Märtyrer des Herzens

Märtyrer des Herzens

Jürgen Claus Horst


EUR 16,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 468
ISBN: 978-3-99003-623-5
Erscheinungsdatum: 19.10.2011
Über 468 Buchseiten befindet sich der Leser in fortwährender Spannung einer erschütternden und tief greifenden Schilderung über einen jungen, lebensfrohen Mann, dessen hedonistischer Charakter ihn mit den schrecklichen Erlebnissen gefährlich in seine Tiefen treibt.
Mathes spendierte die nächste Runde und stellte sich vor: „Mathes, Mathes Held.“ – „Ich heiße Nicolai Senteere. Sag einfach Nick, alle nennen mich Nick!“ – „Okay, Nick.“ – „Cheers, Mathes!“ Anja war unentwegt beschäftigt damit, Getränke zu bringen und leere Gläser abzuräumen, die Gäste drängten sich um die Tische. Doch jedes Mal, wenn sie in Mathes’ Nähe kam, empfing er einen süßen Blick, der in sein Herz fuhr und unweigerlich einen halben Meter tiefer. Bis zu diesem Augenblick hatte er es nicht wahrhaben wollen, nun plötzlich wurde ihm klar, dass er sich entsetzlich verliebt hatte. Aber er liebte doch Susanne! Nein, er liebte jetzt Anja … oder Susanne … oder doch Anja. Es konnte nicht sein, dass er beide liebte. Er liebte beide! Ist es möglich, zwei Frauen gleichzeitig zu lieben und leidenschaftlich zu begehren? Verdammt noch mal, ja, es ist möglich. „Scheiße“, dachte er, „ich bin verrückt!“ Er musste seine Gedanken beiseiteschieben, sie beunruhigten ihn zu sehr. Sein Blick schweifte umher, so als würde er nur mit beiläu­figem Interesse die ausgelassene Stimmung der Tanzenden oder Lachenden verfolgen, trotzdem suchte er jemand Bestimmten: Pomadezopf. In der Ecke des Flipperautomaten lehnte Gerd, eng umschlungen mit der Wasserstoffblonden. In Anbetracht ihres immerwährend bewundernden Augenaufschlages konnte sich Mathes belustigt vorstellen, welche Heldengeschichten ihr Gerd aus seinem Leben wohl erzählte. Als dieser Mathes’ Blick kurzzeitig auffing, schüttelte er unmerklich den Kopf. Mathes begriff, dass Gerd gleichfalls erfolglos nach dem Holländer Ausschau gehalten hatte und dieser mit Sicherheit nicht da war. Seine Augen wanderten weiter zu dem Tisch am Fenster, der von jungen Leuten umringt war – wohl aus dem Dorf. Einer führte das Reden an, worauf die anderen in grölendes Gelächter ausbrachen.
An den Tischen links der Theke wurde in kleinen Grüppchen geredet oder gewürfelt. Vereinzelt saßen Liebespärchen an ihnen, die Gesichter im romantisch flackernden Licht kleiner Tafelkerzen. Auch mehrere Soldaten, die Mathes flüchtig kannte, feierten und tranken sich in ihr Wochenende. Die meisten umgarnten die wenigen kokettierenden ansässigen Mädchen auf der Tanzfläche wie läufige Hunde. Mathes versuchte unter den Niederländern vielleicht den Zweiten auszumachen, den sie im Hausgang belauscht hatten. Auch er schien nicht anwesend zu sein. Mathes verwandte seine Zeit darauf, sich Gesichter einzuprägen, wobei er fortwährend durch die faszinierend schönen Beine von Anja abgelenkt wurde, die in einer silbrigen, hautengen Satinhose und weißen, hohen Damenschuhen vortrefflich zur Geltung kamen. Ab und zu konnte er das Glitzern eines zarten Kettchens an ihrer Fußfessel wahrnehmen. Es schien ihm, als beginne jeder Zentimeter, den ihr Fuß berührte, zu knistern. Nach einer Weile kam Gerd herüber, die Blonde im Arm. Mathes konnte sich nicht mehr erinnern, ob sie ihm ihren Namen genannt hatte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie etwas größer war als Gerd. Er ärgerte sich darüber, dass sie es nicht für nötig gehalten hatte, ihn vorher schon zu begrüßen. „Junge, vergiss unser Interview nicht! Ich habe Sylvia erzählt, dass wir heute noch mal in die Kaserne müssen, um die Wachabnahme zu überprüfen. Sie sieht ein, dass sie da nicht mitdarf, und wird mich sehnsüchtig erwarten. Stimmt doch, Mathes, oder?“ – „Ja, er hat recht, und es wird nicht lange dauern.“ Gerd hatte ihn von dem Problem befreit, sich eine Ausrede für die Mädchen zu überlegen. Obwohl es ihm widerstrebte, Anja anzulügen, war diese kleine Ausrede wohl das Beste. Allerdings hielt er Anja nicht für so blöd, zu glauben, zwei unbedeutende Soldaten wie sie würden Wachabnahme halten. Er musste schmunzeln über Gerd, der in Syllis Augen wohl längst ein großer Kriegsheld war.
