Die glänzende Stadt der Lügen

Die glänzende Stadt der Lügen

Saskia-Lea Schumacher


EUR 19,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 410
ISBN: 978-3-95840-916-3
Erscheinungsdatum: 29.08.2019
Die 17-jährige Stella erwacht im Krankenhaus. Vage erinnert sie sich an eine Party, bei der etwas Schreckliches passiert sein muss. Sie will unbedingt die Wahrheit herausfinden - und begibt sich damit in Lebensgefahr.
Eins

„Stella!“
Jemand ruft mich.
„Stella! Stella!“
Was ist hier los?
Jemand ruft mich. Aber wer und warum?
Bin ich gestern bei Marie geblieben? Wahrscheinlich, denn die Stimme kommt mir nicht bekannt vor. Vielleicht ist es ja Maries Vater, der mich wecken will, denn die Stimme ist eindeutig die Stimme eines Mannes.
Ich will meine Augen öffnen, doch der Versuch scheitert.
Nächster Versuch! So schwer kann das ja wohl nicht sein.
Diesmal scheitere ich nicht, allerdings fallen meine Augen sofort wieder zu, nachdem ich sie geöffnet habe.
Viel erkennen kann ich nicht, da ich sie höchstens eine Sekunde aufhalten kann.
Die Zeit reicht aber dafür, um zu erkennen, dass das nicht Maries Vater ist, der hier vor mir steht.
Wo bin ich?
„Stella!“
Schon wieder ruft mich jemand.
Es ist bestimmt die Person, die ich gerade eben gesehen habe.
Ich probiere erneut, meine Augen zu öffnen.
Immer wieder fallen sie mir zu, sodass ich immer wieder im Dunkeln verschwinde.
Energisch versuche ich, sie aufzureißen und tatsächlich, es funktioniert.
Zwar kann ich nicht wirklich viel erkennen, da meine Sicht ein wenig verschwommen ist, jedoch erblicke ich eine Gestalt, die mir riesig erscheint.
Es kommt mir vor, als sähe ich alles durch eine Lupe.
Alles in XXL.
Der Mann macht einen Schritt nach hinten und schon sieht er recht normal aus, bis auf seine Nase, die dem Schnabel von Donald Duck ähnelt.
Er sieht nun endlich aus wie ein Mensch und nicht wie ein Riese.
Ich komme mir auch nicht mehr so vor, als würde ich träumen.
Ich weiß, dass das hier real ist und aus diesem Grund frage ich mich auch, wer dieser Mann ist und wo ich bin.
Um das herauszufinden, müsste ich aber meinen Mund öffnen und mit Donald Duck sprechen.
Das ist leichter gesagt als getan.
Mein Mund will oder kann sich nicht öffnen und erst gar nicht sprechen.
Komisch, was ist bloß mit mir passiert?
„Stella! Schau mich an!“
Und schon wieder seine Stimme.
Donald Duck kommt wieder einen Schritt auf mich zu und leuchtet mit einer Lampe in mein Auge.
Erst in das rechte und dann in das linke.
Und schon kann ich auch nichts mehr sehen, da die Lampe wirklich hell ist.
„Ich denke, ihr geht es gut“, sagt Donald Duck zu einer anderen Person, die offenbar auch noch im Zimmer ist.
Wo bin ich hier nur hineingeraten?
Er dreht sich wieder zu mir und erst jetzt fällt mir auf, dass er einen weißen Kittel trägt und Handschuhe anhat.
Weißer Kittel und Handschuhe?
Das kommt mir bekannt vor.
„Du bist im Krankenhaus“, erklärt er mir mit einem falschen Lächeln, das Papa immer hat, wenn er mir eine schlechte Nachricht übermittelt.
Was gibt es da zu lächeln, will ich ihn fragen, doch kein Wort kommt über meine Lippen.
Der denkt doch nicht ernsthaft, dass ich das toll finde, dass ich hier im Krankenhaus liege.
Denn das finde ich nicht.
Wer findet das denn schon?
Vielleicht Donald Duck, aber ich ganz sicher nicht.
Wie lange habe ich geschlafen und warum bin ich überhaupt hier?
Ich sollte doch eigentlich bei Marie sein oder zu Hause.
Ist gestern auf der Party etwas passiert?
Ich kann mich an den gestrigen Abend überhaupt nicht mehr erinnern.
Kein einziges Stück.
Ist das normal? Ich bin doch noch gar nicht so alt, dass ich mich an manche Sachen nicht mehr erinnern kann.
Das Letzte, das ich noch weiß, ist, dass ich mit Marie vor dem Spiegel stehe und wir uns beide betrachten.
Sie in ihrem roten Kleid, das sie sich extra für diesen Abend gekauft hat und ich mit einem schwarzen, knielangen Kleid.
Aber dann …
Sind wir gar nicht auf die Party gegangen?
Aber dafür gibt es eigentlich keinen Grund, denn wir beide haben uns so sehr darauf gefreut.
Papa setzt sich neben mich auf das Bett, in dem ich liege.
Sind das Tränen in seinen Augen oder bilde ich mir das nur ein?
Nein, das sind Tränen.
Aber warum weint er?
Was ist los, will ich ihn fragen, aber es klappt nicht.
Seine Hand streicht über meinen Kopf, dann über mein Gesicht.
Hey, ich bin nicht Sofie, meine Kindheitszeit ist vorbei. Falls du es noch nicht gemerkt hast, Papa, ich bin siebzehn.
Streicheln verboten!
Ich richte mich ein bisschen auf und sehe meine Beine, die aus dem Bett hängen.
Ich bin hier ganz sicher im falschen Leben – im falschen Film.
Also nochmal: Augen schließen, tief durchatmen und sie dann wieder öffnen, doch alles bleibt gleich, keine Veränderung.
Ist das doch mein Leben und ich habe es einfach falsch in Erinnerung?
„Das ist ganz normal in ihrem Zustand“, höre ich Donald Duck sagen, der laut seines Namensschildes übrigens Dr.?Sauerfeld heißt.
Ob er es in seinem Leben mit diesem Namen so einfach hat, bezweifle ich.
„Wird sie sich erinnern können?“, fragt mein Papa den Arzt so leise, dass ich es kaum verstehen kann.
„Es ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich!“, höre ich diesen antworten.
Dann schluchzt Papa.
Was hat er denn?
Er weint doch nicht etwa wegen mir?
„Dass ich so eine Tochter habe!“






