Die Vergeltung der Nemesis

Die Vergeltung der Nemesis

P.R. Mosler


EUR 14,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 396
ISBN: 978-3-948379-36-0
Erscheinungsdatum: 11.02.2020
Zwei Männer im Kampf gegen ein Drogenkartell. Korrupte Polizisten, Bombenattentate und Gefangenschaft stehen auf der Tagesordnung. Kann Gerd Bach den gut getarnten Drogenschmuggel aufdecken? Wird er seinen Freund vor der kaltherzigen Verbrecherin retten?
1 Prolog
März 2005

Mit einem lauten Knall meldet sich die erste Explosion an. Der Boden bebt. Es folgen weitere Explosionen. Insgesamt fünf. Der ohrenbetäubende Lärm übertönt alle Geräusche. Die Erschütterungen erfassen nicht nur das wunderschöne zehnstöckige Bauwerk, sondern weiten sich rundum über den Boden aus.
Die Druckwelle lässt die Scheiben splittern. Glasscherben schießen wie messerscharfe Nadeln durch die Luft. Backsteine brechen aus den Hauswänden des exklusiven Hotels. Lange Risse winden sich immer tiefer durch das Gestein. Metallteile, Holz und Steine regnen wie todbringende Geschosse Richtung Erde. Schächte und Fahrstühle reißen auseinander, werden zu tödlichen Fallen. Treppen verlieren ihren Halt, stürzen in schweren Blöcken zur Erde.
Entsetzte und ängstliche Menschen laufen schreiend davon. Viele sind verletzt, mehr oder weniger schwer. Doch sie alle versuchen, sich aus dem einstürzenden Hotel zu retten. Immer wieder werden die Davonrennenden von herabstürzenden Teilen getroffen. Angst- und Schmerzensschreie mischen sich mit dem Getöse. Überall zwischen den Trümmern findet man Verletzte. Auch die Leichen derer, die sich nicht vor der Zerstörung retten konnten.
Bis zu diesem Zeitpunkt versuchen die Menschen noch, ihre Familien zu finden, Kindern und Alten zu helfen, in der Hoffnung, ihre eigenen Angehörigen unter den Lebenden zu entdecken.
Doch dann beginnt das Rumoren, erst langsam und leise, aber bald schon immer lauter werdend. Das gesamte Haus beginnt zu schwanken.
Wer jetzt noch nicht aus dem Gebäude heraus ist, rennt um sein Leben. Es wird immer lauter, das Rumoren geht über in ein nicht enden wollendes Knacken und Knirschen. Der Lärm des einstürzenden Gebäudes übertönt einfach alles. Dann knicken die Wände, eine nach der anderen, ein. Wie ein Kartenhaus stürzt das Gebäude in sich zusammen. Alles bricht auseinander. Kein Stein hält mehr auf dem nächsten. Eine riesige undurchsichtige Staubwolke bildet sich. Zehntausend Tonnen Bauschutt verteilen sich im Umkreis des Hotels in Spaniens schöner Hauptstadt.
Noch lange nachdem alles vorbei war erfüllt dicker Rauch, der Geruch von Tod, Blut und Verbranntem die Umgebung.

Das ganze Szenario hat weniger als zehn Minuten gedauert. Die ersten Einsatzfahrzeuge der Guardia Civil und der Feuerwehr erreichen die Unglücksstelle lange nachdem alles vorbei ist. Mehrere Ambulancias erscheinen am Unfallort. Sie beginnen sofort mit der Hilfe für die Verletzten. Unterstützt werden sie durch die Spezialeinheiten der Cuerpo Nacional de Policía, die das Gebäude auf der Suche nach Verletzten vorsichtig durchkämmen.
Nicht nur die Schwerverletzten müssen versorgt werden, auch die Überlebenden, nicht oder nur gering verletzt, brauchen medizinische und psychische Unterstützung.
Jetzt beginnt die grausige Arbeit für die Helfer. Nämlich die Suche nach den Toten. Systematisch muss das ganze Areal abgesucht werden. Zentimeter für Zentimeter. Die Leichen müssen geborgen, alle Teile gesichtet und dokumentiert werden, für eine möglichst baldige Identifizierung.