Bereits gegen 21.30 Uhr brachen sie auf, damit genügend Zeit blieb sich zu verstecken. Anja war etwas verwundert gewesen, doch hatte sie nicht nachgefragt, als Mathes ihr erklärte, sie müssten nochmals weg. Die Rechnung wollte sie derweil offen lassen, darauf hatte sie bestanden. Vermutlich wäre sowieso bis mindestens drei Uhr geöffnet, da keine Sperrstundenzwänge bestanden. Mathes nahm sich fest vor, schnellstmöglich zurück zu sein, und ihr Vorhaben kam ihm plötzlich reichlich blöd vor. Bestimmt war alles ganz in Ordnung, was gingen ihn die nächtlichen Gepflogenheiten anderer an? Doch dann wieder sah er die Waffe in der Hand des Fremden vor sich, eine ungute Vorahnung keimte in ihm und die sollte ihn nicht getäuscht haben.

Kurze Zeit später duckten sie sich wieder in ihr Versteck. Dabei gewährten ihnen die Kisten, die wohl irgendjemand weiter aufgetürmt hatte, zusätzliche Deckung. Der Himmel war von Wolken verhangen und leichter Nieselregen hüllte die im Laternenlicht einsam gelegene Gasse in einen ewigen trüben Nebel. Nur ein einziges Fenster in dem verwachsenen Hinterhof spendete matten Lichtschein – das Fenster des ersten Stockes, welches Mathes schon einmal näher inspiziert hatte. „Alles verlassen und unbewohnt“, flüsterte Gerd. Mathes nickte: „Kann uns nur recht sein.“ – „Willst du?“ – Mathes ergriff überrascht den Flachmann, den ihm Gerd entgegenhielt: „Du hast auch wirklich an alles gedacht, merci.“ – „Klar, Kamerad, gehört doch laut Göbbel zur Grundausstattung im Einsatz.“ Mathes lachte leise und nahm einen kräftigen Zug. Er genoss das wohlig warme Gefühl, das ihn durchströmte, setzte die Flasche nochmals an, behielt den Asbach – vermutlich war es Asbach – etwas in der Mundhöhle, gurgelte, atmete seinen scharfen Geruch durch die Nase und ließ ihn langsam hinunterrinnen. „Beinahe ein Liebesakt“, dachte er und verstand diejenigen, die in ihrer Verzweiflung Erfüllung fanden in einer Flasche Alkohol. Zärtlicher, betörender, tückischer, tödlicher Rausch! Anja berührte seine Sinne und er reichte Gerd die Pulle zurück. Er wollte nicht trinken, nein, er wollte alsbald wieder bei ihr sein in dem Pub. Sie ansehen, nur ansehen … diesen schmutzigen Hinterhof vergessen. Er kam sich sehr töricht vor.
