Das Geheimnis des alten Sekretärs

Das Geheimnis des alten Sekretärs

Ein wahres romantisches Zeitdokument

Christine Reh


EUR 30,90
EUR 18,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 440
ISBN: 978-3-903067-68-4
Erscheinungsdatum: 05.04.2016
Das Geheimnis eines alten Sekretärs lässt den Leser in eine längst vergangene Zeit eintauchen und ihn ergreifend an einer einmaligen, zarten Liebesgeschichte teilhaben.
Ich hatte mich in Max verliebt. Er war ein großer, schlanker, dunkelhaariger, überhaupt haariger Mann mit wunderschönen braunen, lebhaften Augen, die so schelmisch dreinblicken konnten, wenn er mich eben geneckt hatte. Wir beide verstanden uns auf Anhieb gut. Wir hatten die gleiche Wellenlänge, wie man so schön sagt. Nicht, dass unsere Liebe in irgendeiner Weise verboten gewesen wäre, nein. Es war unsere zweite Chance im Leben. Beide hatten wir, nach einer leider gescheiterten Ehe, nach einer langen Durststrecke zueinander gefunden. Bald merkten wir, dass wir in manchen Dingen des Lebens die gleichen Vorlieben teilten. Im Alltag, wenn wir uns in haushälterischen Arbeiten halfen, jeder nach seinen Fähigkeiten und Sympathien. Wenn ich daran zurückdenke, mit wie viel Mühe mein Max seine Wäsche tapfer bügelte und wie froh er war, wenn ich ihm dies abnahm und es in der Hälfte der Zeit tipp topp erledigt war. Er hingegen konnte alle meine elektrischen Probleme lösen, oder wenn mal wieder was defekt war, wusste er immer Rat oder flickte es selber. Kurz gesagt, wir ergänzten uns prima. Gemeinsam genossen wir die unerschöpfliche Schönheit der Natur, in der Freizeit, in der Einsamkeit der Berge. Gemeinsam genossen wir die Ferien mit Wanderungen an wunderschönen Stränden in der Bretagne.
Die Bretagne war es auch, die uns noch mehr zusammenschweißte. Beide liebten wir das Abenteuer in der rauen Schönheit der Natur. An den sauberen, naturbelassenen, einsamen Sandstränden nach Strandgut suchend, die salzige, frische Meeresbrise genießend und viele Schnecken und Muscheln suchend.
In Finistère, am Ende der Welt, übernachteten wir in einem Gite Rural bei Plourazel. Ein älteres Ehepaar mit wettergegerbten, gütigen Gesichtern, öffnete auf unser Läuten die rustikale, mächtige Haustür. Sie hießen uns ganz herzlich in ihrer Herberge willkommen. Sie hatten durch die Last des Alters etwas an Körpergröße eingebüßt, ihre alten Gelenke waren von der harten Arbeit gezeichnet, knorrig und schwerfällig geworden und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sie sich in ihrer ganzen Erscheinung ähnlich waren. War es, weil sie schon ein ganzes Leben miteinander geteilt hatten und unzählige Freuden und Leiden miteinander durchgestanden hatten? Wer weiß das schon.
Nach einem ganzen Tag wandern an der frischen Luft, fielen wir abends todmüde in die weichen Betten. Beim Frühstück am nächsten Morgen stand die Madame neben unserem Frühstückstisch und erkundigte sich lebhaft, ob wir gut geschlafen hätten. Wir bestätigten, das heißt, ich bestätigte das, denn der Max kann, der Sprache nicht mächtig, kaum Französisch sprechen. Die gute Wirtin mit sehr markantem, altem, faltigem Gesicht und lebhaften, leuchtenden, fast stechend blauen Augen, denen nichts entging, blieb stehen und quasselte in einer Schnelligkeit und Dauerhaftigkeit, dass ich mich wunderte, wann sie wohl mal wieder Luft holen würde. Ich bin morgens meist noch nicht so wach, dass ich solch eine Informationsflut schon so gut verdauen konnte, so wie das ausgezeichnete Frühstück. Die knusprig frischen, duftenden Brötchen waren ein Traum. Der aromatische, heiße Kaffee ein Genuss und die selber gemachte Marmelade schmeckte vorzüglich. Das Aussehen der munteren Dame und die zappelige Art schienen mich irgendwie an jemanden zu erinnern. Aber im Moment kam ich nicht drauf. Plötzlich bemerkte Max in seiner trockenen, nüchternen Art: „Die sieht aus, wie der Schauspieler Louis de Funès, findest du nicht auch?“ Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, denn er hatte wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie wollte natürlich sofort wissen, was uns da so zu amüsieren schien. Da kam ich etwas in Erklärungsnotstand. Ich wand mich heraus, indem ich sie fragte, was es denn hier mit den vielen Steinkreuzen auf sich hätte, die wir auf der Hauptstraße zur Herberge gesehen hätten. Ihr Gesicht nahm einen erstaunten, rätselhaften Ausdruck an. Ja, die seien was ganz Besonderes. Sie markieren den Weg zum größten Menhir der ganzen Bretagne. Dieser stehende „Hinkelstein“ stamme aus der Jungsteinzeit, sei über 4.000 Jahre alt und zehn Meter hoch. Der Menhir von Kerloas sei ein geheimnisvoller Ort der Kraft. Ihre hellen, blauen Augen fixierten mich und schienen sich zu weiten. Den berühmten Stein hätten schon die Kelten verehrt. Er wird regelmäßig von vielen Einheimischen und auch von Touristen besucht. Neugierig geworden, ließ ich mir den genauen Weg dorthin beschreiben.