Sie kannten die Schwachstellen des Gebäudes, wussten genau, wo die Sprengsätze angebracht werden mussten, um größtmöglichen Schaden anzurichten.
Die Attentäter haben sich ganz gezielt dieses Vier-Sterne-Hotel ausgesucht. Durch die sechs großen Tagungsräume, den Wellnessbereich und die vielfältigen Entspannungsattraktionen war es zu jeder Zeit vollständig ausgebucht. Dreihundertzweiundvierzig Zimmer boten Platz für rund sechshundertachtzig Gäste. Die Tagungsräume wurden von den umliegenden Firmen angemietet. Zum Zeitpunkt des Einsturzes rechnet die Polizei mit einer Zahl von eintausend bis tausendzweihundert Menschen, die dort beherbergt wurden, sowie dreihundert Hotelangestellten. Nicht einmal die Hälfte hat überlebt.
An diesem Abend geht ein Bekennerschreiben bei der spanischen Polizei ein.

Die Zeit ist gekommen!
Der Startschuss ist gefallen. Endlich werden unsere Ziele verwirklicht. Wir haben stillgehalten und geschwiegen. Doch jetzt brechen wir die Waffenruhe. Erstes Blut ist bereits vergossen. Aber das war noch nicht alles. Es wird weitergehen bis unsere Forderungen erfüllt sind, bis das Blut unserer toten Freunde gerächt ist. Wir hoffen, dass unsere Demonstration Sie die Ernsthaftigkeit unserer Absichten erkennen lässt. Unsere Regierung, die den Missbrauch und die Unterdrückung der Massen anstrebt, nur bedacht auf das eigene Wohl, wird von uns entfernt werden. Dazu werden wir alle Mittel nutzen, die wir benötigen.
Stellen Sie sich auf unsere Seite und entfernen Sie eine Regierung, die keine ist. Dann hört das Sterben auf. Unsere Herrschaft wird allen Freiheit geben. Wir werden richten, wo gerichtet werden muss.
Wir sind Nemesis, die Göttin der Vergeltung.

Die Aufräumaktionen dauern Tage, die Identifizierung der Toten Wochen. Neunhunderteinunddreißig Opfer hat das Attentat zur Folge. Darunter Kinder, Jugendliche, alte Menschen und Schwangere. Eine Vielzahl an Särgen verlässt zur Überführung in die Heimatstädte das Land per Luftfracht.
Die Polizei kann in den Trümmern die Bänder einiger Überwachungskameras sicherstellen. Vier Männer sind zu erkennen, die mit ihren Rucksäcken das Hotel betreten. Eine Stunde später verlassen sie eilig das Hotel. Aber ohne die Rucksäcke. Diese Männer sind alle aktenkundig. Man sagt ihnen Verbindungen zum terroristischen Untergrund nach.
Durch einen gut organisierten Einsatz von Polizei und Militär können die Männer in Gewahrsam genommen werden. Bis zu ihrem Prozess werden sie das Gefängnis nicht mehr verlassen.
Aber allen ist klar, dass damit nichts gewonnen ist. Nemesis hat ihnen den Krieg angesagt. Und bis jetzt weiß noch niemand, wer das ist.



Oktober 2005

Maren Lemke betrachtet das große Kühlschiff, das vor noch nicht einmal zwei Stunden hier angelegt hat. Kühlschiffe sind Frachtschiffe, die für den Transport temperaturgeführter Güter wie Obst, Gemüse oder Fleisch eingerichtet sind. Der Rumpf eines Kühlschiffes ist in mehrere Laderäume und diese wiederum in zwei Meter zwanzig hohe Decks eingeteilt. Sämtliche Laderäume sind gegen tropische Luft- und Wassertemperaturen von über dreißig Grad Celsius isoliert.

Der Hamburger Hafen ist der Hauptumschlagplatz für die Früchte, die aus dem Süden über das Meer nach Deutschland gelangen. Hier in der Hansestadt haben die großen Fruchtkonzerne ihre Hauptfilialen und Firmensitze. Die Herkunftsorte der Lebensmittel sind längst über den ganzen Globus verteilt.
‚Eigentlich unvorstellbar, dass Obst und Gemüse bereits eine Weltreise hinter sich haben, dann aber frisch und knackig in unseren Supermärkten landen‘, überlegt Maren.
Die Logistik dafür wird immer aufwendiger und anspruchsvoller. Aber auch der Rauschgifthandel steigt. Immer ausgefallener werden die Verstecke der Drogenkartelle, die ihr Gift in die ganze Welt vertreiben.