Zwei

„Ich bin dann weg, Stella! Wenn was ist, dann kannst du mich auf dem Handy erreichen.“
Seit einem Jahr ist er ständig unterwegs. Nie sagt er, wo er hingeht und nie teilt er mir mit, wann er zurückkommt. Er ist dann einfach weg.
Mal nur für einen Nachmittag, manchmal aber auch für ein oder zwei Tage.
Seit dem Tag, an dem ich zusammen mit ihm das Krankenhaus verlassen habe, ist er anders.
Früher wollte er immer wissen, wann ich mich mit wem wo treffe, wann ich wieder zu Hause bin und wo ich hingehe. Nie konnte ich mal etwas unternehmen, ohne dass er alles über dieses Treffen wusste. Und heute ist es das komplette Gegenteil.
Es interessiert ihn nicht mehr, wann ich mich mit wem wo treffe.
Wir leben zwar zusammen in einem Haus und doch leben wir Welten voneinander entfernt.
Wir sind vor einem Jahr hierhergezogen mit der Begründung: Es ist besser so.
„Ja!“, antworte ich und füge leise hinzu: „Lass mich ruhig wieder alleine!“
Kurz darauf höre ich die Haustür zufallen und weiß, dass ich nun wieder für mindestens einen Tag alleine bin.
Am Anfang fand ich das echt cool, doch jetzt ist es zur Gewohnheit geworden und nun ist es mehr als langweilig.
Ich frage mich jedes Mal aufs Neue, wo er wohl hinfährt und wie jedes Mal weiß ich darauf keine Antwort. Er ist mir in diesem Jahr aus dem Weg gegangen, das habe ich gemerkt. Ich frage mich bloß, warum.
Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht haben soll.
Wir haben uns auseinandergelebt, immer nur das Nötigste miteinander gesprochen und das war’s.
Ich liege oft nachts im Bett, wache von Albträumen auf und mache mir dann Vorwürfe. Ich überlege mir, was ich gemacht haben könnte, dass Papa mir so sehr aus dem Weg geht, doch nie fällt mir etwas Logisches ein.
Ich kann mich an keinen Streit zwischen uns erinnern und auch an nichts anderes, was zwischen uns vorgefallen sein soll.
Jedes Mal frage ich mich, ob das vielleicht etwas mit dem Umzug zu tun haben könnte und jedes Mal weiß ich darauf keine Antwort.
Ich habe ihn oft gefragt, was passiert ist an dem Tag, an dem ich im Krankenhaus aufgewacht bin und immer hat er geantwortet: „Du hattest einen Schwächeanfall!“
Er hat immer dasselbe geantwortet, aber nie habe ich es ihm geglaubt, bis heute nicht.
Es muss etwas anderes dahinterstecken, irgendetwas, was er mir verschweigt.
Ich weiß es einfach.
Papa hat den Arzt gefragt, ob ich mich irgendwann erinnern werde.
Ich soll mich also an irgendetwas nicht erinnern, aber an was?
Es bringt mich einfach nichts weiter.
Und dann fällt mir wieder ein: Was ist mit Marie?
Ich habe sie weder gesehen seit dem Krankenhaus noch gesprochen oder mit ihr geschrieben. Ich weiß nichts mehr von
ihr.
Papa meinte, dass er keine Ahnung hätte, wer Marie ist, und dass ich nicht so einen Aufstand veranstalten sollte wegen ihr.
Und spätestens da wusste ich dann, dass ich irgendetwas nicht herausbekommen sollte, denn schließlich weiß ich ganz genau, dass es Marie gibt und sie meine beste Freundin war, Gedächtnisverlust hin oder her.
Es kann ja sein, dass ich mich an den einen Abend nicht mehr erinnere, aber an den Rest schon.
Ich habe keinen Kontakt mehr zu irgendwelchen Leuten aus meiner alten Schule, aus meinem alten Leben, weil Papa komischerweise nicht mehr wusste, wer meine Freunde waren und mein Handy war ganz zufällig auch weg.