Gerd stupste ihn an: „Da … es sind zwei!“ Sie hatten niemanden kommen hören, jetzt standen plötzlich zwei Personen im Torbogen, zum Greifen nahe. Den Umrissen nach nur eine männliche Gestalt. Er trug einen Pullover oder ein Sweatshirt mit Kapuze. Den rechten Arm hatte er um die zweite, schmale Person gelegt. Ein Mädchen mit langen, glatten Haaren, den Kopf gesenkt, sodass sie über ihr Gesicht fielen. Gekleidet war sie in einen viel zu großen Trenchcoat. Der Mann blickte nochmals hastig um sich, dann überquerte er den Hof. Er stieß einen kurzen schrillen Pfiff aus und wartete dann an der alten Holztür. Die Klingel schien nicht zu funktionieren, das musste er wissen. Sie würde weiterhin unbeobachtet und unbetätigt in ihrem verblichenen, von Staub bedeckten Messingrahmen schmachten. Es dauerte nicht lange, bis die Tür sich einen Spalt breit öffnete. Sie konnten ein leises, nicht zu verstehendes Flüstern vernehmen. Eine pechschwarze Katze schlich über das von Unkraut verwilderte Pflaster. Aufmerksam geworden, blieb sie stehen. Die Ohren steil aufgestellt und eine Pfote angehoben, richtete sie ihre Sinne auf den Hauseingang. Ihr senkrecht stehender Schwanz vibrierte elektrisiert in der Spitze und ließ ihre Angespanntheit erahnen. Eine unmerkliche Bewegung von Gerd genügte, dass sie herumschrak. Sie starrte zu ihrem Versteck zwischen Mülltonnen und Kisten. Trotz der Dunkelheit funkelten die Tieraugen wie zwei glühende Diamanten. Endlich erkannte sie ihre unsichere Position und beendete die verräterische Habachtstellung. Ohne das kleinste Geräusch zu verursachen, flüchtete sie in einen schützenden Kellerschacht. Die schwere Holztür schnappte metallisch klickend ein. Allein geblieben, wandte der Fremde sich um, schob einen Briefumschlag oder eher eine schmale Mappe unter sein Oberteil und verschwand mit schnellen Schritten durch den Torbogen auf die Straße.
Immer noch erhellte das Licht in dem Fenster matt die Fassade. Mathes flüsterte: „Pass auf, dass er nicht noch mal kommt, ich steige auf das Gerüst … muss wissen, was hier abläuft! – Schnalz kurz mit der Zunge, falls jemand auftaucht …“ – „Okay, Flieger Huber hält die Stellung. Mach bloß nichts Unbedachtes! Ich glaube, wir stochern gerade in einem Wespennest.“
Mathes huschte über den Hof. Gleich darauf rückte er eine vergessene Weinkiste unter den Aufbau. Mit einem Klimmzug erreichte er die Plattform. Er wusste, dass er bedenkenlos auftreten durfte, da das von Sand und Moos bedeckte Bretterwerk jedes Geräusch dämpfen würde. Vorsichtig erhob er sich aus seiner kauernden Stellung und blickte in das von der Stehlampe hell erleuchtete Zimmer. Eine Hälfte des Flügelfensters verdeckte wieder der nikotingelbe Vorhang. Doch ließ sich der gesamte Raum lückenlos durch die andere Hälfte überblicken. Das Mädchen lag halb nackt auf der Pritsche. Die zwei Knöpfe ihrer verschmutzten Stonewashed-Jeans waren geöffnet, der Reißverschluss heruntergezogen. Das weiße Höschen war zu sehen. Ihre junge Brust wurde nur knapp von einem roten Trägertop bedeckt. Mathes schätzte sie auf kaum älter als sechzehn Jahre. Sie hielt die Augen geschlossen, ihr Kopf lag seitlich auf einem Kissen. Pomadezopf hatte seinen Stuhl gedreht, saß, die Arme auf die Lehne gestützt, mit dem Rücken zum Fenster und blickte auf das Mädchen herab. Eine Zigarette qualmte zwischen seinen Fingern. Seine weiße Jeans stülpte sich über grobe Cowboystiefel, die Beine hatte er angewinkelt um die des Stuhles gelegt. Sein Oberkörper war nackt. Eine Tätowierung umschloss ringförmig seinen linken Oberarm. Sie stellte das Geflecht von Stacheldraht in Rosenblüten dar. Das glänzende glatte Haar hielt ein rotes Frotteeband zusammen. Ganz ruhig saß er da und sah auf sie hinunter. Eine Mathes ewig erscheinende Zeit verstrich und fast wollte er schon wieder seinen Platz verlassen, als Pomadezopf aufstand und den Stuhl schroff zur Seite stieß. Er stand jetzt breitbeinig direkt vor der Pritsche. Das Mädchen bewegte sich nicht. Zweimal schlug er ihr mit dem Handrücken grob ins Gesicht. Mathes zuckte zusammen. Sie verzog schmerzhaft das Gesicht, öffnete die glasigen Augen, wimmerte. Er lachte: „Los, kleine Nutte, wir werden uns jetzt etwas amüsieren!