Ich habe dir vertraut

Ich habe dir vertraut

Svenja Paufler


EUR 20,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 138
ISBN: 978-3-99146-672-7
Erscheinungsdatum: 23.04.2024
Ein Geheimnis für sich zu behalten oder jemanden nicht auszulachen, wenn er ganz anders ist – all das ist nicht so einfach. Auch nicht für die Tiere, die dich nicht nur in den Wald und die Wüste entführen, sondern sogar mit dir ins Meer abtauchen.
Ich habe dir vertraut!

„Hihi, fang mich doch, fang mich doch! Du kriegst mich nie“, quietscht Kiki mit lauter Stimme. Das kleine braune Eichhörnchen flitzt zwischen den bunten Blättern, die von den Bäumen herabgefallen sind, umher. Es ist bereits Herbst und bald schon würden mehr Blätter auf dem Boden liegen als in den sonst so dichten Baumkronen hängen. Die Nachmittagssonne strahlt aber noch warm vom Himmel. Kiki weicht gekonnt einem großen Ast aus, der beim letzten Sturm von der alten Birke abgebrochen ist, klettert blitzschnell die große Eiche hinauf und springt vergnügt von einem Ast zum anderen. Fangen ist ihr Lieblingsspiel, kein anderes Tier hier im Wald ist dabei so schnell wie sie. „Hey, das ist unfair. Du weißt doch, dass ich nicht so gut springen kann wie du. Immer, wenn ich dir auf einen Baum hinterher geklettert bin, hüpfst du schon auf den nächsten. Und ich muss dann sehen, wie ich hinterherkomme. Das macht mir keinen Spaß. Ich will etwas anderes spielen“, beschwert sich ihr Freund Kalle. Der kleine Waschbär liebt es, mit seiner besten Freundin im Wald zu toben, aber beim Fangenspielen mag er nicht mehr mitmachen. Kiki ist klar im Vorteil, mit ihren flinken Beinen ist sie viel zu schnell für ihn und außerdem kann sie von Ast zu Ast hüpfen. Er kann auch sehr gut klettern. Wenn er mit seinen Geschwistern ein Wettrennen veranstaltet, ist er immer der Schnellste. Aber er kann eben nicht so gut hüpfen. Jedes Mal, wenn er die Baumkrone erreicht hat, ist Kiki schon auf dem nächsten Baum. Er muss dann erst wieder den Stamm runterklettern und zu dem Baum laufen, auf dem sie gerade herumspringt. Eine Chance hat er gegen Kiki damit so gut wie nie. Das findet er öde. Genervt gibt er auf und setzt sich in den Schatten der großen Eiche, von der Kiki mit einem Satz herunterspringt. Sie landet neben ihm und ist nicht im Geringsten außer Atem. Ganz im Gegensatz zu ihm. Erschöpft von der wilden Jagd schnauft er tief. „Na gut“, gibt Kiki nach. „Dann spielen wir eben etwas anderes.“ Erleichtert nickt Kalle. Alles ist jetzt besser als noch eine Runde von der wilden Verfolgungsjagd durch sämtliche Baumkronen um sie herum. „Was hältst du von einer Schatzsuche?“, schlägt Kiki vor. „Schatzsuche? Aber wir haben doch gar keinen Schatz“, ruft Kalle und schaut Kiki verdutzt an. Eine Schatzsuche ohne Schatz, das versteht er nicht. Doch Kiki grinst ihn geheimnisvoll an. „Komm mit, ich will dir etwas zeigen“, meint sie aufgeregt, dreht sich mit einem Satz um und ist schon fast verschwunden. „Nicht so schnell“, ruft ihr Kalle hinterher. „Ich bin doch noch völlig außer Atem!“ Er steht auf und folgt in die Richtung, in die Kiki verschwunden ist.