Maren Lemke ist Mitarbeiterin vom Zollamt Hamburg-Hafen. Die zweiunddreißigjährige erfahrene Zollschiffsamtsinspektorin mit dem blonden Pferdeschwanz und den tiefblauen Augen sorgt seit zwei Jahren mit den neun Kollegen ihrer Einheit im Hamburger Hafen für regelmäßige Kontrollen, in der Hoffnung, die ständig ankommenden Rauschgiftlieferungen abzufangen.
Alle Beamten wissen, dass eine absolute Kontrolle der Ladung sämtlicher Schiffe nicht möglich ist. Durch die regelmäßigen Stichproben versuchen sie weitgehende Abschreckung zu erreichen. Steuerfreie Zigaretten und Alkohol sind nicht das Hauptziel der Zöllner, sondern vielmehr die großen Funde an Rauschgift, mit denen sie der organisierten Kriminalität Rückschläge und Schaden zufügen wollen.
Ihr Kollege Zollschiffsamtsinspektor Jonas Fischl mit seinem Schäferhund Thor gesellt sich zu ihr. Jonas ist Zollhundeführer. Maren hat mit ihm gemeinsam schon an vielen Einsätzen teilgenommen. Er gehört der gleichen Kontrolleinheit wie Maren an. Der vier Jahre alte Rüde hat nach einer zweijährigen Ausbildung, die er zusammen mit dem dreiundvierzigjährigen Jonas durchlaufen hat, seine Tätigkeit im Hamburger Hafen aufgenommen. Mittlerweile eilt den beiden ihr Ruf voraus. Bei den Zollfahndern sind sie beliebt, bei den Drogenkurieren berüchtigt. Thor und Jonas halten immer noch die Spitze der meist gefundenen illegalen Lieferungen.

Sie halten Ausschau nach dem Kapitän, aber auch nach eventuellen Auffälligkeiten der Besatzung. Der Kapitän des Schiffes begrüßt sie freundlich.
„Sieh du dir die Papiere an, wir gehen in die Frachträume“, verabschiedet sich Fischl von seiner Kollegin. Der ein Meter neunundsiebzig große dunkelhaarige leitende Beamte macht sich mit seinen Kollegen auf den Weg um die Kühlräume zu durchsuchen.
Maren blickt ihnen noch einen Moment nach. Die Kollegen folgen dem Besatzungsmitglied, das vom Kapitän angewiesen wurde, ihnen alles zu zeigen. Die erfahrene Zollfahnderin weiß, dass sich die Zöllner in Zweierteams aufteilen, einer durchsucht mit seinem Hund die Frachträume, während der andere ihm den Rücken sichert.
Der Kapitän geleitet die Zollschiffsamtsinspektorin mit zwei Beamten ihrer Einheit auf die Brücke, wo bereits alles Notwendige für die Kontrolleure zur Verfügung steht. Auch die Einsatzkräfte ihrer Einheit verteilen sich. Sie wissen genau, welche Arbeiten jetzt notwendig sind.
Seite für Seite geht Maren die vorgelegten Frachtbriefe durch, während sich die beiden Kollegen gründlich auf der Brücke umsehen.
Ohne gültigen Frachtbrief, der als Beförderungsdokument dient, darf die Ware weder verladen noch transportiert werden. Der gesamte Weg der Fracht wird über die Frachtpapiere offenbart. Solange sich die Güter an Bord befinden und der Kapitän die Papiere vorweisen kann, gilt er als Besitzer der Handelsware.