Das alles war mit großer Sicherheit kein Zufall, das wird mir jetzt erst klar.
Es gibt da etwas, was ich nicht wissen soll, das steht fest.
Jetzt muss ich nur noch herausfinden, was es ist.
Da ich sowieso nun lange alleine zu Hause bin, beschließe ich in Papas Schlafzimmer zu gehen und mich dort umzusehen.
Eigentlich bin ich nicht der Mensch, der jemanden hintergeht und in fremden Sachen schnüffelt, aber er lässt mir ja keine andere Wahl.
Selbst schuld! Da kann er mal sehen, was er davon hat.
Vielleicht bemerkt er es ja auch gar nicht, das wäre natürlich noch besser.
Ich gehe also die Treppe hoch und will Papas Schlafzimmertür öffnen, doch sie ist verschlossen.
Sehr verdächtig!
Zum Glück habe ich beim letzten Mal gesehen, wie er einen Schlüssel unter der Kellertreppe versteckt hat und nun hoffe ich natürlich, dass es der Schlüssel ist, den ich suche.
Ich hole den Schlüssel, stecke ihn in das Schlüsselloch und?… tatsächlich, er passt.
Ich schleiche in den Raum, den ich schon seit mindestens einem halben Jahr nicht mehr betreten habe.
Er kommt mir fremd vor.
Er hat sich verändert. Ich kann aber nicht beschreiben, inwiefern.
Die Farbe an der Wand ist weiß geblieben und auch das Bett steht noch.
Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem Mama und Papa sich dieses Bett bei Ikea ausgesucht haben.
Ja, Mama.
Mama ist vor einem Jahr mit meiner kleinen Schwester Sofie einfach abgehauen. Laut meinem Papa hat sie einen anderen Freund und ist zu ihm gezogen.
Weit, weit weg von hier.
Papa hat das Bett bei dem Umzug hierher mitgenommen, weil ihm das wohl viel bedeutet, wie er mir erzählt hat.
Ich gehe zu dem Kleiderschrank und öffne ihn.
Zu meinem Erschrecken ist er so gut wie leer.
Es hängt bloß eine schwarze Hose und ein blaues Hemd drin. Früher ist er gefüllt bis obenhin gewesen, als Mama noch bei uns war.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Papa nur eine Hose und ein Hemd zum Wechseln hat, er muss seine Klamotten also noch irgendwo anders haben. Nur die große Frage ist, wo.
Ich öffne eine Schublade des Nachttischs.
Alte Familienfotos.
Von Sofia und mir, von Mama und Papa, von uns allen zusammen, von Oma und Opa und selbst von Tante Inge.
Es sind viele, haufenweise. Alle Fotos sind beschriftet mit Daten und Anlässen.
Selbst Geburtstagskarten finde ich in der Schublade.
Ich will sie gerade schon wieder schließen, weil ich denke, dass ich eh nichts dort drinnen finden werde, als ich einen Zettel sehe mit Telefonnummern drauf.
Auf den ersten Blick nichts Besonderes, doch als ich den Zettel in die Hand nehme und ihn genauer betrachte, stelle ich fest, dass es sich nicht um irgendwelche Telefonnummern handelt, sondern um die aus meiner alten Klasse.
Unter dem Zettel erblicke ich mein altes Handy und ich kann es gar nicht glauben.
Papa hat es tatsächlich die ganze Zeit in seinem Zimmer gehabt und mir nichts gesagt. Frechheit!
Ich will noch mehr herausfinden, vielleicht irgendetwas über den Krankenhausbesuch. Irgendetwas, das mir helfen wird, mich zu erinnern.
Ich gehe zu seinem Schreibtisch und sehe unzählige Rechnungen. Von allem Möglichen.
