Tori

Tori

Zerbrochene Welt - Band 2

Carina Gutbrod


EUR 18,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 372
ISBN: 978-3-95840-741-1
Erscheinungsdatum: 09.05.2019
Toris geheime Welt ist enttarnt, sie sitzt im Gefängnis der Unwissenden. Doch wo ist Liam, wo ist ihr Sohn? Als Toris Akte gefunden wird, droht ihr Schlimmes. Niemand will die Wahrheit hören. Eine Flucht scheint der einzige Ausweg.
1. Kapitel
Tori

„Wie geht es Ihnen?“
„Wie immer“, gebe ich zur Antwort und schaue den Mann, der vor mir auf dem Stuhl sitzt, nicht mal mehr an. Zu oft stellt er mir die gleichen Fragen, und zu oft gebe ich immer die gleiche Antwort. Wir drehen uns im Kreis, so wie es die Planeten um die Sonne tun.
Ich beobachte den Block, der auf seinem Schoß liegt. Den Stift in seinen dürren Fingern und seinen Blick Richtung Boden. Er schreibt etwas auf, aber was? Schreibt er auf, dass ich mich wie immer fühle? Oder schreibt er mir ein neues Rezept auf, damit ich mich nicht mehr wie immer fühle? Letztendlich ist es mir eh egal.
„Warum fühlen Sie sich so?“ Seine Stimme klingt ruhig, tief, als würde er mit jemandem reden, der gleich aus dem Fenster springen will.
Ich zucke mit den Achseln, denn ich hasse es, wenn er mir solche Fragen stellt. Wir sitzen hier Stunde für Stunde, Tag für Tag, während er fast verzweifelt zu erreichen versucht, dass ich irgendwann von alleine auf die Antwort komme und von selbst erkenne, wieso ich mich so fühle. Das Problem ist nur, dass ich es schon längst weiß. Ich bin hier eingesperrt. Sitze jeden Tag in dieser kleinen Gefängniszelle. Ich werde von den Polizisten verhört. Allerdings schweige ich bei jedem Verhör. Sie denken, dass ich traumatisiert bin. Dass ich nicht mehr beim klaren Verstand bin, geschockt bin. Deshalb haben sie mir diese Stunden aufgebrummt. Ich habe keine Ahnung, wo Liam ist. Ob er sich hier irgendwo befindet oder in einem anderen Gefängnis, und ich habe keine Ahnung, ob Johnny noch lebt. Es nützt mir von daher nicht viel, hier zu sein. Ich möchte nicht hier sein und das weiß mein Gegenüber auch. Ich werde dazu gezwungen, und deshalb sitze ich diese Stunden ab, als wären es nur noch wenige Wochen bis zu den großen Sommerferien.
Mein Psychiater sieht mich erwartungsvoll an. Bereit für eine Antwort. Aber ich werde ihm auch diesmal keine Antwort geben. Er kann mir nicht helfen. Niemand kann das. An meiner Situation hat sich nichts geändert, obwohl ich hier sitze. Mein Leben hat sich geändert. Die Unwissenden haben uns geschnappt und nun sitze ich hier und rede mit einem Psychiater in einem kleinen weißen Raum, nur um nachher wieder in meine Zelle geführt zu werden. Ich bin hier, um meinen viel zu großen Schmerz zu vergessen. Um mich weniger einsam zu fühlen. Doch es nützt nichts, denn sobald ich wieder in meiner Zelle bin, kommen meine Gefühle als großer Gesteinsbrocken zurück, der mich unter sich zerdrückt.
„Mrs Madigan. Es wäre für uns alle einfacher, wenn Sie reden würden.“ Mein Psychiater sieht mich an. Ich soll reden. Wenn ich es ihm erzählen würde, dann könnte ich auf dem direkten Wege zu den Polizisten gehen. Sie verhören mich jeden Tag. Wollen wissen, was da genau passiert ist. Warum es diesen Aufstand gab. Warum eine Bombe gezündet wurde. Wer wir sind. Ich sage es ihnen nicht. Ich kann es ihnen nicht sagen. Sie würden mir nicht glauben. Sie würden meine Welt nicht verstehen. Sie würden den Hintergrund nicht verstehen. Für sie bin ich nur eine Mörderin, keine Heldin, die Leben rettet.
