Das goldene Licht

Das goldene Licht

Francesco Nembrini


EUR 21,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 546
ISBN: 978-3-99064-141-5
Erscheinungsdatum: 02.05.2018
Luciano hat es 1950 mit der konservativen Erziehung und dem Umfeld schwer, sexuelle Kontakte aufzubauen. Bekanntschaften schließt er leicht, mit seiner Frau muss er noch wachsen. Mit ihr möchte er die große Leidenschaft leben. Außerhalb sucht er diese nicht.
Das Leben – eine Kanonenkugel:


Um der Kanone einen besseren Stand zu gebenm werden nacheinander verschiedene Befehle erteilt:
„Spreizt die Lafettenbeine“, die Standbeide der Kanone.
Aber auch die Standbeine der Frau sind zu spreizen.
„Laden.“ Das ist die Ausführung des Sex.
„Zum Schuss fertig.“ Das ist kurz vor dem Orgasmus.
„Feuer“ – das ist der Moment der Befruchtung.
Die Kugel löst sich mit einem lauten Knall von der Kanone.
Das Kind kommt mit einem Schrei zur Welt.
Nun beginnt die Laufbahn. Es geht immer höher und höher.
Kulmination! Der Sinus ist erreicht – der oberste Bogen.
Die Kugel beginnt zu fallen, immer schneller – Pensionierung und schlägt am Ziel ein – den Tod bringend!

Betreffend Sinn also:
Müsste da die Philosophie vertieft werden? Würde diese helfen oder eher belasten? Sie kann eine mächtige Hilfe sein, aber sie kann sich auch gegen den Träger des Wissens stellen.
Der Gewinn an Philosophie kann zum Verlust des Gefühls werden. Abstraktes Denken führt zu kalter Entfremdung vom Persönlichen und Lebendigem.
Das schlechteste Beispiel für Luca war der Philosoph Camus.
Camus sagte einmal:

Das Absurde ist angesiedelt in der Kluft zwischen dem Menschen, der nach dem Sinn fragt, und der Welt, die ihm keine Antwort darauf gibt!

Der Existenzialismus Camus hülfe also nicht. Im Gegenteil, Camus hat unser Leben mit dem Leben von Sisyphos verglichen! Sisyphos, der tragische Held der griechischen Mythologie, der immerzu den Stein den Berg hochstemmen musste. Camus litt unter der Absurdität des Lebens.
Er wollte keinen höheren, uns verborgenen Sinn des Lebens sehen. Er leugnete die Transzendenz.
Er kritisierte Kierkegaard, den Vater der Existenzphilosophie, weil dieser die Transzendenz bejahte.
Was man hingegen Camus zugutehalten muss, ist, dass er genau wusste, was eine bedingungslose Liebe ist. Eine Liebe, die durch nichts und durch niemanden erschüttert werden konnte.
Des Weiteren meinte Camus (in „Der Mythos des Sisyphos“, Rowohlt Verlag) … dass es außerhalb eines menschlichen Geistes nichts Absurdes geben kann. So endet das Absurde wie alle Dinge mit dem Tode. Zu Ende gedacht erkennt man, dass das Absurde die Abwesenheit jeder Hoffnung voraussetzt. Ein Mensch, dem das Absurde bewusst geworden ist, bleibt für immer daran gebunden. Ein Mensch, der keine Hoffnung hat und sich dessen bewusst ist, gehört nicht mehr der Zukunft.
Eine erzwungene Hoffnung ist bei allen religiös. Diese Haltung ist sowohl Schestow wie Kirkegaard eigentümlich. Und Jaspers liefert ein bis zur Karikatur überspitztes Beispiel für diese Haltung (Jeanne Hersch: „L’Illusion philosophique“).