Max war einverstanden den Kraftort zu besuchen, wie er mir mit einem verschmitzten Lächeln zu verstehen gab. Er glaube ja gar nicht an solchen Humbug, aber ein bisschen mehr Kraft könne ja nicht schaden. Auf der Hauptstraße wollte ich natürlich jedes der verschiedenen Steinkreuze fotografieren, was Max fast aus seiner Ruhe brachte. Am letzten Steinkreuz vorbei, bogen wir, dem Wegweiser folgend, in einen staubigen Feldweg ein. Zu Fuß stiegen wir den leichten Hügel empor und standen staunend vor dem riesigen Menhir. Er war aus Rosengranit, einem Gestein, welches mir an der Küste weiter im Norden schon aufgefallen war. Wir waren ganz alleine. Wir legten unsere Hände an den zehn Meter hohen Stein, ich an der einen Seite, Max mir gegenüber, genau nach der Anweisung der alten, lebhaften Dame und spürten nicht viel. Der Stein war an seiner Oberfläche von den unzähligen Händen, die ihn berührt hatten, wie abgeschliffen. Irgendwie schien der Ort doch geheimnisvoll zu sein, obwohl ich es nicht in Worte fassen konnte. Lag es daran, dass ich spürte, an einem Ort zu sein, der vielen Menschen etwas bedeutete? Längst vergangene Kulturen hatten diesen Ort schon verehrt. War es das? Ich weiß es nicht. Wie die Menschen vor über ?4.000 Jahren den riesigen Stein hierher geschafft hatten und dann noch aufgestellt, das wissen die Götter!
Ganz in der Nähe stießen wir auf ein altes, romantisches Kirchlein. Ein romanischer Bau mit kleinen Fenstern, unverputzten, rohen, dicken Steinmauern. Wunderschöne Hortensienbüsche in bunten Farben und der frisch gemähte Rasen gaben dem Ganzen einen gepflegten Anblick. Daneben war eine gemauerte Grube, welche einen Brunnen mit etwas Wasser drin darstellte. Eine Informationstafel beschrieb, dass der Brunnen heilendes Wasser beinhalte. Hier wurden früher Kinder, die nicht richtig laufen konnten, gebadet, um sie zu heilen. Max meinte, die hätten nur laufen gelernt, weil sie sich vor den Fröschen in der Grube gefürchtet hätten. Daneben wurde beschrieben, was es mit dem Kirchlein auf sich hätte. Das war früher der Treffpunkt für Liebespaare. Wenn die Verliebten heiraten wollten, genügte es, Hand in Hand betend die Kirche dreimal zu umrunden. Somit galten sie als verheiratet. Max und ich sahen uns an. „Wollen wir?“ Max, der den Rummel nicht leiden kann, fand das sei doch eine ganz gute Idee. Einen romantischeren Ort zum Heiraten gibt’s auch kaum. Wir waren ganz alleine, als wir verträumt die kleine Kirche in bedächtigen Schritten umrundeten und uns still unser Ja-Wort gaben. Ein Kuss besiegelte unseren neuen Zivilstand. Wer hätte an diesem Morgen gedacht, dass wir an diesem Tag heiraten werden! Was braucht es auch mehr, als zwei Liebende und den lieben Gott, der seinen Segen dazugibt. Auf den Fotos haben wir das kleine Kirchlein festgehalten. Auch der Brunnen mit dem Heilwasser wurde geknipst. Da merkte ich, dass die Batterie meines Fotoapparates leer war. Das war unfassbar! Ich hatte ihn erst vor wenigen Tagen aufgeladen! Ein Blick auf mein Handy genügte, um festzustellen, dass es gar keinen Empfang hatte. Max prüfte sein Handy, und wir staunten, denn er hatte Empfang auf seinem! Versuchsweise stellte ich mein Handy ganz ab und danach wieder ein. Da staunte ich, denn plötzlich hatte es wieder Empfang, aber nur für wenige Minuten. Das war aber merkwürdig. Ich wies Max darauf hin. Dieser meinte realistisch, das wird halt langsam hinüber sein. Kaputt, das fast neue Handy, das konnte doch nicht sein.