„Wenn ich reden würde, dann müsste ich Ihnen die Wahrheit sagen, und das kann ich nicht.“ Ich sehe ihm nicht in die Augen. Diese ganze Situation. Die Lage, in der ich mich gerade befinde, ist schlimmer, als ich jemals dachte.
„Ein Psychiater steht unter Schweigepflicht. Alles, was Sie mir hier und jetzt sagen, werde ich für mich behalten.“ Er spricht noch immer ruhig. Er behandelt mich wie ein kleines Kind.
„Hier ist mein Problem. Ich vertraue Ihnen nicht.“ Wie sollte ich auch? Natürlich hat ein Psychiater Schweigepflicht, aber auch in meiner Situation? Wir wurden vor einem Monat festgenommen. Die Leute haben sich vor der Firma die Köpfe eingeschlagen und Jackson hat das Ganze durch eine Bombe beendet. Viele haben dadurch ihr Leben verloren. Ich selbst habe immer noch Verbrennungen am Körper. Ich habe Liam erneut verloren, und von Johnny weiß ich nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt. Diese Polizisten suchen so dringend nach der Wahrheit. Der Wahrheit über meine Identität. Wer ich bin. Woher ich komme. Was dieser Aufstand zu bedeuten hatte. Sie wollen so dringend eine Antwort von mir, und mein Psychiater möchte mir weismachen, dass er alles für sich behalten wird? Dass er diese Information, die die Polizei so dringend benötigt, nicht ausplaudern wird? Es tut mir leid, wenn ich ihm das nicht glauben kann.
„Sie sollten aber damit beginnen, mir zu vertrauen. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Dafür zu sorgen, dass es Ihnen besser geht. Wie soll ich das schaffen, wenn Sie mir keine Chance dazu geben?“
„Mir wird es aber nicht besser gehen. Daran können Sie auch nichts ändern.“ Ich verschränke meine Arme vor der Brust und rutsche auf dem Stuhl etwas nach unten. Der Raum ist klein und weiß. Ich sitze auf einem Stuhl und mein Psychiater sitzt mir gegenüber. Sonst ist da nichts. Nur wir. In diesem kleinen Raum gefangen, den ich so sehr hasse. Weil ich nie etwas sage, meinen sie, ich hätte Depressionen. Sie verschreiben mir Pillen, die ich alle nicht einnehme. Vielleicht habe ich tatsächlich Depressionen. Vielleicht bin ich tatsächlich am Boden angekommen. Ich kann nicht mehr. Meine Kräfte sind verschwunden. Ich habe einen Bombenangriff überlebt. Ich wurde entführt und habe auch das überlebt. Ich habe, mit Sivan gemeinsam, unseren Kampf überlebt. Ich habe andere Menschen umgebracht. Ich habe in ihre Augen gesehen. Ich habe Louis verloren, habe Archie Leech unter die Erde gebracht. Mir wurde immer und immer wieder Gift durch den Körper gejagt. Zuletzt auch von meinem eigenen Mann. Ich dachte, er wäre tot, doch er ist nicht tot. Johnny habe ich aus den Augen verloren, genau wie Liam. Jackson hat die Bombe gezündet. Die Bombe, die weiteren Menschen das Leben gekostet hat. Ich habe erneut jemanden erschossen und einem weiteren eine Scherbe in den Hals gerammt, der daraufhin vor meinen Augen erschossen wurde.
Ich habe kein Leben mehr. Ich bin nur eine Überlebende. Eine Überlebende, die im Gefängnis sitzt, weil uns die Unwissenden gefunden haben und mit uns auch die Firma.
