Die Tragikomik des Lebens

Die Tragikomik des Lebens

Das Leben ist (k)ein Gedicht

Barbara Reer-Gröning


EUR 15,90
EUR 9,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 58
ISBN: 978-3-95840-153-2
Erscheinungsdatum: 14.06.2016
Lassen Sie sich entführen in eine seltsame Welt der Alltags-Fundstücke, in der Erstaunliches passiert - teils melancholisch-bedrohlich, teils humorvoll-skurril. Ergänzt werden die Gedichte durch faszinierende Kunstwerke der Autorin.
Letzter Weg

Am Straßenrand lagen zwei ausgediente Schuh, die fühlten sich viel zu jung für die letzte Ruh.
Sie hatten noch Feuer unterm Lederhintern und wollten so gern am Meer überwintern.
Zwar waren sie ausgelatscht und höchst unbequem,
ihre Form aber modisch und gut anzusehen.
Trotz Regen, Schnee und Wind
montierten sie geschwind Räder ans Leder, das Lenkrad mit ner Feder.
Als Dach diente eine Mütze gegen Kälte und Hitze.
Sie küssten einander, starteten bei Nacht und Nebel
bis zum nächsten Gulli, da lag ein Hebel.
Der stoppte sie mitleidlos, gab keine Ruh,
ließ nur Kröten passieren, doch niemals einen Schuh.
Sie riefen laut: „Hier ist das Ende der Reise,
dann leben wir eben auf andere Weise!“
Sie rissen einander vom Kopf ihre Mützen
und sprangen in eine der schmutzigen Pfützen.
Sie waren unterm Eis im Winter verschwunden,
haben keinen Fuß mehr gedrückt und
die Haut nicht geschunden.
Die Pfütze hatte wohl einen Boden aus Teer,
dort überwinterten sie fast so schön wie am Meer.
Das Wetter im Frühling brachte es an den Tag,
was eine Freiluft-Saison so alles vermag:
Das Leder war mürbe, faltig und verschlissen.
Sie wurden in einen Container geschmissen
und reisten bequem mit dem Schiff bis Santander.
So kamen sie doch noch ans heißgeliebte Meer.
Sie taten sich mit Meeresluft vollsaugen,
die Verjüngungskur sorgt für neue Hühneraugen.

***

Menschen

Gefüllt mit Menschenbildern bin ich
verpuppt wie eine Raupe,
vielleicht auch ein fliegender Schmetterling,
der nicht weiß, was er sucht.
Gesichter trage ich in meinem Herzen,
lachende, weinende und erstarrte.
Sie verschwimmen im Nebel meiner Augen
und lösen sich auf
im Duftrausch kindlicher Erinnerung.

***

Am Feierabend unserer Welt

„Noch 10 Rupien!“,
ruft der Dabba walla mit geöffneter Hand,
ich gebe ihm 20 fürs Trinkgeld und Dosenpfand.
Das Wasser schmeckt trotz Sektkelch nach Lehm und Sand,
es ist gefüllt bis an den fleckigen Rand.

Heute treff ich einen guten alten Freund,
hab vor Stress den Termin fast versäumt.
Ich schau auf die Uhr, muss zum Flieger gehen.
Zweitausendundvierzig, neun Uhr zehn.
Langer Flug Richtung Neu-Delhi,
der Whiskey schmeckt schal,
der Blick auf den Ganges -
nur noch ein Rinnsal.

Die Stadt selbst – von den Bewohnern
auch „Logos“ genannt –
ist als „eigenartige Schöne“ den Künstlern bekannt.
Geheime Worte, in Lehm gebrannt,
versteinerte Botschaft, deren Entzifferung gelang.
Jantar Matar, Sternwarte mit Sonnenuhren,
ein Mysterium auf seltsamen Schattenspuren.
Universale Probleme liegen auf der Hand,
dieses Symposium als verbindendes Band.

Am Stadtrand wartet Toni, mein alter Freund,
schleppt seine Kamera, urlaubsgebräunt.
Er hat für die unzähligen Probleme der Welt
viel Gespür, aber zu wenig verdientes Geld.
Den Rucksack trägt er voller Ideen und Bier,
lebt glücklich im schäbigen Jetzt und Hier.
Toni fragt: „Hast Du den Antrag schon gestellt,
für den versuchsweisen Trip zur Neuen Welt?“

Kurze Zeit später, wir trinken grad unser Bier,
fliegt man uns ins Touristen-Quartier.
Gemeißeltes Schild auf gelbem Sand,
„Spare-time for the earth?“ hängt an einer Wand.
Hier soll er stattfinden, der Gedankenaustausch,
wichtige Personen im Ideenrausch,
sogar die Religionen sind allesamt vertreten,
wenn auch zum Teil mit personellen Nöten,
wollen das bisherige Weltbild verteidigen,
mit Predigten, Gesang und Blumenreigen

Politische Gäste aus der 1. Welt
treffen sich im Brahmanen-Zelt,
bekommen, falls anwesend, ein Taschengeld.
Zum Empfang gibt es Reis, nach dem kein Hund bellt,
für die Damen einen Trockenstrauß vom Blumenfeld.

Toni und ich mischen uns unter die Gruppen,
zur Eröffnung gibt’s Salat und gekühlte Krill-Suppen.
Wir lauschen mal hier, wir horchen mal dort,
fotografieren, interviewen in einem fort.
Paradiesvögel sind uns dabei die Liebsten,
lassen sich gehen bis zu den Zehenspitzen
und wollen beim genüsslich-moralischen „Singen“
nicht zum harten Kern der Dinge vordringen.
Sie lieben mehr das Schwadronieren,
um später die „bunten Blätter“ zu zieren.