Es ist sehr unaufgeräumt. Nichts ist geordnet, alles liegt irgendwo herum.
Ich stöbere ein wenig in den Unterlagen, doch leider finde ich nichts Verdächtiges.
Schade!
Ich lasse die unsortierten Blätter los und sehe mich weiter in dem Raum um. Hier ist alles ziemlich kahl. Nicht ein Bild hängt an den Wänden. Es ist ungemütlich und kalt. Nichts ist so wie früher.
Generell sieht das Schlafzimmer sehr unbewohnt aus, aber Papa wohnt ja mit mir hier. Hätte ein anderer diese Zimmer gesehen, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen, dass der Raum nicht bewohnt ist.
„Offenbar finde ich hier nichts mehr“, murmle ich vor mich hin und seufze.
Was tue ich hier nur?
Was hat das alles auf sich?
In dem Moment, als ich mir diese Fragen in meinem Kopf stelle, klingelt es an der Haustür.
Nanu, wer ist das denn? Ich erwarte doch gar keinen Besuch. Vielleicht der Postbote oder unsere Nachbarin, die mal wieder ihren Schlüssel bei sich im Hausflur liegen gelassen hat und jetzt nicht mehr reinkommt.
Ich renne die Treppen herunter, die letzten zwei Stufen springe ich sogar und laufe zur Tür. Mit einem Ruck ziehe ich die Tür auf und erwarte eigentlich Frau Brauer, die mich mit einem entschuldigenden Lächeln anschaut, doch stattdessen steht Quint vor mir.
Das habe ich ja total vergessen, das Chemiereferat.
„Hi“, begrüßt er mich und lacht mich an.
„Hallo“, tue ich es ihm gleich und zwinge mir ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen.
„Sorry, ich bin ein bisschen früh dran, aber meine Mama war gerade auf dem Weg zur Bibliothek hier in der Nähe und dann hat sie mich hier abgesetzt.“
„Kein Problem, ähm … komm rein!“
Na, wenigstens habe ich jetzt eine Ausrede, warum ich noch nicht ganz bereit bin.
Ich öffne die Tür weiter, um Quint mit einer Geste zum Eintreten zu bewegen.
„Danke!“
Mann, Mann, Mann, der stellt sich aber auch doof an. Jetzt steht er im Flur und bewegt sich nicht.
„Du kannst schon in mein Zimmer gehen, ich komme gleich nach“, sage ich zu ihm, da ich Papas Schlafzimmer noch verschließen muss.
Er nickt, zieht seine Schuhe aus und dreht sich in Richtung Dachbodentreppe.
„Warte!“, rufe ich ihm nach und drücke ihm mein altes Handy und den Zettel mit den Telefonnummern in die Hand, die ich noch in der Hand halte. „Leg die Sachen bitte auf meinen Schreibtisch, ich muss noch kurz etwas erledigen!“
Ich warte keine Reaktion ab, sondern renne zurück in das Schlafzimmer.
Dort suche ich den Schlüssel.
Wo habe ich den denn hingelegt?
Scheiße!
Ich höre, wie sich die Haustür öffnet und jemand das Haus betritt.
Mist, das kann nur Papa sein, denn sonst hat niemand außer Frau Brauer einen Schlüssel und die ist mit ihrem Auto unterwegs, wie ich gerade gesehen habe.
Was mache ich denn jetzt? Wenn Papa mich hier sieht, dann wird es Theater geben.
Wo habe ich den Schlüssel denn hingelegt? Weit weg kann der ja gar nicht sein.
„Scheiße“, murmle ich vor mich hin und höre kurz darauf von unten einen Knall, als ob jemand etwas fallen gelassen hat.
Ich schließe die Schlafzimmertür hinter mir und laufe erneut die Treppen hinunter. Heute brauche ich auf jeden Fall keinen Sport mehr machen.
Im Hausflur treffe ich auf Quint, der mich verwundert ansieht.
„Warst du das?“, fragt er mich und zieht seine rechte Augenbraue hoch.