Vermutlich sollte ich tatsächlich mit jemandem darüber sprechen. Ich sollte jemandem meine Ängste anvertrauen. Jemandem, der mir sagen kann, wie es weitergehen soll. Wie es mit mir weitergehen soll. Ich kann meine Gefühle selbst kaum beschreiben. Ich bin ein Wrack, das zusammengeflickt werden muss.
„Mrs Madigan. Sie sind in Sicherheit“, sagt der Psychiater, und nun sehe ich ihn an. Ich sehe tief in seine Augen. Ich bin in Sicherheit. Schon komisch, dass er genau den Satz zu mir sagt, mit dem ich mich immer selbst beruhige.
„Können wir für heute Schluss machen?“, frage ich in der Hoffnung, dass er ja sagt. Seufzend schlägt der Psychiater seinen Block zu. Ohne weitere Worte steht er auf und klopft an die Tür. Zwei Polizisten treten herein. Sie legen mir Handschellen an und packen mich am Arm. Dann zerren sie mich aus dem Raum. Als wir auf dem Gang stehen, sehe ich mich um. Es ist alles leer. Das Gefängnis sieht anders aus, als ich es mir zuerst vorgestellt hatte. Das komplette Gebäude ist wie ein Viereck angelegt. Dort, wo ich stehe, kann ich zu den gegenüberliegenden Zellen hinübersehen. Vor mir befindet sich ein Geländer. Wenn ich nach unten sehe, sehe ich ein tiefes Loch, das in den Abgrund führt.
Würde ich übers Geländer springen, wäre ich tot. Ich würde in die Tiefe fallen und von der Dunkelheit verschluckt werden.
Das Gefängnis besteht aus insgesamt acht Stockwerken. Ich bin im fünften untergebracht.
Wir bewegen uns und ich werde rechts und links festgehalten. Sie behandeln mich wie eine Schwerverbrecherin. Ich kann es ihnen nicht übel nehmen. Sie kennen die Wahrheit nicht. Niemand kennt sie und dies wird auch so bleiben, solange ich schweige.
Wir gehen weiter, immer weiter. Dann sind wir vor meiner kleinen Zelle angelangt. Sie nehmen meine Handschellen ab und drücken mich hinein. Dann wird die große Stahltür zugesperrt. Ich bleibe an der Tür stehen. Ich kenne dieses Zimmer in- und auswendig. Ein kleines, ungemütliches Bett. Eine Toilette in der Ecke, dazu ein Waschbecken und ein Spiegel. An der Wand hängt ein kleiner Fernseher, der nur wenige Programme auf Lager hat. Das war es. Das ist mein Zuhause, und das bereits seit einem Monat. Frustriert lasse ich mich auf mein Bett fallen. Ich lege meine Ellenbogen auf den Knien ab und lege den Kopf in meine Hände. Ich starre den Boden an. „Wo bist du, Liam?“, frage ich mich laut. Seit ich hier bin, spreche ich oft mit mir selbst. Diese Zelle erinnert mich an das Loch. Das Loch, in dem ich verprügelt wurde und in dem ich fast gestorben bin. Ich bin wieder eingesperrt. Bin wieder allein. Ich wurde nicht entführt und ich bekomme dreimal am Tag etwas zu essen, ansonsten kann ich keine Unterschiede erkennen. Das hier ist genau so schrecklich.
Meine Wunden, die ich bei dem Aufstand erlitten habe, sind fast verheilt. An meiner Schulter befindet sich nun eine Narbe. Meine Kehle allerdings ist gut verheilt. Der Schnitt war zum Glück nicht tief genug. Was die Verbrennungen angeht … Sie werden wohl nie wieder heilen. Sie werden mich für immer an diesen schlimmen Tag erinnern, der uns alle ins Verderben gestürzt hat. So, wie ich es bereits vorausgesehen habe.