Einer der Herren, ein Etymologe,
trägt einen Papier-Anzug als Herbst-Garderobe.
„Logos“ darauf gedruckt, frei interpretiert:
der Beginn der Sprache, von Gott inszeniert,
damit der Mensch sich verständigt und nicht demoliert.

Vor dem Gebäude: Händler mit duftendem Fett,
auf den Köpfen thront artistisch ein schweres Brett
bepackt mit Dosen voll feinstem Gebäck.
Beim Gedanken an die Traglast
bekommt man ’nen Schreck.

Streunende Hunde mit triefenden Augen
fletschen die Zähne, wollen Reste abstauben.
Über der gesamten Szenerie
traumhaftes Licht, gleißend wie nie.
Auch schwebt der betörende Duft
indischer Kräuter in der Luft.
So vermischen sich auf fremde Art und Weise
Heilpflanzen und Mittagsspeise.

Dann, am späten Nachmittag,
ruft der erste Redner: „Bitte zum Vortrag!“

Und an uns Reporter gerichtet:
„Außer Ihnen wurde bisher keine Presse gesichtet.
Öffentliche Statements, das müssen Sie verstehen,
sind zu diesem Zeitpunkt ungern gehen.“ Allgemeines
Gelächter der beschwipsten Machtvertreter.
Ob dies das letzte Welt-Symposium für uns war?
Ich glaube – ja!

Feierabend!!!!!!!!!!!

***

Die letzte Rose

Du lagst auf unserem gemeinsamen Grab
man hat dich abgeräumt
du warst noch nicht verblüht,
an deiner Stelle
grinst mich eine halbe Praline
fettig an;
ich habe sie probiert –
geschmacklos

***

Flüchtlingskind

Gestopfte Ärmel über zarten Kinderhänden,
verblichene Hosenbeine bergen kleine Knie.
Schnürstiefel geben keinen Halt, nie wieder –
ich bin ein Flüchtlingskind, wie sie.
Wir hatten auch ein Haus mit Garten.
Im Frühjahr blüht der Flieder duftig süß,
Verluste wiegen schweigend, Briefe müssen warten.
Postboten können nicht zum Himmel fliegen.
Die Schultüte mit roten Punkten
versöhnt nicht mit der rauen Welt,
Griffel fahren kratzend über Schiefertafeln,
nur keine Schläge mit dem Rohrstock,
Gebete unter dem Sternenzelt.
Sozialer Wohnungsbau mit Roggen-Mume,
am Stadtrand, Geistersiedlung noch,
spielt eine Gruppe Krieg mit Messern und Pistolen,
Baracken für die Alten gab es doch.
Mein Schulweg führt vorbei an wilden Gärten,
vor offenen Türen stehen sie, dunkel ist es darin,
der Kaufladen gleich hinter dem alten Bahnhof,
Groschen und Pfennige, gefunden als Gewinn.

Bisher hab ich doch nur gelitten,
geliebt hat mich noch keiner hier.
Danach vergaß ich manche guten Sitten,
vertraute auf mein Karma, glaubte Dir.
Das alte Steinbruchhaus, es schweigt,
von rauen Händen ohne Plan gebaut,
metallene Ketten für das Schwein im Keller,
genug zu essen da für alle, Bier gebraut,
doch Zwangsarbeiterhände ruhten nie.
Vampir-Schloss wird mein Haus im Dorf genannt,
der Flügelschlag der Fledermäuse klatscht an das Glas.
Den Kopf schnell unterm Federbett versteckt
spüre ich den Klang der Standuhr im Genick.
Die Wangenknochen haben mich verraten:
„So sieht hier keine aus von uns.“
Ich bin kein Flüchtlingskindlein mehr,
doch so wie ihr sein fällt mir schwer.

***

Labyrinth der verlorenen Eitelkeit

Er hat Angst vor dem automatischen Treppenhauslicht,
vor der Dunkelheit, den Stufen, der Stimme,
die immer spricht.
Er fürchtet sich vor Waffel-Zangen,
Bügeleisen und Sahne-Spritzen,
seit dem Tod der Eltern will ihn keiner mehr beschützen.

Schon lange wohnt er hier im alten Haus allein,
Bücherreihen ohne Luft und Sonnenschein.
Ab und zu spielt er mit sich selbst Verstecken
wie als Junge auf knarrenden Dielen und alten Decken.
Den Gummibaum zu gießen
ist ihm einerlei, denn die Triebe sprießen
nur im wässerigen Dünger-Brei.

Jeden Abend äugt er seine gebrauchte Zahnbürste an,
„Soll ich mir die Zähne putzen oder
poliere ich den Wasserhahn?“
Er wohnt mit seinem Stofftier Erwin im zentralen Raum.
Während er die Wand mit Bäumen bemalt,
ratzt Erwin im Gummibaum.

Irgendwann liegen sie in weichen Daunen-Kissen
im Reich von warm gewordenen Füßen.
Dort im Saal der verlorenen Eitelkeiten
kommt es schon mal zu kleineren Streitigkeiten. Mit Spielgeld
kaufen sie sich Waffel-Zangen und Sahne-Spritzen,
die ihnen bei der Kostümierung nützen. Und dann ist es endlich
so weit: die Schau macht mal wieder die Beine breit und
findet im Labyrinth – sich selbst als Kind.

***

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