Camus nennt Jaspers den Apostel des gedemütigten Denkens.
Luca fand, dass Camus seelisch in einem sehr engen Raum lebte. Luca meinte, dass je nach Betrachtungsweise jeder KZ-Insasse mehr Hoffnung hegte als Camus.
Eigentlich ist doch vieles im Leben Täuschung, von außen besehen (wenn man dies überhaupt könnte) ist wahrscheinlich alles, was wir uns vorstellen, objektiv unrichtig.
Camus ist wohl ein Meister der Logik gewesen, einer Logik des Diesseits, aber der arme Camus übersah, dass die Transzendenz nicht diesseitig ist.
Gott kann man nicht verdinglichen. Am wenigsten mit einem Pantheismus. Dass man also meint, das ganze Universum sei Gott, ist ein fundamentaler Irrtum. Würde man Gott verdinglichen können, dann wäre er nicht mehr Gott. Genau dies ist das Gefährliche, wenn fromme Leute Gott zu sehr mit äußeren Dingen gleichsetzen. Weder ein Kruzifix noch ein Stern noch eine Eiche können Gott sein.

Gott ist ohne Horizonte und unendlich und unfassbar.

Heiner Lauterbach (Filmschauspieler) sagte einmal:
Alt werden ist nichts für Weicheier.
Die deutsche Psychoanalytikerin und Ärztin Margarete Mitscherlich sagte noch in ihrem 94. Lebensjahr:
Die Libido erlischt erst ganz in unserer Sterbesekunde.
Ich habe ein mildes Verhältnis zu meinen sexuellen Fantasien und sage mir: Ach, mein Kind, du bist ein wenig zu alt, um das noch in die Tat umzusetzen.“
Und Tolstoi meinte: Um leben zu können, muss man gegen vieles immun sein.
Tolstoi fehlte es an einer solchen Immunität, er krankte am Leben. Mit seinem Roman Anna Karenina und der darin beschriebenen unbändigen Leidenschaft versuchte er, Befreiung zu finden.
Wie bereits erwähnt, meinte auch Camus:
Das Absurde ist angesiedelt in der Kluft zwischen dem Menschen, der nach dem Sinn fragt, und der Welt, die ihm keine Antwort darauf gibt.
Tolstoi lehnt die weiter oben erwähnten Ablenkungs-Lügen, Karriere, Geld, Familie usw. ab. Er erklärt ihnen den Krieg mit Aufstand dagegen. Er lässt diesen Krieg durch seine Protagonistin, seine Romanfigur Anna Karenina, ausfechten.
Es geht bei Anna nicht um sie und ihre Leidenschaft. Nicht die Filme über sie sagen wirklich aus, was Tolstoi quält. Mit Anna drückt er seine Idee aus, dass man die Leere in sich mit einer übermächtigen, riesigen Liebe ausrotten könne.
Um es zu wiederholen: Tolstoi meinte, er könne nicht leben, wenn er die große Frage unbeantwortet lassen müsse, wenn er die große Leere nicht ausfüllen könne. Er hatte wohl immer irgendwo einen Strick bereit, um sich am Fensterkreuz zu erhängen, aber er brachte sich nicht um. So versorgte er seine Flinte immer schleunigst, wenn er von der Jagd heim kam. Stellvertretend an seiner statt ließ er seine Hauptfigur sich umbringen, Anna. Es war also nicht so, wie viele Literaturkritiker damals meinten, dass in einem Roman jede ehebrecherische Frau den Tod erleiden müsse. Tolstoi hat nicht dies beabsichtigt, sondern seinen Selbstmord, den er nicht wagte zu vollbringen, an Anna delegiert.

***

Die seelische Seite Lucas darbte also weiterhin, da er ja – so schön die wunderbaren neuen Orgasmen waren – sich nach Liebe sehnte. Unbändige Leidenschaft konnte da also keine Erlösung bringen.
Er erinnerte sich an eine längst vergangene Zeit in Altdorf.

Selina, die er damals über alles liebte, hatte ihn verlassen und er sank in seinem Zimmer vor Verzweiflung an der Wand zu Boden und blieb dort, wahrscheinlich stundenlang, stumm und hoffnungslos schaute er ins Leere. Sein Zimmer schien ihm ein Albtraum zu sein:
Was war dies doch für ein absurdes Bett, ein lächerlicher Schrank, ein blödes Fenster. Für was brauchte man überhaupt ein Fenster? Und was war hinter dem Fenster? Kein Horizont, kein Ziel, kein Motiv, ein Nichts!
Ihn beherrschte ein stummer Schrei.