Ich würde alles aushalten, würde alles ertragen können, wenn ich nur wüsste, wo Liam ist und ob Johnny noch lebt. Erneut schiebt sich die Frage in meinen Kopf, ob ich nicht einfach die Wahrheit sagen sollte. Ob ich ihnen erklären soll, dass es nicht nur diese Welt gibt. Dass es eine andere gibt. Eine geheime Welt. Das wir normale Leute wie diese Polizisten hier die Unwissenden nenne und dass es in unserer Welt eben Tote gibt. Doch wer würde so eine verrückte Geschichte glauben? Ich habe keine Ahnung, ob sie noch weitere von meinen Leuten hierher gebracht haben. Ob noch andere meine Version bestätigen könnten. Sie haben mich in ein Polizeiauto gebracht. Genau wie die anderen auch. Aber keiner von ihnen war in meinem Auto. Wir sind weggefahren und ich musste die anderen und vor allem Liam hinter mir lassen.
Wenn wir die Existenz unserer Welt beweisen könnten, dann würden sie es vielleicht verstehen. Würden Gnade walten lassen, aber noch stehe ich alleine da. Ich habe keine Zeugen. Würde ich ihnen diese Version auftischen, dann würden sie mir noch mehr Pillen verschreiben. Ich hätte noch mehr Stunden beim Psychiater, und anstatt im Knast zu bleiben, würden sie mich in eine geschlossene Anstalt einliefern. Nein. Ich kann erst mit der Wahrheit herausrücken, wenn ich Leute gefunden habe, die hinter mir stehen. Auch wenn es nie funktionieren wird. Ich bin hier eingesperrt. Ich kann mich nicht auf die Suche machen.
Meine Gedanken werden durch ein Klopfen gestört.
„Mrs Madigan, Ihr Essen.“ Ein Wächter schiebt mein Essen durch eine Spalte. Ich nehme es entgegen und betrachte es. Zwei Scheiben Brot, Käse, Wurst, eine Flasche Wasser und zum Nachtisch ein Joghurt. Und wie üblich meine Pillen. Ich frage mich generell, was diesem Psychiater das Recht gibt, mir so etwas zu verschreiben. Was ihm das Recht gibt, mich für so verrückt und verwirrt zu erklären, dass ich so etwas nötig habe.
Ich setze mich hin und lege das Tablett auf meinen Füßen ab, dann beginne ich mein Brot zu belegen und es zu essen. Während ich das tue, starre ich die graue, trostlose Wand an. Wie konnte es nur so weit kommen? Wie konnte das alles so ausarten? Vermutlich hätten wir doch so handeln müssen, wie es Talib geplant hatte. Wir hätten die Aufstände schneller und skrupelloser beenden müssen. Hätten wir das getan, dann würde ich jetzt nicht hier sitzen. Dann wäre ich frei. Bei Johnny, bei Liam. Ich verkneife mir die Tränen. Doch es klappt nicht. Während ich das Brot in mich hineinstopfe, rollt mir eine Träne die Wange hinunter. Ich stopfe immer weiter und immer schneller, bis mein ganzer Mund voll ist. Ich schlucke das Essen runter und trinke. Nachdem ich fertig gegessen und auch den Joghurt verputzt habe, bleibt mein Blick an den Pillen hängen. Ich nehme eine in die Hand und drehe sie. Ich starre sie an. Lange. Ich habe bislang keine genommen. Habe sie immer liegen gelassen, weil ich mir sicher war, dass ich sie nicht brauche. Dass ich so etwas nicht nötig habe.
Doch dann drehe ich das Wasser auf und nehme sie in den Mund. Mit dem Wasser spüle ich die Pille nach unten, dann bleibe ich sitzen. Keine Ahnung, was diese Pille für eine Wirkung hat, aber ich hoffe, dass es eine gute ist. Ich lege das Tablett auf die Seite und lege mich hin. Ich starre die Wand an, und von einer Sekunde auf die andere sehe ich verschwommen. Ich reibe meine Augen, doch meine Sicht wird dadurch kein Stück besser. Dann beginnt sich alles um mich herum zu drehen. Es fühlt sich an, als hätte ich zu viel Alkohol getrunken. Ein Gefühl, das ich hasse. Im Allgemeinen habe ich angefangen, Alkohol zu verabscheuen. Er hat zu viel bei mir angerichtet und er hat mich Dinge tun lassen, für die ich mich so sehr hasse. Die ich selbst nicht verstehen kann.