Alles ist ordnungsgemäß dokumentiert. Sie kann keine Fehler finden. Ob diese Fracht tatsächlich für den Transport von Suchtmitteln missbraucht wird, können ihr jetzt nur die Kollegen mit ihren Hunden sagen. Sie bedankt sich bei dem Kapitän. Bevor sie zu dritt die Brücke verlassen verabschiedet sie sich.
Draußen lässt sie ihren Blick über das Schiff gleiten. Von ihren Kollegen ist noch nichts zu sehen. Unterhalb ihres Standortes fällt ihr ein Marokkaner von beeindruckender Gestalt auf, der sie aufmerksam beobachtet. Sie spürt seinen Blick fast körperlich. Aus irgendeinem Grund breitet sich in ihrem Inneren ein mulmiges Gefühl aus. „Schließen Sie sich den anderen an“, befiehlt sie den beiden Zollsekretären. „Ich komme später nach.“
„Wo wollen Sie hin? Sollen wir nicht besser mitkommen?“, erkundigt sich einer der Kollegen.
„Nein, nicht nötig, ich suche nur ZSAI Fischl auf. Ich brauche nicht lange.“ Sie macht sich auf die Suche nach Jonas Fischl, kann ihn aber nirgendwo finden, deshalb begibt sie sich zu den Lagerräumen.
Die Türen sind nicht verschlossen. Sie inspiziert einen Raum nach dem anderen. Jonas Fischl findet sie dort nicht. Im nächsten Raum, den sie betritt, herrscht reges Treiben. Mehrere Männer sind im Begriff, die Kisten mit den Bananen umzupacken.
Neugierig geht Maren näher heran. ‚Wieso nehmen die Männer die Bananen aus den Kisten?‘ Sie schaut genauer hin.
Mehrere dunkelhäutige Besatzungsmitglieder zerschneiden die Verpackungsfolie, mit der die Kartons umwickelt sind. Sie greifen nach den Bananenstauden um sie an bereitstehende Kollegen weiterzureichen. Diese packen die Bananen in genau gleiche Kartons wieder ein. Ein weiterer Mann umwickelt die fertig gepackten Kisten mit Folie. Anschließend wird die verpackte Ware neu etikettiert.
Maren versteht nicht, was in diesem Lagerraum vor sich geht. Soeben will sie sich bemerkbar machen um die Leute wegen ihrer Tätigkeit um Auskunft zu bitten, als einer der Männer etwas aus den leeren Kartons herausholt. Dann erkennt sie, worum es sich handelt. Sie weiß jetzt, welche Arbeit die Leute da verrichten. Unter den Bananen liegen flache Pakete, die in Wachstuch eingeschlagen sind.
Schnell drückt sich die ein Meter siebzig große Frau in eine Ecke um nicht gesehen zu werden. Es ist also doch Rauschgift an Bord. ‚Aber wieso hat keiner der Hunde angeschlagen?‘, überlegt Maren. ‚Waren Fischl und seine Männer vielleicht noch gar nicht hier unten? Wo sind sie denn dann? Wir müssen schnellstens handeln.‘ Einen Augenblick beobachtet sie noch das weitere Geschehen, dann beginnt sie aufgeregt mit der Suche nach ihren Kollegen.