Anaiis Nin, geboren 1903, wollte zeitlebens nicht nur „die kleine Dosis“, sie wollte nur für die Ekstase leben!
Sie sagte, dass nur der gemeinsame Pulsschlag von Herz und Sexus wahre Ekstase schaffe.
Siehst du, mein lieber Mac und Frauenverführer von Altdorf. Du bist weit abgeschlagen und auf die mechanische Schamlosigkeit zurückgeworfen. Die Sehnsucht von Luca nach Liebe ist goldrichtig.

Manchmal hatte Luca das Gefühl, seit den sexuellen Übungen verstehe er plötzlich vielmehr von den Frauen und auch von ihrer seelischen Berg- und Talfahrt.
Die Übungen verursachten nämlich tiefe Gefühle, die oft nicht leicht zu ertragen waren.
Waren die Männer deshalb oft immun gegen starke Gefühle? Und die Frauen leugneten oft ihre starken Gefühle, um mehr Ruhe zu haben? Luca wollte die Sache nächstens mit seinem besten Freund Raffaele besprechen. Mit ihm konnte man wirklich alles offen erörtern. Raffaele Brione, von Luca oft „Lele“ genannt. Er wohnt in Burgdorf. Für die Liebe mitverantwortlich war offenbar der Sex. Aber da gab es verschiedene Arten. Auch schnelllebige und nichtswertige und sehr tiefe, liebevolle.
Was ist denn tiefer und liebevoller Sex? Kann man dies beschreiben? Wenn jemand den zuckersüßen Geschmack nicht kennt, wie beschreibt man einem solchen Mitmenschen diesen Geschmack? Und wie ist es mit Sex? Wieso kann man den allen beschreiben? Weil eine fundamentale Lebensgrundlage von allen erkannt wird. Sonst würde man nachfolgende Darstellungen nicht verstehen können.
Oft stoßen wir in unserem Leben unerwartet auf eine oder mehrere indirekte Bestätigungen einer Erfahrung oder Theorie:

Am 14. Juni 2007 strahlte SF 1 um 20 Uhr die Sendung „Der Orang-Utan-König“ aus, eine Tierdokumentation von Borneo. Die Affenforscherin Biruté Galdikas dokumentiert ihre Geschichte.
Die Forscherin zeigt diesen „König“ (in einem Film) und erzählt, dass er ein außergewöhnliches Exemplar sei. Bei ihm kämen die Weibchen von allein und legten sich vor ihm hin, bereit zur Paarung, was eher ungewöhnlich sei. Im Film geschieht nun Folgendes: Die bekannte Filmschauspielerin Julia Roberts war auf Besuch im Camp im Urwald, dort wo die Forscherin tätig war.

Als Julia Roberts ca. 20?m vom Camp entfernt auf einer Lichtung in den Urwald schaute, tauchte plötzlich der besagte König auf. Er nahm Julia sanft und doch mit ganzer Kraft am Nacken und zog sie zu sich heran. Schnell mussten mehrere Wächter zu Hilfe eilen, um sie vom Griff zu befreien. Interessant ist nun, was Julia Roberts nachher erzählte. Sie sagte, dass sie im ganzen Körper ein wunderbares Vibrieren gespürt habe und dass sie während des Griffes ein unglaublich großes und überwältigendes Glücksgefühl im ganzen Körper gehabt habe, so wie sie noch nie Gleichartiges je gespürt habe.

Julia Roberts hatte dabei ein unglaubliches Vibrieren und ein großes Glücksgefühl.
War dies das Spüren einer großen Lebenskraft, einer Kraft, die eigentlich in jedem Lebewesen vorhanden, aber verschüttet ist??
Das Leben schlechthin ist ein großes Rätsel. Was ist Leben? Ist etwa Gott unter anderem das Leben inklusive der innewohnenden, immensen Lebenskraft und wenn wir IHN einmal in besagter Weise spüren, sind wir so unfassbar von Glück erfüllt. Ist dieses Glück dasjenige, welches wir immer wieder zeitlebens vergeblich erhoffen oder vom Partner ersehnen in unserer irdischen seelischen Einzelhaft?

