Dilan - Ein Wimpernschlag für die Ewigkeit

Dilan - Ein Wimpernschlag für die Ewigkeit

Eine lesbische Muslime kämpft gegen den IS

Jan Ilhan Kizilhan


EUR 22,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 252
ISBN: 978-3-99064-816-2
Erscheinungsdatum: 30.01.2020
Dilan ist jung, Kurdin und Lesbe, mitten in der Türkei. Sie schließt sich der Fraueneinheit LGBTIQ an und zieht in den Kampf gegen den IS. Eine tragische Geschichte über Unterdrückung, Krieg und Gefangenschaft aber auch über Stärke, Hoffnung, Mut und Liebe.
Eine tödliche Gewohnheit

Ich bin in einem Dorf nahe der Stadt Sirnak geboren. Ich bin Kurdin. Ich bin an einem warmen Julitag 2002 in dem Dorf als letztes Kind von insgesamt fünf Kindern zur Welt gekommen. Meine Eltern sind Bauern und haben die kurdische Guerilla, wo immer sie nur konnten, unterstützt, schon immer. Und da es früher keine kurdischen Kämpfer in der Türkei gab, hat meine Familie, vor allem mein Großvater und sein Vater, die Kurden um den legendären kurdischen Führer Barzani im Irak gegen die irakische Regierung unterstützt. Ihnen war die Gefahr von Haft und Tod durch das Militär bekannt, glaube ich zumindest, doch sie taten es dennoch. Vielleicht, weil es im Dorf so üblich war. Das Dorf war immer kurdisch und das bedeutete Kampf, im Winter gegen den meterhohen Schnee, im Sommer gegen die Hitze und das ganze Jahr hindurch gegen das türkische Militär. Ich kenne es nicht anders. Eine tödliche Gewohnheit seit Ewigkeiten.
Das ist unsere Wahrheit, von der die Welt nichts weiß.
Ja, ich bin gestorben, viele Male und lebe irgendwie doch weiter. Es gab immer einen inneren Impuls in mir weiterzukämpfen, obwohl mir mein Kopf sagte: „Hör auf, es ist Zeit, sich von diesem Leben, das kein Leben ist, zu verabschieden.“ Ich war verletzt, durch eine Schussverletzung, erlitt Folter als Geisel des Daesh. Während der Geiselhaft lag ich auf dem Boden und wartete, dass sich meine Augen schlossen und endlich alles aufhörte. Kein Schmerz, kein Leid, nicht mehr diese stinkenden Islamisten auf meinem Körper spüren, mit ihrem giftigen Schleim in meinem Gesicht. Ich entschloss mich, zu sterben. Die Schuss- und Schnittverletzungen waren dieses Mal auf meiner Seite. Sie waren vereitert und machten eine Reise über meinen Körper, bis der Fäulnisgeruch so stark war, dass ich mich sogar vor mir ekelte. Mein ganzer Körper schmerzte bei jeder Bewegung. Dabei waren die Schläge und Tritte die harmlosesten Dinge, die ich erleben musste.
Ich habe viel geschrien und geweint, aber niemanden kümmerte es. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens und mir fehlen immer noch die Worte um beschreiben zu können, was ich alles erlebt habe, wie ich mich gefühlt habe in dieser Einsamkeit, ohne Hoffnung, mit immer mehr düsteren Gedanken, dass das Leben nicht lebenswert ist.
Immer und immer wieder sehe ich die Kampfhandlung, bei der ich meine letzte Kugel nicht nehmen konnte, um mich damit selbst zu erschießen. Ich gehe diese Szene in meinem Kopf wie ein Filmeditor durch und versuche das eine Bild zu finden, dass ich meine Hand noch ausstrecke, die Kugel finde, in die Waffe schiebe und mir in den Kopf schieße. Dann wäre alles vorbei gewesen. Das war es aber nicht. Ich konnte die Kugel nicht nehmen und mich erschießen. Ich habe es einfach nicht geschafft. Wir hatten das in der Fraueneinheit, in der ich kämpfte, so oft besprochen: „Immer eine Kugel aufbewahren!“ Ich tat es nicht, und bin so in die Geiselhaft der Bastarde des Daesh gekommen.