Abends saßen wir in einem kleinen Restaurant am Hafen und genossen, nur zu zweit, unseren denkwürdigen Tag mit einem feinen Essen. An der traumhaften Küste genossen wir den zauberhaften Sonnenuntergang. Da klingelte die Uhr an Max’ Handgelenk. Ein Blick darauf genügte, um festzustellen, dass sie komplett verstellt war. „Hast du meine Uhr verstellt?“, fragte er mich. „Nein, wie sollte ich auch?“ Fassungslos richtete er seine Uhr wieder. Und mein Handy schien auf rätselhafte Weise, zum Glück, wieder ganz normal zu funktionieren! Die Kraftorte scheinen doch einen merkwürdigen Einfluss auf uns auszuüben, scheint mir. Na ja, man braucht ja nicht immer für alles eine Erklärung zu finden.
Die wunderschönen Ferien in der Bretagne neigten sich rasant dem Ende zu. Bald kehrten wir wieder in die Schweiz zurück, genauer gesagt ins Zürcher Oberland. Unser Erlebnis in der Bretagne hatte aber noch eine weitere Wirkung. Das Handy war wieder in Ordnung, mein Fotoapparat nach dem Aufladen des Akkus tadellos und sogar die Uhr von Max war frei von Störungen. Aber der Kraftort hatte auch auf uns direkt gewirkt. Er schweißte uns zusammen. Unsere Beziehung wurde intensiver, ein Füreinander-da-sein, welches eine Harmonie in unser Leben brachte, etwas Wunderbares, was wir nicht für möglich gehalten hatten. Wir verbrachten immer mehr Zeit miteinander, sodass wir uns entschlossen, unsere Haushalte zusammenzulegen. Da ich in einem großen Bauernhaus lebte, zog Max schon bald bei mir ein. Da unsere Kinder bereits erwachsen waren und ausgeflogen sind, hatte ich ja Platz genug. Jahrelang waren wir beide alleinerziehende Eltern gewesen. Wir waren es beide gewohnt, Hausarbeiten neben der beruflichen Tätigkeit zu erledigen. Vom Wäschewaschen bis zum Einkaufen. Nun konnten wir uns die Arbeiten aufteilen, was ganz gut ging. Nur das Einkaufen bereitete anfangs etwas Schwierigkeiten. Beide waren gewohnt, was fehlte, schnell auf dem Nachhauseweg zu besorgen. Was wir auch beide taten. Da konnte es passieren, wenn wir uns nicht absprachen, dass jeder einkaufen ging und dann noch fast das Gleiche heimbrachte. Wir haben es einmal fertiggebracht 16 Büchsen Maissalat am gleichen Tag einzukaufen, weil beiden die Aktion acht Büchsen zu einem Sonderpreis ins Auge gestochen war. Von da an gingen wir oft gemeinsam einkaufen oder sprachen uns ab.