Ich schüttle mit dem Kopf und schlucke.
Normalerweise ruft Papa mir etwas zu, wenn er das Haus betritt, damit ich keinen Schrecken bekomme wie jetzt.
„Ich dachte, du wärst allein“, meint Quint und hält seine Augenbraue immer noch hochgezogen.
„Das dachte ich auch“, flüstere ich leise und lege meinen Finger auf meine Lippen, um ihm zu zeigen, dass er leise sein soll.
Ich schleiche in Richtung Wohnzimmer und werfe einen Blick hinein und sehe ein Kästchen, das aufgebrochen auf dem Boden liegt.
Das ist wahrscheinlich der Auslöser für das Knallen gerade gewesen.
Doch weit und breit ist keine Person zu sehen, die das Kästchen fallen gelassen hat.
Ich entschließe, in die Küche zu gehen.
In der Küche ist auch kein Mensch zu sehen.
Ich nehme meinen Mut zusammen und rufe einmal laut: „Papa, bist du das?“
Doch niemand gibt mir eine Antwort.
„Okay, Papa ist es nicht“, sage ich ängstlich zu mir selbst.
Gut, dass ich nicht alleine bin.
Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und sehe Quint, der es sich auf dem Sofa bequem gemacht hat.
Ich knie mich vor das Kästchen und betrachte es. Es kommt mir bekannt vor.
Ich nehme es in die Hand und setze mich dann neben Quint auf das Sofa.
„Was ist das?“, fragt Quint mich. Er hält immer noch mein Handy und die Telefonliste in der Hand.
„Ein Kästchen?“, antworte ich. Ich meine, das ist doch offensichtlich.
Er lacht kurz auf.
„So meine ich das nicht. Was ist drin und woher kommt das?“
Gute Frage.
„Keine Ahnung!“
„Öffne es“, schlägt er mir vor und sieht mich dabei abwartend an.
„Wird wohl das Beste sein!“
Ich öffne das Kästchen, an dem das Schloss zum Glück aufgebrochen ist, wahrscheinlich durch den Aufprall auf den Boden Boden.
Mir kommt als Erstes ein süßlicher Geruch entgegen, der sehr intensiv ist.
Ich atme ihn ein und stelle fest, dass ich den Geruch irgendwoher kenne. Ich bin mir zu hunderttausend Prozent sicher, dass ich ihn schon einmal gerochen habe.
Er erinnert mich an etwas, nur kann ich gerade nicht sagen, an was.
„Was ist los?“, will Quint von mir wissen.
„Mich erinnert der Geruch an etwas. An etwas von früher.“
Er ist der Einzige, der weiß, was mit mir los ist, der meine Situation kennt.
Ich habe ihn mal zufällig auf der Straße getroffen, als wir neu hierhergezogen sind und dann stellte sich heraus, dass er in dieselbe Klasse geht wie ich.
Seitdem sind wir miteinander befreundet.
Ich habe ihm ganz am Anfang von dem Krankenhausbesuch erzählt und er ist der Einzige, der mir immer sagt: „Du musst versuchen, dich zu erinnern, sonst wirst du immer wieder darüber nachdenken!“
Und damit hat er auch recht.
„Ich habe heute ein bisschen in Papas Schlafzimmer herumgestöbert“, berichte ich ihm, bevor ich mich weiter auf das Kästchen konzentriere.
„Und was Neues herausbekommen?“
„Ich habe mein altes Handy gefunden und die Telefonliste aus meiner alten Klasse!“
„Also hat dein Papa es die ganze Zeit gehabt und es dir verheimlicht, vielmehr dich angelogen?“
Ich nicke. Ja, so ist es.
„Und hast du schon diese Marie angerufen oder ihr geschrieben?“
Ich schüttele den Kopf.

Das könnte ihnen auch gefallen :

Die glänzende Stadt der Lügen

Marianne Ludes

Das kalte Auge

Buchbewertung:
*Pflichtfelder