Zehn Tage später eine ähnliche Bestätigung. Diesmal wurde Luca noch viel aufmerksamer.
Am Sonntag, dem 24. Juni 2007, wurde eine Sendung ausgestrahlt von Forschern, die in der Südsee Tigerhaie erforschen und vermessen. (Leider hat Luca den deutschen Sender vergessen.) Diese Haie kommen zu einer bestimmten Jahreszeit immer zu einer Insel in der Südsee; deshalb begaben sich die Forscher dorthin. Diese Haie sind eine sehr gefährliche Art. Man fängt sie aber an der Schwanzflosse ein und sie können so neben dem Begleitschiff im Wasser festgehalten und vermessen werden. Ein weiblicher Tigerhai wollte nach dem Vermessen nicht gleich wegschwimmen. Deshalb begab sich einer der Forscher ins Wasser, hielt sich an der Rückenflosse fest und wollte so das Tier sanft gegen die See stoßen. Das Tier begann wirklich in der gewollten Richtung wegzuschwimmen, aber schwamm ganz sachte und so, als ob es dem Forscher nicht weh tun wollte. Es vermied die gefürchteten Flossenschläge und zog den Forscher langsam gegen das offene Meer. Etwas ungewöhnlich lange ließ dieser sich weit hinausziehen. Wieder eingeholt, erzählte der Forscher Folgendes:

Er sei schon oft von Haien oder von Delfinen mitgezogen worden. Das sei ein schönes Gefühl. Aber hier sei alles anders gewesen. Er habe plötzlich eine Riesenkraft in seinem Körper gespürt, so als ob er mit dem Tigerhaiweibchen körperlich ganz verbunden sei und dazu habe er ein unglaubliches Glücksgefühl im ganzen Körper gespürt. Am liebsten wäre er stundenlang so weitergezogen worden, wenn nicht seine Vernunft ihn vor so einer großen Gefahr gewarnt hätte. Wenn er sich kilometerweit hätte mitziehen lassen, wäre er unauffindbar für sein Team gewesen.

Hatte auch er, wie Julia Roberts, diese große Lebenskraft gespürt und zwar in einer so überaus beglückenden Weise, wie wir das schon immer ersehnt haben?
War das Tigerhaiweibchen von ihm ohne sein Wissen an einer erogenen Stelle berührt worden und das Tier hatte dann diese Kraftsignale ausgesendet??

Rein mechanistische Betrachtungsweise kann Glücksgefühl oder unbändige Lust nur stümperhaft erklären. Ist etwa unsere Seele viel mehr daran beteiligt als unser Körper?

Soweit die beiden von Luca gemachten Feststellungen. Aber ein weiteres Stichwort ist gefallen:
die Lust! Was ist das? Es kann nicht sein, dass nur unsere Empfindungsnerven allein uns Lust bereiten können, wie dies vielleicht Neurologen behaupten mögen. Wenn dem so wäre, so wäre es eigentlich gleichgültig, mit wem ich Sex habe, denn meine bekannten Empfindungsnerven, die an ganz bestimmten und bekannten Orten gehäuft auftreten, würden mir immer das gleiche Erlebnis bescheren.

In dem Buch von Wolfgang Schmidbauer „Dranbleiben – die gelassene Art, Ziele zu erreichen“ (Verlag Herder Spektrum) ist von der Schriftstellerin Maria Gambaroff und ihrem Buch „Die Utopie der Treue“ Folgendes zu lesen:

In ihrem Buch lässt Maria Gambaroff eine 30-jährige Frau sprechen. Sie redet über eine fortschrittliche Ehe, in der jeder Partner sexuelle Erfahrungen sammeln kann und in der diese Auffassung von einem Paar für ehrlicher gehalten wird als das klassische Treuegebot. Sie zitiert ihren Mann: Man fühle sich vielleicht in einer Landschaft besonders zu Hause – etwa in den Voralpen. Aber die Toscana oder die Nordsee böten reizvolle Abwechslungen.
Beide Partner haben sich also darauf geeinigt, dass sexuelle Erfahrungen außerhalb der Ehe gestattet und akzeptiert sind. Das ist rational schlüssig. In einer Gesellschaft sich selbst verwirklichenden Individuen kann kein Mensch alles für einen andern sein. Gegenseitige Großzügigkeit ist fair, sie respektiert die Entwicklung, die Erfahrungsmöglichkeiten des andern.
Umso interessanter ist es, was die Frau in ihrer offenen Ehe erlebt:

„Aber inzwischen habe ich das Gefühl, im Vergleich zu andern Frauen echt hinter dem Mond zu leben, so ein Dusseltier zu sein. Vielleicht bin ich phobisch oder wie man das so nennt. Ich erlebe eine wirklich tiefe und intensive Sexualität nämlich nur mit meinem Partner, meinem Mann. Das fuchst mich manchmal ganz fürchterlich … Ich fühle mich dadurch zu sehr an meinen Mann fixiert und finde, dass ich – trotz bester Vorsätze – meine Sexualität doch nicht voll leben kann. Denn so eine letzte Offenheit, so ein Gefühl von Unverstelltheit und Direktheit in der Lust, das fehlt bei den andern. Das erlebe ich nur bei ihm.“

Gambaroff zeigt mit ihrer Protagonistin, wie Menschen eigentlich dumm und undankbar sind. Da bekommt dies Frau ein wunderbares, eigentlich seltenes Geschenk vom Schicksal und statt tief dankbar zu sein, beklagt sie sich noch.
Diese Frau bräuchte gar nicht fremdzugehen.

Hier hat Gambaroff gezeigt, was eigentlich Treue bedeuten könnte. Da ist eine tiefe Liebe vorhanden, bei der man wahrlich mit Franz von Suppé singen könnte:

„Hab ich nur deine Liebe, die Treue brauch ich nicht, die Liebe ist die Knospe nur, aus der die Treue bricht …“

Ersehnen wir nicht alle diese wunderbare Liebe und doch wird sie nur wenigen zuteil!

Diese Frau gebrauchte das Wort „Lust“. Für uns falsch Erzogene ist dieses Wort belastet mit etwas Verbotenem oder Unsauberem. Übersetzen wir es (wir wollen es hier nur im Zusammenhang mit tiefer Liebe tun, denn die Liebe wirkt etwa vergleichsweise gleich wie beim elektrischen Strom das Ampere. Eine Spannung und sei sie noch so groß, bewirkt nichts außer es komme ein Minimum an Ampere hinzu): Ist diese Lust etwa das Erleben von etwas so unglaublich Beglückendem, Hellem, Farbigem, das Erleben einer Verbindung mit der Urkraft des Lebens, dass wir unwillkürlich ganz beglückt an eine Begegnung mit Gott denken müssen?
Dieses Beglückende kann man auch in anderem Zusammenhang erleben. Vor einigen Jahren schaute Luca am Fernseher den Olympischen Spielen zu. Eine russische Stabhochspringerin schaffte den Rekordsprung und nun folgt das fast Unglaubliche: Die Sportlerin war von ihrem Glück so überwältigt, dass sie zweimal den Salto auf der übrigens weichen und somit schwierigen Unterlage vorwärts und, noch schwieriger, rückwärts schlug und dazu eine so große Freude ausstrahlte und Schreie ausstieß, dass ihr Glück auch die Zuschauer rührte. Sie hatte ihr Glück mit allen Zuschauern geteilt und dadurch noch mehr Glück erfahren. Luca hätte sie in diesem Moment mit Tränen in den Augen und mit unglaublichem Glücksgefühl umarmen können, wie wenn sie seine Tochter wäre. (Und dies, obwohl er dem Leistungssport mit Skepsis gegenübersteht.)
Wieso tun wir Menschen uns so schwer mit dem Glücklichsein? Ja, wir haben sogar Angst davor; wir hören uns lieber ein Requiem an und am Abend bei den Fernsehnachrichten hören wir uns noch unzählige Requiems an! Diese Angst vor dem Glück hat nicht etwa mit der christlichen Religion zu tun. Nein, Luca erinnerte sich an einen Roman von Pearl S. Buck, Nobelpreisträgerin 1938 und lange in China aufgewachsen als Tochter eines Missionars. Sie beschreibt in einem ihrer Romane ein chinesisches Paar, welches zueinander sagt: „Komm, wir haben einen so schönen Sohn, verstecken wir ihn unter dem Rock, sonst wird Gott gar noch neidisch auf uns und nimmt ihn uns weg.“ Die Angst vor der Rache Gottes ließ dieses Paar ihr Glück nicht genießen.
Selbst Goethe hat den Ausspruch getan: „Nichts ist schwerer zu ertragen, wie eine Reihe von glücklichen Tagen.“
Warum eigentlich ist dies so?
Und warum suchen die Menschen die Ursache des Verlustes sofort bei einer höheren Macht?
Hiezu einige ontologische Betrachtungen:
Der Vorgänger des Doyen Carl Jaspers an der Philosophischen Fakultät in Basel war Paul Häberlin.
Er schrieb 1920 das Werk „Leib und Seele“.
Er hat umfangreiche ontologische Untersuchungen vorgenommen.
Im besagten Werk führt er u.?a. aus, dass wir denkende Menschen eine Erscheinung, z.?B. ein sichtbares Ding, nicht einfach so hinnehmen, ohne dieser Sache automatisch und simultan eine Funktion zuzuordnen. Wir sehen die Dinge also in ihrer Funktionseigenschaft.?
Das macht die Welt eigentlich unheimlich kompliziert. Je nach Blickwinkel sehen verschiedene Menschen auch divergierende Funktions-Eigenschaften.
Wenn ich eine mir unbekannte Maschine sehe, ohne irgendwelche Beziehung mitten auf einem Platz, dann gehe ich der Sache nach und will wissen, was dies ist. Wenn ich keine Zeit habe, ordne ich dem Gegenstand eine Funktion zu. Z.B.: Das wird ein früherer Computer sein oder eine Stimmzettel-Zählmaschine von Florida oder Futterschneidmaschine. Irgendeine Funktion ordne ich dem Ding zu und sei es auch eine falsche. Keine Funktionseigenschaft zuzuordnen wäre ein Zeichen von Debilität. Deshalb auch die irre Fragerei von kleinen Kindern, die mit einfacher Hinnahme nicht zufrieden wären. Gehen wir in die Zeit zurück, die vor der Aufklärung liegt.
Die Wissenschaften allgemein waren in den Anfängen. Alles was rational nicht erklärbar war, wurde als irrational angesehen. Damit doch eine Erklärung (also Funktionszuordnung) für unerklärliche Erscheinungen und Vorkommnisse stattfinden konnte, flüchtete der damalige Mensch (und auch der heutige oft) ins Übersinnliche, in den Glauben, in ein überirdisches Agens.
Je rationaler die Welt wurde, desto mehr schwand die Zuordnung in etwas Überirdisches.