Ich setze mich hin, in der Hoffnung, dass mein Schwindel dadurch besser wird, doch es funktioniert nicht. Im Gegenteil. Es wird schlimmer. Ich reibe meine Schläfen und drücke die Augen zusammen. Alles dreht sich und deshalb öffne ich sie wieder. Das Drehen hat nicht aufgehört. Ich spüre mein Herz deutlich unter meiner Brust schlagen. Es schlägt viel zu schnell. Doch dann spüre ich, wie mein Körper zurück auf das Bett fällt.

„Mrs Madigan“, höre ich eine Stimme sagen. Ich schlage die Augen auf und sehe einen Wächter direkt vor mir.
„Was ist los?“, frage ich verwirrt. Ich richte mich auf. Mein Kopf brummt, aber ansonsten bin ich bei klarem Verstand.
„Sie werden verhört“, sagt er. Verhört? Wie lange war ich weg? Ist schon wieder der nächste Tag angebrochen? Verwirrt schüttle ich den Kopf und starre auf die restlichen Pillen. Warum hatte das Medikament so eine starke Wirkung auf mich? Weil ich vielleicht doch nicht verrückt bin und sie womöglich gar nicht brauche? Dieser Gedanke schenkt mir etwas Trost. Vielleicht fange ich mich tatsächlich noch mal. Vielleicht bin ich tatsächlich noch normal.
Der Wächter hilft mir hoch, da ich noch zu wackelig auf den Beinen bin. Er führt mich aus dem Raum hinaus, wie er es bereits oft getan hat.
Ich stehe auf dem Flur, dann legt er mir wieder Handschellen an und führt mich weiter. Ich kenne diesen Weg in- und auswendig. Ich könnte ihn auch blind gehen, trotzdem werde ich begleitet. Wir stehen vor dem Raum, in dem ich verhört werde. Auch diesen Raum habe ich bereits viel zu oft von innen gesehen. Ich hasse ihn.
Der Wächter klopft an und die Tür geht auf. In dem kleinen Raum steht ein Tisch. Auf dem Tisch befindet sich ein Mikrophon. Dahinter sitzt ein Polizist und hält eine Akte in der Hand. Es ist dasselbe Bild wie immer. Und derselbe Polizist wie immer. Sein Name ist Bloom und auch ihn mag ich nicht. Er hat nichts Freundliches an sich und er wäre vermutlich der letzte Mensch, dem ich irgendetwas anvertrauen würde. Er ist mir seit unserer ersten Begegnung unsympathisch.

Der Wächter schließt die Tür ab und lässt mich allein im Raum zurück. Alleine mit Bloom.
„Bitte, setzen Sie sich“, sagt der Polizist und deutet auf den freien Stuhl vor dem Mikrophon. Noch immer in Handschellen tue ich, was er von mir verlangt. Ich setze mich hin und lege meine gefesselten Hände auf den Tisch.
Bloom schlägt meine Akte auf und sieht sie sich an. Er müsste meine Akte auswendig kennen. Trotzdem sieht er immer wieder hinein. Vermutlich hofft er darauf, dass heute mehr drin steht als beim letzten Mal. Dass irgendein Polizist mehr über mich herausgefunden hat. „Tja“, sagt er und sieht von meiner Akte auf. „Es steht nicht besonders viel darin.“
„Dann können Sie mich auch gehen lassen“, sage ich genervt. Ich habe diese Prozedur so satt. Der Polizist lacht mich an. „Wenn das so einfach wäre“, sagt er und steht auf. „Sie waren an einem Aufstand beteiligt, bei dem es verdammt viele Toten gab.“ Er sieht mich an.
Ich versuche ihn zu ignorieren. Ihm nicht in die Augen zu sehen, sonst könnte ich einbrechen. Mein Blick bleibt auf seinem Rücken haften.