Ich will meine Geschichte so erzählen, dass Sie verstehen, was wirklich passiert ist. Es ist aber nur eine Zusammenfassung und es kann sein, dass ich das eine oder andere vergesse. Mein Gedächtnis spielt mir so manche Streiche, die ich nicht immer durchblicke. Meine Träume, am Tag und in der Nacht, von der Geiselhaft und dem Kampf, sind so realistisch, dass ich Angst bekomme, schreie und versuche wegzulaufen, obwohl ich in Sicherheit bin.
Ich wäre so gern aus der Geiselhaft entflohen, merkte aber, dass es keinen Sinn mehr hat, da sie wie mörderische Wölfe um mich herumstanden. Weswegen sollte ich weglaufen, wenn ich sowieso sterben wollte? Die anderen Kämpferinnen, die mir so viel Mut gaben, meinem Leben einen Sinn gaben, waren tot. Ihre Leichen lagen auf der trockenen und staubigen Erde, so friedlich, als würden sie sich für ein Nickerchen ausruhen und gleich wieder aufstehen. Aber sie bewegten sich nicht mehr und keine von ihnen ist jemals wieder aufgestanden.
Die Kämpfer des Daesh lachten und ich konnte hören, wie sie zu streiten begannen, wem ich gehören sollte. Ein großer und kräftiger vollbärtiger Kämpfer kam von hinten, zog an meinen Haaren und schrie laut: „Euch Kurden, Kommunisten, Ungläubige werden wir ausrotten. Gottlose Schweine …“ Er zog noch stärker an meinen Haaren, zog mich auf der Erde bis zu einem Pickup. Mir waren die Beschimpfungen in diesem Augenblick vollkommen gleichgültig, ich überlegte, wie ich mich töten könnte, aber ich fand keine Gelegenheit dazu. Andere Daesh-Schweine kamen dazu und schlugen mir ins Gesicht und auf meinen Körper. Sie fassten meine Brüste an und lachten.
Von allen Seiten fragten sie:
„Wo sind die anderen Frauen, die wir erst ficken und dann abschlachten werden?“
„Ihr habt sie doch alle getötet.“
Ich wurde wieder geschlagen.
„Du Hure, lass das Theater, wir wissen alles über euch. Ich schwöre beim Propheten und Gott, wenn du nicht sprichst, dann ficke ich dich gleich hier vor all meinen Brüdern.“ Er kam auf mich zu und ein anderer Daesh-Kämpfer legte seine Hand auf seine Schulter: „Nicht so schnell, Bruder, vielleicht ficke ich sie zuerst.“ Alle lachten, stiegen in den Pick-Up und fuhren los. Sie schlugen mich während der ganzen Fahrt. Wir fuhren vielleicht eine Stunde durch den Staub von Nichts bis ich ohnmächtig wurde. Ich wachte erst in einem betonierten, kalten und nassen Raum wieder auf.
Ich merkte, wie Blut von meinen Lippen auf mein dunkelgrünes Hemd tropfte. Mir war klar, was auf mich zukam. Ich hatte nicht gelernt, mit Schmerzen umzugehen. Es tat mir alles weh. Ich hatte keine Kampfausbildung, kein Training, wenn es überhaupt so etwas gab, um die Schmerzen auszuhalten. Ich versuchte mich an die Erzählungen meines Bruders Numan zu erinnern, der von politischen Gefangenen in Diktaturen erzählt hatte und wie sie Widerstand leisteten und trotz der Folterungen lernten zu überleben. Das alles klang für mich in diesem Augenblick wie eine Erfindung der Revolutionäre, um ihren Anhängerinnen die Angst vor einer Haft zu nehmen. Ich hatte einfach nur Angst und jeder Schlag auf meinen Körper war so unerträglich, so unbeschreiblich schmerzhaft, dass auch meine Schreie mir nicht halfen. Ich wollte Widerstand leisten, aber wie? Sie hatten meinen Körper und machten damit, was sie wollten. Wie sollte ich Widerstand leisten? Ich konnte mich nicht wehren, ich hatte nicht die Kraft und hatte keine Hoffnung mehr, vor allem nachdem sie meinen Körper nicht nur schlugen, sondern ihn auch für sich benutzten wie Geier. Ich war gefangen, von Tieren umzingelt, die entschlossen waren, mich zu zerstören.
Wenn ich in Ruhe gelassen wurde, so sah ich meine gefallenen Freundinnen und jammerte in mich hinein. Wäre ich nur bei ihnen, vereint im Tod. Ich fühlte mich schuldig, dass ich überlebt habe. Aber was sollte ich machen? Ich war hier und sie waren tot.

