unabhängigkeit parallel zur Agonie einer Kolonialmacht so schillernd quecksilbrig schilderte wie ein fortgesetztes Treiben in den schmalsten Gängen und Kammern des unaufhörlich pumpenden Mumbays.
Nicht dass wir ineinander verliebt gewesen wären. Ich denke, dafür standen wir uns zu fern. Doch ich konnte ihm geben, was bei der Therapeutin, zu der Aden aufgrund zunehmender Antriebslosigkeit und keimender Depressivität schlenderte, nicht erlaubt war. Ich glaube, Aden schätzte sie sehr, konnte sich bloß nicht zusammenreimen, wozu die Sitzungen dienen sollten. Mir gab er Berührungen und Berührtwerden zurück, trieb mir die Abwehr aus.
Da wir beide äußerst unpraktisch veranlagt waren, kam es keinem je in den Sinn, einzukaufen. Ich kann mich an nicht ein gemeinsames Essen mit Aden erinnern. Wir tranken immer nur seinen weißen Tee, den ich sehr lind und später nirgends mehr fand, aßen vielleicht Kekse dazu, die ich noch in der Tasche hatte oder getrocknete Aprikosen, die eigenartig aussahen, wie verschrumpelte Öhrchen, deren Aroma jedoch hochintensiv, ja, betörend war.
Weil wir uns immer spontan trafen, wenn er oder ich ein Sehnen hatte, konnte das Gebilde nicht länger als drei Monate überleben. Irgendwann schreit alles nach Struktur. Wir trieben sachte voneinander weg, verhaftet in Älterem und Bekannterem. Noch einmal verfügte der sternenhafte Zufall, dass wir uns begegneten, ausgerechnet während der Fasnacht, auf dem belebtesten Platz der Stadt. Reine Neugierde und Lebensdurst hatten mich dorthingelotst, ich bezweifelte, ob etwas davon gestillt werden würde. Gleich sah ich ihn mit seinem ruhigen Lächeln, er blickte zu mir hoch, die ich auf hohem Wagen residierte, mimosengebettet die Menge betrachtete. Er wollte mit mir spazierengehen, was ich für die erste vernünftige Idee hielt seit Beginn der Fasnacht. Sie musste von einem Ausländer stammen.
Poetischer als während des letzten Fasnacht-Abends sacht in einem Altstadt-Hauseingang zu sitzen, den vorbeieilenden Harlekins über die illuminierten Konfetti hinweg belustigt nachzusehen, uns über die ganze Seitenlänge zu berühren wie Bruder und Schwester im Märchen, eine östliche mit einer westlichen Denkart zu marmorieren gleich Zartbitterschokolade im hellen Kuchenteig, poetischer konnten wir uns kein Auseinanderdriften denken, deshalb packten wir heimlich und verschmitzt unsere Geschichte in ein Päckchen aus himbeerrotem Glanzpapier.
Die verschwindend geringen Male, die wir uns später noch in Bahnen trafen, ließen wir aneinander vorbeigleiten gleich wasserwendigen Goldfischchen.
5 Sterne
Sprachkunst mit Liebe - 17.10.2019
Bianca Bart

Ein Buch das fesselt und fasziniert. Ich lese viele Bücher, doch findet man heute selten noch so wunderbar gespielte Sprache, wie in diesem Buch. Von einem Ort zum anderen katapultiert, ohne an Essenz zu verlieren, gleichsam eine Farbigkeit der verschiedenen Welten mit welcher die Autorin alle Sinne verzaubert. Themenbereiche rund ums Leben um die Welt, erlebt, gelebt und weiter lebend durch den Leser.Freue mich auf mehr und wünsche viel Erfolg!

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