Nach kurzer Zeit findet die Zollbeamtin den Hundeführer. Gemeinsam mit seinem Partner stehen sie bei dem Mann, der sie begleiten sollte. Von weitem kann sie beobachten, wie der ihrem Kollegen einen dicken Umschlag reicht.
Fischl überprüft den Inhalt. Er nickt dem Mann bestätigend zu. Sie reichen sich die Hände. Dann sind die Zollbeamten wieder allein. Leise unterhalten sie sich. Fischl schaut auf, geradewegs in die entsetzt aufgerissenen Augen seiner Kollegin. Bedachtsam nähert er sich ihr. „Maren, hör zu …“, beginnt er.
Doch sie unterbricht ihn sofort. „Nein. Jonas, wie könnt ihr das machen? Wir sind doch diejenigen, die genau das verhindern müssen.“
„Ach, ja?“, schnaubt Jonas, während seine braunen Augen angriffslustig aufblitzen. „Was haben wir denn davon? Schau dir diese Leute doch einmal an. Die können sich alles leisten. Und wir? Wir gehen irgendwann mit kaputten Knochen und einer kleinen Pension in Ruhestand. Nein, danke! Dafür, dass wir ab und zu einmal wegschauen, bekommen wir einen richtig fetten Bonus. Du kannst das auch haben“, lockt er sie.
Empört starrt sie ihn an. „Wie kannst du nur? Ich hätte anderes von dir erwartet.“ Schwungvoll macht sie auf dem Absatz kehrt. ‚Und ich habe mir Sorgen um ihn gemacht!‘, denkt sie wütend.
„Wo willst du hin?“
Sie schaut noch einmal zurück: „Dahin, wohin du schon längst hättest gehen müssen.“
Erschrocken starren die beiden Zöllner ihre Kollegin an.
„Maren …“, beginnt Fischl noch einmal.
Aber die reagiert gar nicht erst. Schwungvoll wendet sie sich ab um ihren Weg fortzusetzen, als plötzlich der große dunkelhäutige Mann marokkanischer Abstammung vor ihr steht.
„Das kann ich leider nicht zulassen“, widerspricht er ihr. Dann schlägt er zu.
Maren wird direkt am Kopf getroffen. Ohne noch einen Ton von sich zu geben sinkt sie bewusstlos zu Boden.
Entsetzt prüfen die beiden Beamten die Umgebung. Hoffentlich hat das keiner ihrer Kollegen mitbekommen!
„Was sollen wir jetzt machen?“ Jonas Fischl weiß, wozu Baz Mansour in der Lage ist. Voller Angst starrt er den Mann an. „Sobald sie aufwacht, wird sie uns verraten.“
„Dazu wird sie keine Gelegenheit bekommen.“ Baz Mansour ist nicht einfach nur ein Arbeiter auf dem Schiff. Der intelligente Mann überwacht im Auftrag seines Bosses die gut organisierte Lieferung der Drogen. Immerhin haben die Kunden im Vorfeld viel Geld dafür bezahlt.
Mansour bückt sich. Er hebt Maren mühelos auf seine Schulter.
„Lasst euch für eure Kollegen etwas einfallen, warum die Frau auf einmal verschwunden ist.“ Er lässt Fischl einfach stehen. Mit der Frau auf seinen Armen entfernt er sich rasch um die nächste Ecke.
Jonas Fischl schaut ihm hinterher. ‚Verdammt, wie soll er sich denn jetzt verhalten? Kann er überhaupt noch etwas ausrichten?‘ Er spürt, wie ihm der kalte Schweiß über die Stirn zu rinnen beginnt. Er hat Angst. ‚Die werden Maren mit Sicherheit umbringen. Wahrscheinlich ertränken sie sie auf hoher See‘, erwägt er. Eines ist klar, wenn er sich einmischt, bringen sie ihn auch um. Da haben diese Leute überhaupt keine Hemmungen. Es geht schließlich um eine ganze Menge Geld. ‚Warum hat Maren mein Angebot nicht angenommen? Das hätte sie retten können. Aber ich kann da nichts machen, ich stecke viel zu tief mit drin. Das Beste wird sein, ich lasse allem seinen Lauf.‘
„Pass auf“, teilt er seinem Kollegen mit. „Maren war hier. Ihr ist schlecht geworden. Sie hat sich krankgemeldet und ist verschwunden. Wir haben ihr von Bord geholfen. Danach wollte sie allein klarkommen. Wir haben beide gesehen, wie sie in ein Taxi gestiegen ist. Klar?“
„Ja, sicher“, bestätigt der Kollege beklommen.
„Maren hat sich krankgemeldet. Danach haben wir sie nicht mehr gesehen.“ Das zumindest wird er seinen Kollegen erzählen. Ihm ist zwar überaus mulmig zumute, aber der Umschlag in seiner Jackentasche löst seine Bedenken schnell wieder auf.
Sie machen sich auf zum Sammelplatz, wo sie auf die anderen Kollegen treffen.

Maren Lemke taucht nicht mehr auf. Das Frachtschiff hat seine Ladung gelöscht und befindet sich wieder auf dem Heimweg.
Drei Tage später beginnen ihre Kollegen, die Beamtin zu suchen. Da von ihr keine Krankmeldung vorliegt, versucht ihr Dienststellenleiter, Zolloberinspektor Till Jansen, sie zu erreichen. Vergebens. Die Streife, die zu ihrer Wohnung geschickt wird, kommt unverrichteter Dinge zurück. Sie haben niemanden angetroffen. Zwei Tage später brechen die Beamten gewaltsam in die Wohnung ein. Nichts deutet auf ein unbefugtes Eindringen oder ein Gewaltverbrechen hin. Das Einzige, das sie feststellen können, ist, dass sich seit ein paar Tagen niemand mehr in der Wohnung aufgehalten hat. Die Polizei weitet die Nachforschungen aus, doch alle Spuren sind kalt.
Die unabhängigen Berichte von insgesamt vier Zöllnern aus den beiden an der Durchsuchung teilgenommenen Einheiten stimmen gänzlich überein. Sie alle bestätigen die Aussage des Zollschiffsamtsinspektors Jonas Fischl. Daher bringt niemand das Kühlschiff oder deren Besatzung mit dem Verschwinden der Zollfahnderin in Verbindung.
Der Dienstellenleiter zweifelt zu keiner Zeit an der Aussage seiner Leute, auch wenn sich nicht nachvollziehen ließ, wie Maren Lemke vom Hafen aus nach Hause gelangt sein soll.
Nirgends findet sich ein Ansatz um die Suche auszudehnen. Jetzt können sie nur noch hoffen, dass sie sich bald meldet. Mit einem unguten Gefühl geben ihre Kollegen die Suche nach Maren Lemke auf.