Der Einzug von Max ging in kleinen Etappen vor sich. Bis auf das Büro war bald alles hübsch eingerichtet. Max brachte seinen riesigen Schreibtisch in das Büro, sodass es einfach zu vollgestopft wirkte. Kurz entschlossen verfrachteten wir meinen großen, massiven Eichenholztisch mit eingelegter Schieferplatte auf den Dachboden. Die dazu gehörigen Stühle folgten. Nun war wieder Platz im Büro. Aber es fehlte irgendwie an Ablagemöglichkeit. Der alte, massive Kirschbaumkasten bot geräumigen Platz für all die Ordner, die mein Liebster anschleppte. Auch der riesengroße Schreibtisch bot manche Gelegenheit, Büromaterial sinnvoll einzuordnen. In meinem alten Haus, es war 170 Jahre alt, standen praktisch bis auf die Küche keine neuen Möbel, sondern nur Erbstücke oder mühsam selber restaurierte, alte, massive Bauernmöbel aus der Jahrhundertwende. Wenn nun was dazukommen sollte, war es oft schwierig, etwas Passendes zu finden. Früher als ich die ersten Möbel erworben hatte, waren diese ausgesprochen billig, denn keiner wollte vor 30 Jahren solche Möbel haben. Da waren die furnierten Möbel groß in Mode, die als neue Möbel oftmals so billige Bauweise ihr Eigen nannten, das neue Schubladen schon einen Spielraum von zwei Zentimetern auf beiden Seiten hatten. Natürlich konnten in den entsprechenden Möbelgeschäften auch massive Möbel erworben werden. Doch deren Preisvorstellungen waren weit über meinem Lehrlingsbudget. Mein Mobiliar stammt auch teilweise aus dem Second-Hand-Laden. Da fand sich ab und zu was zum Ablaugen, Schleifen und Restaurieren, bis es wieder fast wie neu seinen Platz bei Möbeln des gleichen Typs fand. Menschen, die mich zum ersten Mal besuchten und keinen Gefallen an dem alten, rustikalen Stil fanden, hörte ich oft anmerken, ich sei 100 Jahre zu spät zur Welt gekommen. Gut, dass die Geschmäcker verschieden sind. Mir wäre es in solch einer geschleckten Neubauwohnung, die mehr an einen Operationssaal erinnert, als an ein heimeliges Zuhause, auch nicht wohl.
In unserem Büro fehlte also ein kleines Möbelstück, welches auch als Ablage dienen konnte. An einem regnerischen Tag machte ich einen Stöberrundgang in einem gepflegten Gebrauchtwarenladen in der Umgebung. Da fand ich ein kleines Regal aus massivem Kirschbaumholz. Das würde doch prima zu dem alten Kirschbaumkasten im Büro passen, überlegte ich. Ich kaufte es jedoch noch nicht, da ich Max erst davon in Kenntnis setzen wolle. Es musste schließlich auch ihm gefallen. Wenige Tage später besuchten wir zusammen den Second-Hand-Laden. Das kleine Möbelstück stand noch da. Ich zeigte es Max und erwähnte, dass das doch gut zu dem Kirschbaumkasten im Büro passen würde. Er schaute es von allen Seiten musternd an und fand es schrecklich! Na dann halt nicht. Wir schauten uns weiter die verschiedensten Möbelstücke an, die aus diversen Epochen stammten. Die einen gut erhalten, andere wieder in erbärmlichem Zustand. Da erblickte ich ihn, einen alten, dunklen, schlichten Sekretär aus der Jahrhundertwende. Er war furniert mit einem recht dicken, gepflegten, glänzenden Nussbaumfurnier. Neugierig zog ich die oberste Schublade heraus, die übrigens kein Spiel hatte und sich trotzdem leicht öffnen ließ, und äugte hinein. Es sah tadellos aus und das nach 100 Jahren! Ich öffnete die darunter liegende Klappe, die auch als Schreibunterlage dienen konnte. Ein bekannter Geruch entströmte dem Möbelstück. Es roch wie bei meinem Großvater zu Hause. Hatte er nicht genau so einen alten Sekretär besessen? Den hat jetzt meine Cousine, soviel ich weiß. Hinter der Schreibklappe befanden sich sechs kleine Schublädchen unten und eine große, flache Schublade oben, die allesamt gut erhalten waren. Die Vertiefung über dem unteren Schubladenstock konnte als Ablage dienen. Der untere Teil des Möbels war mit drei großen Schubladen, die die ganze Breite einnahmen, ausgestattet. Um sie zu öffnen, genügte es, den kleinen, hübsch verzierten, eisernen Schlüssel abzuziehen, in die nächstbeste Schublade zu stecken und am Schlüssel ziehend öffnete sie sich ganz leicht. Die großen Schubladen waren alle leer und sauber gereinigt. Ich überlegte gerade, ob das etwas für unser Büro wäre. War es nicht etwas zu groß? Bloß weil der Großvater so einen hatte, müsste ich nicht unbedingt diesen haben, überlegte ich. Da stand Max auf einmal hinter mir, schaute über meine Schulter und meinte: „Das ist aber ein schöner Sekretär. Wäre doch toll, den im Büro zu haben, was meinst du? Passen würde er auf jeden Fall.“ Ich brauchte nicht lange überzeugt zu werden. Ich ging zur Kasse, teilte dem Verkäufer meine Wahl mit und bezahlte. Es war nicht übermäßig teuer und nun freute ich mich echt über das neu erworbene Altertum. Der nette Verkäufer half uns, das Möbelstück in den Kofferraum von Max’ Auto zu verfrachten. Alle packten mit an und fix, da war es auch schon drin. Kein Zentimeter Platz war noch übrig. Die Heckklappe ging gerade noch zu. Glücklich und gut gelaunt fuhren wir nach Hause. Dunkle, schwarze Wolken ließen ein fernes Grollen ertönen, dicke, schwere Tropfen fielen vom Himmel und bald goss es in Strömen. Ein richtiger Tag, um im Haus im Trockenen etwas zu tun. „Waschen wir unseren neuen Sekretär. Danach können wir ihn einräumen, oder was meinst du, Max?“ Er nickte.