In den folgenden Tagen wurde ich gefoltert und vergewaltigt, jeden Tag. Ich weiß nicht mehr, wer mich vergewaltigt hat. Alle, die da waren, alle diese Unmenschen haben meinen Körper genommen wie ein Stück Fleisch, wie einen Gegenstand. Irgendwann konnte ich mich nicht mehr wehren. Die Schussverletzung und die Folter waren so schlimm, dass mir auch meine Stimme versagte. Ich konnte weder die Fragen richtig verstehen, geschweige denn richtig beantworten.
In Gedanken war ich bei meinen Kameradinnen, bei den Frauen, wir schworen, zu kämpfen bis in den Tod und wir lachten so viel. Nie zuvor hatte ich so viel gelacht wie bei den kurdischen Kämpferinnen. Vielleicht, weil wir wussten, dass wir nicht lange leben werden und daher jede freie Minute nutzten, die wir neben Training und Kampf hatten, um zusammen zu sitzen, zu sprechen, zu singen und zu tanzen. Wir schworen uns, keine Angst vor dem Tod zu haben. Wie merkwürdig, wenn es dann passiert, dann hat man doch Angst. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, das was angeboren ist, kommt zum Vorschein, wenn keine Hoffnung mehr besteht. Und ich hatte keine Hoffnung. Ich fühlte mich wie in einem Sumpf von Gewalt, Hoffnungslosigkeit und Schuldgefühlen, weil ich lebte.
Es gab noch viele andere Dinge, die mir durch den Kopf gingen. Obwohl ich den Gedanken an Jiyan, meine Freundin, für unwichtig hielt, gab er mir in diesem Moment einen gewissen Trost, wie eine Decke, die mich in diesem nassen kalten Raum wärmte. Ich sah sie in meinen Träumen und stellte mir vor, wie wir uns innig umarmten. Ich spürte ihre Hände und ihren warmen Körper, ihre Hände, die durch meine Haare wuschelten und mein Gesicht berührten. Die Schmerzen weckten mich aus diesen seltenen, positiven Träumen und holten mich in die Realität der Hölle zurück. Mir war klar: lebend würde ich hier nicht herauskommen.
Noch in Gedanken, kamen sie wieder und schlugen auf mich ein. In diesen Sekunden und Minuten, die mir wie ein Jahr vorkamen, spürte ich nichts mehr. Ich begann wegzutreten, wenn sie mich schlugen und meinen Körper misshandelten. Ich hatte von dieser Dissoziation gehört. Ich verließ die Realität dieser Bastarde und war einfach weg. Ich brachte meine Seele in Sicherheit. Es war ein Kampf des Körpers gegen den Geist. Der Geist brachte mich weg von meinem Körper, den die Unmenschen so ausnutzten, wie es ihnen beliebte.
Des Öfteren verlor ich die Besinnung und fiel zu Boden, das passiert mir heute noch.
Irgendwann wurde ich in einen anderen Raum gebracht, wo sich noch andere Frauen befanden. Es waren arabische Frauen, die sich nicht an die Regeln des „Islamischen Staates“ gehalten hatten, Frauen, die andere Organisationen gegen den Daesh unterstützten. Für sie waren wir nichts anderes als Dreck und Huren.
Es ist so viel passiert, dass es mir schwer fällt mich zu erinnern. Eines weiß ich aber: ich wollte sterben. Ich war verletzt und hatte keine Kraft mehr. Geschändet. Wie sollte ich da leben wollen, wie sollte ich meinen Kamerad_innen wieder in die Augen schauen? Ich entschloss mich, zu sterben.
Da wollte ich gerade meine Augen schließen und endlich Ruhe spüren, aber plötzlich sah ich mein Leben vor meinem inneren Auge vorbei ziehen. Als meine Augen sich für immer zu schließen begannen, durchbrach ein Licht am Horizont meine Wimpern und berührte die Dunkelheit meiner Seele. Die Augen wollten sich schließen, sie wurden schwerer und schwerer, als hätte man einen Felsen darauf gelegt. Ich atmete tief und erleichtert, weil bald alles zu Ende sein würde. Ich wollte sterben. Doch das Licht blieb in meinen halbgeschlossenen Augen und ich sah mich wieder, meine Kindheit, mein Leben, das sich vor meinen Augen zu einem Film gestaltete.