Das kleine Eichhörnchen hüpft voran und ist mit wenigen Sätzen unter einem riesigen Haselnussstrauch verschwunden. Die dicken Äste des Strauches hängen tief auf den Boden herunter. Endlich holt Kalle seine Freundin ein. Gespannt wartet er ab, was Kiki ihm zeigen möchte. Einen Schatz zu suchen findet er aufregend, er hat noch nie einen gefunden. Einmal hat er ein kleines Stückchen von einem angebissenen Würstchen in einer Mülltonne im Dorf entdeckt. Etwas Wertvolleres konnte er jedoch bisher noch nicht erbeuten.
Mit ihrem flauschigen Schwanz fegt Kiki geschwind die Blätter unter den Ästen des Haselnussstrauches zur Seite und buddelt mit ihren zarten Pfötchen die oberste Schicht Erde zur Seite. Erst jetzt, bei genauerem Betrachten, kann Kalle bemerken, dass die Blätter zu einem kleinen Berg angehäuft waren. Er schaut Kiki gespannt zu und kann kaum erwarten, was gleich zum Vorschein kommen wird. „Nun sag schon“, drängt er neugierig. „Was ist es?“ Ungeduldig hüpft er auf und ab. „Jetzt warte doch ab! Ich bin ja gleich fertig“, entgegnet Kiki, geht einen Schritt zur Seite und lässt Kalle in das kleine Loch gucken, das sie gegraben hat. Darunter kommt eine ganze Handvoll Nüsse zum Vorschein. Nicht nur Haselnüsse, Kiki hat auch einige Walnüsse und sogar ein paar Kastanien gefunden. Dann schiebt Kiki einen besonders großen, schweren Ast zur Seite, der unter dem Gewicht seines Blätterkleides schon weit auf den Boden hängt, und zum Vorschein kommen mindestens genauso viele Eicheln und Beeren. Alle ihre Beutestücke hat sie selbst im Wald eingesammelt. Stolz präsentiert sie Kalle ihren Schatz und der kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Mit weit geöffneten Augen starrt er auf Kikis Vorräte.

„Oh, du warst aber fleißig! So viele Leckereien! Wo hast du die denn alle her?“, fragt er begeistert. „Die habe ich alle selbst gesammelt und hier versteckt“, grinst Kiki. „Das ist sozusagen unser heimlicher Vorrat für den Winter. Aber das darf keiner wissen, das ist unser Geheimnis. Versprich mir, dass du es keinem sagst!“, verlangt sie von ihrem Freund und schaut ihn streng an. Auf keinen Fall dürfen die anderen Waldbewohner von ihrem Schatz erfahren. Schließlich ist es kein geheimer Schatz mehr, wenn jeder davon weiß. Außerdem findet sie es sehr aufregend, ein Geheimnis zu haben, von dem keiner weiß. Außer Kalle. Der ist jetzt sozusagen ihr Komplize. „Du kannst mir vertrauen. Großes Waschbären-Ehrenwort“, verspricht Kalle ernst. „Ich werde keinem ein Wort sagen.“ „Weiß ich doch“, kichert Kiki. „Du bist mein allerbester Freund und der Einzige, der mein Geheimnis kennt. Weil ich dir immer vertrauen kann. Ich verlasse mich auf dich.“ Sie zwinkert Kalle zu. Geschmeichelt lächelt der Waschbär.
Auf einmal merkt er, dass die Blätter der Bäume um ihn herum schon orange in der Abendsonne leuchten. Die beiden Freunde haben in der Aufregung ganz die Zeit vergessen. „Oh, die Sonne geht bald unter. Ich muss nach Hause gehen, sonst schimpft meine Mama. Wenn es dunkel wird, müssen wir uns auf die Suche nach dem Abendessen machen“, ruft er. Wie die anderen Waschbären auch ist seine Familie nachtaktiv. Erst wenn die Sonne untergegangen ist, es dunkel wird und die anderen Tiere schlafen gehen, macht er sich mit seinen Eltern auf die Suche nach Futter. Eigentlich mag er am liebsten Eicheln, die findet er auch tagsüber auf dem Waldboden. Aber nachts können sie ungestört sogar bis ins Dorf am Waldrand wandern und dort die Mülltonnen durchwühlen. Dabei finden sie immer allerlei leckere Sachen, die es im Wald nicht gibt, wie zum Beispiel Brotreste oder auch mal ein Stückchen Käse. Kalle drückt Kiki fest an sich, bevor sie zum Abschied ihren Schlachtruf schreien: „Freunde für immer, Freunde fürs Leben, zusammen werden wir viele Abenteuer erleben!“ Sie klatschen dabei in die Hände. Dann huscht Kalle schnell unter dem Busch hervor und ist verschwunden. Auch für das Eichörnchen ist es Zeit für den Heimweg. Ihre Mama wartet sicher auch schon. Kiki füllt das Loch vor ihr wieder mit der Erde, die sie vorhin weggebuddelt hatte, und verteilt sorgfältig einige Blätter auf dem Boden. Nun kann man ihr Versteck nur noch erahnen. Aber wer würde schon den Waldboden nach einem heimlichen Versteck absuchen. Als sie damit fertig ist, kriecht auch sie unter dem Strauch hervor und hüpft flink nach Hause. Sie muss grinsen, denn sie ist so froh, ihr Geheimnis endlich mit ihrem besten Freund teilen zu können. Es war sehr schwierig, alles vor ihm geheim zu halten, denn normalerweise erzählen sich die beiden alles. Nun ist er eingeweiht und das ist ein gutes Gefühl.
Am nächsten Morgen kommt Kalle gut gelaunt zu Kikis Nest. Das befindet sich hoch oben in der alten Eiche. Oben angekommen fragt er voller Vorfreude: „Kommst du mit spielen?“ „Ich kann heute leider nicht mitkommen“, sagt Kiki traurig. „Ich muss meiner Mama helfen, neue Nüsse für den Winter zu sammeln. Wir haben noch nicht genug Vorräte und für sie alleine ist es zu viel Arbeit. Da muss ich mit anpacken. Aber wir sehen uns morgen wieder“, verspricht sie. „Nun gut, dann eben bis morgen.“ Kalle verabschiedet sich, klettert den Baum hinunter und schleicht ein bisschen traurig davon.
Ziellos tapst er durch den Wald. Ohne Kiki ist ihm langweilig und mit seinen Brüdern will er nicht spielen. Die sind alle älter als er und ärgern ihn ständig. Immer wissen sie alles besser und wollen den Jüngsten der Familie doch nicht wirklich beim Spielen dabeihaben. Außerdem machen sie sowieso um diese Zeit am liebsten ein Nickerchen. Kalle ist aber gar nicht müde. Er kommt an der großen Waldlichtung an und setzt sich, an die Buche mit dem dicken Stamm gelehnt, auf den Boden. Er weiß nicht so richtig, was er mit sich anfangen soll. Plötzlich hört er neben sich ein Rascheln. Er schaut, aus welcher Richtung das Geräusch kommt, und – zack – taucht die kleine graue Maus Trixie neben ihm auf. „Was machst du denn hier?“, fragt sie ihn. „Na, ich sitze hier im Schatten, das siehst du doch“, entgegnet er. Was für eine Frage. „Ja, aber du sitzt doch sonst nicht alleine im Schatten. Wo ist denn Kiki? Ihr zwei seid doch sonst so unzertrennlich“, stellt Trixie spöttisch fest.