“ Sie blickte verängstigt zu ihm hoch, kniff die Augen zusammen, schien ihn nicht richtig sehen zu können. Es konnte wegen des hellen Lichts sein, doch hatte Mathes einen anderen Verdacht. Der Rohling streichelte beinahe zärtlich ihre Wange. Etwas Blut lief ihr über die Unterlippe. Seine Hand glitt hinab zu ihrer jungfräulichen Brust. Mit einem Ruck riss er ihr Oberteil herunter. Instinktiv wollte sie die Arme schützend da­rüberlegen, doch er hielt ihre schmalen Gelenke mit einer Hand zusammen und schlug ihr mit der Rechten nochmals heftig ins Gesicht. Dann ergriff er die Whiskyflasche, die neben dem Bett gestanden hatte, und schüttete ihr hämisch lachend die bernsteinfarbene Flüssigkeit ins Gesicht. Ihre Hände waren noch immer gefesselt von seinen Pranken und ein Knie hatte er in ihren Bauch gestemmt. Sie schrie vor Schmerz, als der brennende Alkohol in Augen, Nase und blutende Lippe drang. Er lachte bösartig, drückte ihre kraftlosen Arme nach hinten. Brutal betatschte er den aufkeimenden Mädchenbusen und drückte die zarten Knospen, dass sie sich gequält aufzubäumen versuchte. Der Branntwein hatte sich mit den Tränen vermischt, die sie verzweifelt herausschluchzte. Gerade als er ihr erbarmungslos die Hose herunterzureißen versuchte, fuhr er jäh herum.
Lautstark krachend schlug das Fenster auf, die Scheibe zersprang klirrend, der morsche Rahmen gab unter der Last seiner Jahre nach. Mit den Beinen voraus schwang sich Mathes über den schmalen Sims und erreichte leicht strauchelnd den Boden. Aus der Hocke heraus nützte er den Schwung, sprang die zwei Schritte durch den Raum, schmetterte Pomadezopf die rechte Faust in das glatt rasierte Gesicht und spürte, wie der Knochen der Nase unter dem Hieb brach. Sein gesamtes Körpergewicht hatte in dem Schlag gelegen. Unbändige Wut hatte ihn zuvor erfasst bei dem Anblick des grausamen Mädchenschänders, und ohne noch groß auf Deckung zu achten, hatte er seine Möglichkeit gesucht, das Fenster zu öffnen. Vergeblich. Schließlich hatte er kurz entschlossen die Verstrebungen des Gerüstes umfasst, war mitten in das Fensterkreuz gesprungen und dann mitsamt dem Rahmen im Zimmer untergetaucht. Instinktiv wich der Holländer dem nächsten Hieb aus. Die Liege fiel aufgrund des Ungleichgewichts in sich zusammen. Mathes’ Fuß verdrehte sich schmerzhaft unter dem Metallgestell. Ein paar Sekunden nur benötigte er, sich zu befreien, wenige Sekunden zu viel. Er nahm nur noch den Schatten der leeren Whiskyflasche schemenhaft wahr. Die bedrohliche Gefahr zu spät erkennend, konnte sein Kopf nicht mehr ausweichen. In einem dumpfen Schlag traf sie ihn an der Schläfe. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Blendendes Licht aus einer Schwärze heraus; grelle, unzählige Sterne rasten auf ihn zu. Das ganze Farbspektrum wechselte in Bruchteilen von Sekunden. Dieser irrsinnige Himmel drehte sich um Mathes wie ein rasendes Karussell. Er versuchte zu atmen, es drängte ihn zu husten, doch seine Kehle war wie zugeschnürt, und es schien unmöglich zu sein. Es war unmöglich!

02.08.2011Märtyrer des Herzens

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