Zu Hause angekommen, regnete es zum Glück nicht mehr. Das Ausladen zu zweit war schon ein bisschen schwieriger, aber wir schafften es. Als wir den Sekretär von der Waagrechten in die Senkrechte brachten, schien sich etwas in ihm zu bewegen. Ein rollendes Geräusch war zu hören. Was war jetzt das? Ich öffnete die Schreibklappe ein wenig und spähte durch den schmalen Spalt, der sich da bildete. Ich erblickte etwas silbern glänzendes. „Da ist, glaube ich, ein Kugelschreiber hineingerutscht, schau mal Max.“ „Tja“, meinte Max, „aber wie ist der da hineingekommen? Die Spalte ist doch viel zu eng, um da was durchzuschieben.“ Ich musste Max Recht geben. Nicht einmal einen Bleistift hätte ich durchschieben können.
Nach einer Tasse Kaffee mit den für Max obligatorischen Keksen machte ich mich daran, unser neu erworbenes Stück zu reinigen. Schublade um Schublade nahm ich raus, wischte sie mit einem feuchten Lappen sauber und legte die Stücke sorgfältig auf das Gästebett. Hinter einer der kleinen Schubladen fand ich ein Foto eines Jugendlichen mit einer Frisur, wie es in den 70er-Jahren Mode war. Ein Bündel Klebadressen mit einer Anschrift eines Hr. S. aus Langnau und einen nicht ausgefüllten Scheck auf den gleichen Namen fand ich ebenfalls. Im Internet suchte ich die dazugehörige Telefonnummer und rief dort an. Eine ältere Dame, deren Stimme durch das Alter leise und zittrig erklang, nahm ab. Der Hr. S. sei ihr Sohn, der sei aber nicht da, meinte sie. Ich erklärte ihr, dass ich ihr die gefundenen Sachen schicken werde. Was ich auch tat.
Als ich die mittlere der kleinen Schubladen herauszog, um sie zu reinigen, war darunter eine Vertiefung. Ein verstecktes Geheimfach sozusagen. Das war leider leer. Voller Forscherdrang zeigte ich Max meine Entdeckung. Er schaute nachdenklich in das leere Versteck, studierte und überlegte. Ich wollte gerade fragen, was er denn so vor sich hin studieren würde, da meinte er: „Wenn dieses kleine Geheimfach herausgehoben werden würde, müsste man theoretisch den gesamten mittleren Teil herausziehen können. Also den gesamten Schubladenstock. Es könnte sein, dass wir den Kugelschreiber darunter herausfischen können. Theoretisch müsste das möglich sein. Sieh mal, der ganze mittlere Teil wurde in das fertige Möbelstück eingeschoben. Das Geheimfach ist aber versenkt und verunmöglicht ein Herausziehen des ganzen Schubladenstocks.“ So eine lange Erklärung habe ich von meinem eher wenig gesprächigen Max noch nie gehört. Aber das Gesagte leuchtete mir ein. Äußerst vorsichtig zog er an dem versenkten Geheimfach. Dieses machte jedoch keinen Wank. Nun versuchte er den ganzen Schubladenstock vorsichtig etwas nach vorne zu verrücken. Das gelang ein paar Zentimeter. Hinter dem Schubladenstock wurde so ein kleiner Freiraum geschaffen. Ich griff hinein und tastete mich vorsichtig ins Ungewisse vor.

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