Leben im Dorf und Widerstand
gegen die Unterdrücker

In dem Dorf gab es eine Schule, die ich fünf Jahre absolvierte und wo ich Türkisch lernte. Wir sprechen Kurdisch, was in der Türkei lange Zeit verboten war. Mein Vater erzählte mir, dass entfernte Verwandte im Irak leben. Da das Dorf hoch in den Bergen liegt, kamen immer wieder die kurdischen Kämpfer der PKK, um Lebensmittel zu organisieren und neue Kämpfer_innen zu rekrutieren. Sie waren so erfolgreich oder das türkische Militär so erbarmungslos, dass mein ältester Bruder Numan sich der PKK anschloss und irgendwo in Syrien, dem Irak oder der Türkei kämpfte. Zwei Cousins und mehrere junge Männer und zwei junge Frauen sind bei Kampfhandlungen vom türkischen Militär getötet worden.
Ich wollte von all dem nichts wissen, ging gern zur Schule und hatte immer gute Noten. Ich war so gut, dass mein Lehrer meinen Vater davon überzeugte, mich in die Kreisstadt auf die weiterführende Schule gehen zu lassen. Mein Vater war sehr stolz auf mich und machte für mich schon Pläne, dass ich in Ankara oder Istanbul irgendwann studieren sollte, am liebsten Ärztin oder Anwältin werden sollte. Es freute mich sehr, wenn mich mein Vater lobte und zärtlich meine Haare berührte: „Wir haben es nicht geschafft, etwas Vernünftiges zu lernen. Aber du schaffst es.“ Ich hatte noch keine Idee, was ich werden wollte, aber die Idee Lehrerin oder Ärztin zu werden, gefiel mir sehr.
Ich war das jüngste Kind und wurde von meinen Geschwistern immer behütet und liebevoll behandelt. Meine anderen Geschwister waren verheiratet und lebten im Dorf. Sie hatten sich für das Leben im Dorf entschieden.
Das Dorf war einige Kilometer von der Stadt Sirnak entfernt, hoch in den Bergen. Im Sommer war es erbarmungslos heiß und im Winter waren die Berge schneebedeckt. Niemand weiß, wie alt das Dorf ist, meine Vorfahren haben wohl schon immer dort gelebt und haben diese Gegend, die sich Botan nennt, kaum verlassen. Es war schon immer ein wohlsortiertes Dörfchen gewesen. Wir mussten das Dorf nicht oft verlassen, da die Natur den Menschen alles gab, was sie zum Leben brauchten. Das Dorf hatte einen kleinen Platz von Steinen befreit und die Kinder konnten sich dort treffen und ihren Spielen nachgehen. Die Moschee war nicht nur Ort des Gebetes, sondern auch der Ort der Männer, die über Politik und Welt klagten. Ganz zufällig war links von der Moschee eine Teestube, die sich an manchen Wintertagen in eine Zockerstube verwandelte. Da keiner wirklich viel Geld hatte, spielten sie um einen Tee oder höchstens um ein Mittagessen. Ein kleiner Laden schloss sich der Teestube an und gegenüber gab es einen Barbier. Eine ärztliche Praxis oder Apotheke gab es nicht. Für solche Dinge fuhr man nach Sirnak. In den Augen vieler war unser Dorf ein Kaff, das in den Bergen war und vergessen wurde, von den Bewohnern und von dem Rest der Welt.