„Also erzählen Sie mir doch bitte, wieso es diesen Aufstand gab.“
Ich zucke mit den Schultern und starre meine gefesselten Hände an. „Ich war zufällig dort“, lüge ich. „Ich habe einen Spaziergang gemacht und diese Situation beobachtet. Ich bin hin, um nachzusehen.“ Lügnerin, schreit mich mein Unterbewusstsein an, aber was soll ich auch sonst sagen?
„Mitten in der Nacht?“, fragt mich Bloom und sieht mich nun endlich an. Sofort schaue ich weg. Sonst könnte ich mich selbst verraten, wenn ich das nicht bereits schon getan habe.
Ich nicke. „Das tue ich oft, wenn ich nicht schlafen kann.“ Keine Ahnung, ob er mir diese Geschichte glaubt. Vermutlich habe ich immer noch die Hoffnung, dass er es tatsächlich tun wird.
„In welchem Beruf arbeiten Sie?“
„In keinem. Ich bin Mutter von einem dreijährigen Sohn“, sage ich und bei diesen Worten schnürt es meine Kehle zu.
„Wo ist Ihr Kind jetzt?“, fragt er weiter. Ja, wo ist mein Kind? Keine Ahnung. Diese Antwort kann ich ihm allerdings niemals geben. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo sich Johnny befindet, aber dieses Geheimnis muss ich bewahren. Ich muss eine Lüge erfinden.
„Bei meiner Mutter“, sage ich dann.
„Wo wohnt Ihre Mutter?“, fragt der Kommissar weiter und langsam wird mir diese Fragerei zu ernst. Was hat dieses Gespräch mit meinem Fall zu tun? Ich sehe da absolut keinen Zusammenhang.
„In Green“, gebe ich als Antwort. Ich hoffe nur, dass sie das nicht nachprüfen werden. Auch hier habe ich keine Ahnung, wo sich meine Eltern befinden. Green ist der einzige Ort, der mir spontan einfällt. Der Kommissar setzt sich auf den Tisch und starrt mich an.
„Sie lügen, Mrs Madigan“, sagt er und schiebt mir ein Blatt vor die Nase. Ich lasse den Blick über das Blatt gleiten. „Ihre Mutter wohnt in NewLake.“
Ich starre das Blatt an. Dort stehen die Daten meiner Mutter. Sie wohnen in NewLake? Sie wohnen nur eine verdammte Stunde von mir entfernt und ich wusste es nicht? Dieses Gefängnis selbst ist in NewLake. Ich habe schon immer überlegt, wie das funktionieren soll. Ein Gefängnis und eine Firma so nah beieinander, aber es hat funktioniert. Jedenfalls bis zu den Aufständen.
Auf jeden Fall befinden sich meine Eltern nah bei mir. Viel zu nah. Ich sehe den Kommissar an. Bin nicht imstande, etwas zu sagen. Er legt weitere Bilder vor meine Nase und ich betrachte sie auch dieses Mal.
„Wir haben uns dieses Gebäude mal genau angesehen.“ Auf dem Bild kann ich die Firma erkennen. Liams Firma. Sie ist von dem Aufstand gezeichnet, trotzdem kann man klar erkennen, dass sich in diesem Gebäude Dinge abgespielt haben, die nicht legal sind. Jedenfalls für die Unwissenden nicht.
„Wir haben viele Interessante Dinge darin gefunden.“ Er legt ein weiteres Bild vor mir hin. Meine Hände, die ich zwischen meinen Beinen habe, beginnen zu schwitzen.
„Zuerst haben wir nichts Auffälliges gefunden. Nur zerfetzte Matten und Sandsäcke. Doch dann sind wir weiter gegangen. Haben uns dieses Gebäude ganz genau angesehen.“ Der Kommissar legt ein weiteres Bild vor mir hin. „Wir haben einen Raum gefunden. Einen Raum mit den verschiedensten Waffen.

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