Sehr intelligente Menschen sind deshalb oft atheistisch.
Die meisten hingegen haben mir die Wahl innerhalb eines mittleren Rezeptes. Und dieses stammt von Victor Hugo:
„Zu glauben ist schwer, nichts zu glauben unmöglich.“

Wir täuschen uns am Ende bei vielem in unserem Erleben. Oder ist gar alles Täuschung, Maya!

Nicht die Welt als solche, die auf unsere Sinne einwirkt, die wir erfassen mit unserem Verstande, ist eine Maya; diese Welt ist in dem innersten Wesen wahrhaftige Wirklichkeit. Aber die Art, wie sie der Mensch anschaut, wie sie dem Menschen erscheint, das macht die Welt zur Maya, das macht sie zur großen Täuschung. Und wenn wir durch unsere innere Seelenarbeit dahin kommen, zu dem, was uns die Sinne zeigen, zu dem, was uns unser Verstand sagt, die eigentlich tieferen Grundlagen zu finden, dann werden wir bald einsehen, inwiefern die äußere Welt als eine Täuschung aufgefasst werden kann.
(Aus dem Sanskrit) (aus den Veden)

Also: „Perception is reality“ könnte man sagen.

Analogien dazu:

Aldo Hasler, ein Geldsoziologe, Wirtschaftswissenschafter und Philosoph betrachtet unser Zahlungsmittel von einer anderen Seite. Das Geld ist auf dem Weg der Endstofflichung. Der inzwischen ins Riesige angewachsene Geldsumme entspricht kein Gegenwert mehr. Das Geld ist virtuell geworden, entstofflicht sozusagen. Keine Goldparität, kein Produkt als Gegengewicht besteht mehr.
Wir entstofflichen uns auch beim Sex! Wir sind zu bequem für eine richtige Beziehung. Oder fürchten wir uns vor der Verantwortung? Werden wir etwa durch das positive Recht zu sehr gegängelt? Oder sind wir auf dem Weg zur telepathischen/telekinetischen Gesellschaft?


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