Wenn aber die Leute zwischen dem Barbier, der Teestube und der Moschee auf den kleinen Stühlen oder unter dem namenlosen Maulbeerbaum saßen, dann war das Dorf lebendig. Überall klirrten Gläser, wenn sie die Teegläser halbvoll mit Zucker füllten und mit den kleinen Löffeln rührten, ihren Tee laut schlürften als sei es ein 25 Jahre alter Whisky aus den schottischen Bergen. Die Sonne knallte unerbittlich und der Barbier schärfte sein Messer unter der Beobachtung der Männer, als schauten sie sich ein Spektakel an. Der Barbier sah eher wie ein Metzger als wie ein feiner und sensibler Friseur aus. Einen Friseurladen für Frauen gab es nicht. Die Gespräche waren offen und handelten in den letzten Jahren mehr von Politik als von Feldarbeit oder es waren alte Geschichten, die die Alten erzählten. Sie hatten keine Angst offen zu sprechen, weil ihnen die Türkei mit ihren Soldaten so weit weg schien. Istanbul war für sie genauso fremd wie Berlin, Paris oder London. Nur dass die anderen nicht kamen und die Dorfbewohner_innen nach den Rebellen fragten, sie schlugen und demütigten und wieder gingen. Ihr Hass und die Entfernung zu der Türkei wurden noch größer.
Die meisten Dorfbewohner waren miteinander verwandt. Die übrigen wohnten schon seit Generationen dort. Es waren gesellige Menschen und wenn es einmal Unruhe und Streit zwischen den Bewohnern gab, dann schlichteten die Alten sofort. Mit dem türkischen Staat hatte man bis in die 80er nichts gemein. Es gab zwar alle Jahre mal irgendwelche Beamten, die mit Zollstock und Papieren kamen, die Menschen zählten und wieder so schnell weg waren wie sie kamen. Sie waren froh, dass sie weg waren, weil wir in ihren Augen zurückgebliebene Dorfmenschen waren und das Dorf war froh, das sie schnell weg waren, da die meisten ihre türkische Sprache nicht verstanden und sie für arrogant und befehlshaberisch hielten, weil immer einige Soldaten sie begleiteten.
Doch als die PKK begann, öfter unser Dorf zu besuchen, kamen vermehrt Soldat_innen und sie taten alles, um sich unbeliebt zu machen. Sie machten uns klar, dass sie uns nicht mochten und die PKK tot sehen wollten. Sie drohten, schlugen, folterten und verhafteten die Bewohner_innen, weil sie Terroristen unterstützen. Sie benutzen so oft das Wort, dass die Leute selbst das Wort Terrorist als Freiheitskämpfer, als Helden, positiv umdrehten. Meine Grußmutter sagte immer: „Heute kommen unsere Terroristen, ich werde ihnen ein so tolles Essen machen, dass sie es nicht vergessen werden. Meine armen Terroristen, sie müssen in den Bergen schlafen und gegen die bösen Soldaten für unser Kurdistan kämpfen. Gott und der Prophet Mohammed, gesegnet sei sein Name, möge die Terroristen beschützen.“
Das Dorf war kein Paradies, die Berge aber majestätisch und über 2000 Meter hoch. Vor allem der Berg Cudi, über den es viele Geschichten und Erzählungen gibt. Der Name Cudi bedeutet so viel wie Platz gefunden und hier soll Noah mit seinem Schifft gelandet sein, seinen Platz gefunden und die Erde wieder bevölkert haben.
Ahmet, der Dorfvorsteher, übertreibt sogar und erzählt überall: „Als Noahs Schiff auf dem Berg Cudi landete und von diesem aus mit seinen Füßen wieder die Erde berührte, da warteten schon unsere Dorfleute auf ihn und begrüßten ihn ganz herzlich.“ Ja, er konnte schon immer gut Geschichten erzählen. Ob es überhaupt einen Noah gab und seine Geschichte stimmte, kümmerte die Menschen nicht. Sie waren davon überzeugt, dass von diesem Ort aus die Erde wieder bevölkert wurde.
Meine Familie lebte von Landarbeit und Viehzucht. Unser Käse ist so berühmt, dass auf den Märkten von Sirnak und Cizre jeder danach fragt und bereit ist, einen hohen Preis zu zahlen.