Baz Mansour öffnet die Tür zu dem kleinen Vorratsraum. Sie befinden sich seit drei Tagen auf See. Der Raum ist circa sechs Quadratmeter groß. Er hat kein Fenster. Maren Lemke liegt auf einem Bett, das in aller Eile in den Raum gestellt wurde. Sie trägt Handschellen, die zudem noch am Bettgestell befestigt sind. Zweimal täglich erscheint Mansour, lässt sie auf die Toilette, gibt ihr etwas zu essen und Wasser. Er bleibt dabei die ganze Zeit an ihrer Seite.
„Zeit für deinen Rundgang“, belehrt er sie überheblich. Das Essen stellt er auf dem Boden ab. Er löst ihre Handschellen vom Bett. Dann zieht er sie hoch. Sie mustert ihn trotzig. Doch der fast ein Meter neunzig große dunkelhaarige Mann ignoriert ihren Widerstand. Seine dunklen Augen achten auf jede ihrer Bewegungen. „Los!“, befiehlt er.
Den Weg zur angrenzenden Toilette kennt sie bereits auswendig. Spöttisch sieht er ihr zu. Niedergeschlagen fügt sie sich. Direkt am ersten Tag hat sie versucht zu entkommen. Sie hat sich ihm widersetzt, versucht gegen ihn zu kämpfen. Das Ergebnis war, dass er sie heftig verprügelt hat. Die Prellungen kann sie noch überall spüren. Außerdem trägt sie nur noch ihre Unterwäsche. Alles andere hat er ihr abgenommen. Solange sie keine bessere Fluchtmöglichkeit findet, wird sie nichts unternehmen. Aber bei dem kleinsten Fehler, den er macht, wird sie zuschlagen. Und er weiß das.
„Warum geben Sie sich überhaupt die Mühe mit mir?“, erkundigt sie sich auf dem Rückweg. „Sie töten mich doch sowieso.“
„Wenn ich nicht muss, dann nicht. Es sei denn, du lässt mir keine andere Wahl.“ Lüstern betrachtet er sie von oben bis unten. „Aber ich könnte dafür sorgen, dass die Überfahrt für dich angenehmer ausfällt. Du brauchst mir dafür nur ein klein wenig entgegen zu kommen.“
Maren weiß sofort, worauf er anspielt. „Vergessen Sie’s!“, faucht sie ihn an.
„Vielleicht änderst du deine Meinung ja noch. Du hast neun Tage um es dir zu überlegen.“ Ohne ihr weiter Beachtung zu schenken verlässt er den Raum.
Wenn sein Boss nicht so viel Interesse bekunden würde, die Frau unversehrt zu erhalten, hätte er sich schon längst genommen, wonach ihm gelüstet. Doch die Hinweise, die Martinez’ Informant über die Zöllnerin ausgespuckt hat, ließen diesen aufhorchen. Anscheinend verfügt die Frau über Insiderwissen, das dem Drogenboss bei seinen Geschäften von Nutzen sein kann.
5 Sterne
Spannend und unterhaltsam! - 30.10.2020
Miriam Hatterscheidt

Nachdem ich schon das Erstlingswerk der Autorin "Kampf um die Loreley" verschlungen hatte, war ich gespannt auf den Band 2 der Abenteuer des Protagonisten Gerd Bach und seiner Freunde. Und ich wurde nicht enttäuscht! Auch Band 2 ist genauso spannend, fesselnd und unterhaltsam wie Band 1. Ich konnte es kaum aus der Hand legen und habe es fast in einem Rutsch durchgelesen. Ich kann das Buch uneingeschränkt empfehlen und freue mich schon auf Band 3!

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