„Kiki hat heute keine Zeit. Sie muss ihrer Mama helfen, neue Vorräte für den Winter anzulegen.“ „Und nun ist dir langweilig“, stellt Trixie fest. „Ja, ein bisschen. Alleine spielen macht keinen Spaß und meine Brüder sind langweilig“, gibt Kalle zu. „Wollen wir etwas spielen?“, fragt Trixie. Eigentlich mag Kalle die kleine freche Maus nicht so gern, aber alleine sein mag er auch nicht. Außerdem will er kein Spielverderber sein. Also überlegt er kurz und schlägt dann vor: „Wollen wir Verstecken spielen?“ „Och nö, Verstecken ist so langweilig“, schnaubt Trixie und rollt mit ihren kleinen Äugelein. „Ich bin so klein, mich findet keiner und dann muss ich wieder stundenlang in winzigen Baumritzen sitzen bleiben“, jammert sie. „Darauf habe ich keine Lust!“ „Hmmm“, überlegt Kalle, der Angst hat, Trixie könnte es sich anders überlegen und ohne ihn wieder verschwinden. Noch dazu will er vor ihr auf keinen Fall wie ein Langweiler dastehen. Also muss er sich ein neues Spiel einfallen lassen. Was könnte die Maus begeistern? Auch wenn er sie nicht besonders gern hat, ist es ihm doch wichtig, was sie von ihm denkt. Langweilig soll sie ihn auf keinen Fall finden. Er grübelt und plötzlich hat er eine Idee. „Ich hab’s“, ruft er mit leuchtenden Augen und hüpft in die Luft. „Ich kenne da etwas sehr Aufregendes. Komm mit!“, sagt er und verschwindet. Die Maus folgt ihm und er steuert mit großen Schritten geradezu in die Richtung des großen Haselnussstrauches, bei dem er gestern mit Kiki war. Trixie ist trotz ihrer viel kürzeren Beine blitzschnell und steht schon neben ihm, als er unter die dichten Äste des Strauches kriecht. „Jetzt pass mal auf“, sagt er. „Du wirst dich wundern, was ich dir gleich zeige.“ Er gräbt genau an der Stelle, an der das Eichhörnchen am Vortag gebuddelt hatte, und schon nach kurzer Zeit kommt ihr Schatz zum Vorschein. „Nicht schlecht“, staunt Trixie.

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