Ich habe vier Geschwister, zwei Brüder, die erwachsen sind und eine zwei Jahre ältere Schwester. Ich war gerade sechs Jahre alt, als mein Bruder Numan das Dorf verließ. Er schloss sich der PKK an. In den ersten Jahren kam er immer wieder aus den Bergen mit seinen Freunden, bleib ein bis zwei Tage und ging wieder. Seit einem Jahr wissen wir nicht, wo er ist und ob er überhaupt noch am Leben ist. Mein Vater hat ihn nicht gezwungen zu Hause zu bleiben, er wusste, er kann es nicht und ich glaube, er wäre am liebsten selbst mitgegangen, wenn er nicht so alt gewesen wäre und eine Familie hätte. So war unser Dorf. Sie standen hinter den kurdischen Kämpfer_innen. Es interessiert sie nicht, ob die kurdischen Kämpfer Kommunisten, Heiden, Islamisten oder was auch immer sind. Sie wussten, dass es seit Jahrhunderten Tradition der Kurden war, zu rebellieren, gegen die Herrschenden zu kämpfen, um irgendwann ein eigenes Land zu haben. So haben es ihre Väter und Großväter getan und so werden es wohl ihre Kinder und Kindeskinder tun. Ich war ein Mädchen und hatte keine Lust zu kämpfen. Ich wusste, dass bei der PKK auch Frauen kämpften, aber es war nicht meine Sache. Ich war Kurdin, keine Frage, aber sicher keine Kämpferin. Die Schule interessierte mich und ich wollte viel mehr über die Welt wissen und aus diesem Dorf heraus. Es half mir, dass ich gut in der Schule war und in Sirnak die Schule besuchen durfte.
Mein Onkel Selim lebte mit seiner Familie in Sirnak und ich konnte bei ihnen leben. Mein Onkel Selim hatte ein kleines Lebensmittelgeschäft in Sirnak und vier Kinder, mit denen ich sehr gut auskam, da wir auch schon früher viel zusammen gespielt hatten. Onkel Selim und seine Familie lebten mit meiner Familie lange Zeit im gleichen Haus im Dorf, das einst meinem Großvater gehörte. Sie waren meine zweite Familie und mein Onkel und meine Tante behandelten mich genauso liebevoll wie ihre eigenen Kinder, manchmal hatte ich das Gefühl, noch besser, da auch Onkel Selim mich immer motivierte, gut in der Schule zu sein.
„Dilan, mein Kind, mach weiter so und wir unterstützen dich bis zur Universität. Aus dir wird etwas, ich bin mir sicher.“
5 Sterne
Perfektes buch  - 19.04.2021

Sehr spannend und toll

5 Sterne
Unglaublich Packend - 04.09.2020
G.J.

Jan Ilhan Kizilhans ‚Dilan‘ gibt Einblicke in eine Welt, die den meisten Menschen in Deutschland sehr fremd sein muss. Allerdings zieht dieser Roman Leser*innen in den Sog. Dilans Geschichte erlaubt Einblicke in das Leben einer Frau, einer Kurdin, einer LGBTQ... Für mich ein sehr lesenswerter Roman.

3 Sterne
Erschreckende andere Denkweise - 23.04.2020
sonric

Für eine Westeuropäerin ist dieser Roman verstörend und erschreckend. Obwohl die Denkweise vieler Menschen in dieser Region der unseren durchaus ähnlich ist, zeigt es sich doch, dass der Fanatismus und die Gewaltbereitschaft erheblich höher ist. Und das nur wegen der zufälligen Herkunft? Völlig unverständlich.UND Es zeigt sich einmal wieder, dass insbesondere religiöse Menschen - welcher auch immer - zu mehr Gewalt neigen als Ungläubige bzw. Atheisten.Leider ist die sprachliche Qualität recht beschränkt. Viele grammatikalische Fehler hätten doch durch einen Lektor beseitigt werden können.

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