Ungeküsst nach La Paz

Ungeküsst nach La Paz

Dieter Neth


EUR 22,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 488
ISBN: 978-3-99131-762-3
Erscheinungsdatum: 30.10.2023
Aufgrund Dieter Neths Interessensgebiete, die im naturwissenschaftlichen Bereich liegen, wird er häufig direkt als „Nerd“ abgestempelt. Doch sowohl ein Tapetenwechsel als auch ein Funken der Liebe können Wunder wirken und unvorhersehbare Abenteuer schaffen.
Prolog


La Paz – California, 13. Juni 1685

Nach endlosen 35 Tagen, welche die Expeditionsteilnehmer mit dem Aufbringen von Lebensmitteln und sonstigen Gerätschaften an der Küste von Sonora verbracht hatten, kam die kleine Flotte aus 3 Segelschiffen, La Almiranta, La Capitana und La Balandra unter dem Kommando von Admiral Isidoro de Atondo y Antillon erneut in der Bahia von La Paz in California an. Von dort wandte sich die Expedition nach Norden, an der vor 2 Jahren gegründete Missionsstation San Bruno vorbei, bis sie endlich Punta de las Virgenes Gordas, die Landzunge der dicken Jungfrauen, ansichtig wurden. Diese Landestelle befand sich direkt unterhalb der drei Bergspitzen, ruhende Vulkane, welche heute als Las Tres Virgenes bekannt sind. Hier wurde auf Wunsch des Paters Eusebio Kino, welcher mit Matias Goñi und Juan Bautista Copart für die Bekehrung und Unterweisung der hier vermuteten Eingeborenen verantwortlich war, eine Siedlung gegründet. Eine größere Truppe Soldaten, ausgerüstet zum Teil mit Pferden, Harnisch und Musketen, war zu ihrem Schutz und zur Mithilfe bei den Gründungsarbeiten der geplanten Missionsstationen mit dabei. Der Admiral hielt vor der Ausschiffung noch eine kleine Ansprache:
„Also Männer, wir stehen vor einem neuen Abenteuer in California. Ihr habt bestimmt schon von den alten Berichten von Cortés gehört. Irgendwo müssen wir hier also auf dieses Amazonenvolk mit ihren schwarzen Perlen treffen, wenn wir diese Insel nur lange genug durchsuchen. Seid mir aber nicht zu ungestüm. Die Patres wollen noch ein paar Seelen zum Retten haben, und Ihr findet an den Amazonen bestimmt auch mehr Gefallen, wenn sie leben! Die Perlen können wir ihnen dann umso leichter abnehmen! Also los! Haltet Ausschau nach Rauch von den Lagerfeuern und nach grünen Stellen wegen Wasser!“
Während die großen Segler draußen im tiefen, fast tintenblauen Wasser des Cortés Meers ankerten, erreichte die Expedition mit Ruderbooten das Festland. Aufgrund des unwegsamen, von steilen Felsenbergen und Schluchten zernarbten rötlichen Felsgebirges am Horizont verzichteten sie auf das Anlanden von Reittieren. Die Soldaten murrten und waren nicht besonders begeistert.
„Von wegen Amazonen! Hier lebt nichts und niemand! Ein Land des Todes, das uns bei lebendigem Leibe austrocknet und frisst.“
„Und wenn es sie gibt, sie sollen unbeugsam und wild sein, schwer bewaffnet und stark. Wer will sich schon mit so jemandem einlassen!“
„Vielleicht besänftigt sie dieser italienische Pater mit einem Segen oder ein paar geweihten Hostien!“
Dröhnendes Lachen schallte über die steinigen Hänge. Der Angesprochene hatte sich jedoch weit von der müden und ausgelaugten Truppe entfernt und stand bereits auf einer hohen Felskuppe, mit dem Theodoliten in der Hand und seinem Tagebuch. Sein schwarzer Rock und weitkrempiger Hut waren unverkennbar.
„Schaut euch den an! Der liest den Amazonen keine Messe! Rennt lieber mit diesem unnützen Zeug rum und schreibt unverständliches Zeug da in ein Buch. Wenn das sein Erzbischof wüsste! Seltsame Methoden, um Heiden zu bekehren. Und dann diese Marotte mit der Behandlung der Eingeborenen! Benehmt Euch wie unter Christenmenschen üblich, sagt er. Wie soll man so schnell an Gold und Perlen kommen?“
Jetzt stieg der Pater langsam von der Felskuppe ab, um auf dem Bergrücken stehen zu bleiben, um auf die Seinen zu warten. Die Truppe keuchte langsam über die steinigen, roten, fast vegetationslosen Hänge in der sengenden Abendhitze in die Höhe. Oben angekommen sahen die erschöpften Männer, dass es auf der anderen Seite steil nach unten ging, und dafür am Gegenhang umso steiler nach oben. Der Berghang dahinter war gut doppelt so hoch wie derjenige, auf dem sie standen. Tief im Osten lagen die Schiffe auf dem schimmernden Meer. Sie sahen ob der Höhe klein wie Spielzeuge aus. Am Horizont schienen weitere Inseln zu lagern.
„Was meinen Sie, Admiral, sind das da drüben auch Inseln oder schon die Küste von Sonora?
„Hm, das sind kaum mehr als 25 Leguas, Padre. Es dürften Inseln sein, alles Fels, wie hier. Jetzt sind wir schon 4 Tage hier in dieser Einöde unterwegs. Wir sind keiner lebenden Seele begegnet. Die Berge im Westen werden immer höher und die Schluchten tiefer. Mir scheint, wir kommen in die Gegend von Salsipuedes. Wenn wir uns da hinein verirren, kann es uns schlecht ergehen. Unser Wasservorrat ist bald zu Ende!“
„Lasst uns hier übernachten, dann sehen wir, ob wir morgen am Gegenhang hochkommen. Vielleicht erkennen wir nachts die Lagerfeuer der Einheimischen.“
Da kamen ein paar von den Soldaten herbei und verlangten, den Admiral zu sprechen. Sie waren erregt und sie fürchteten sich.
„Da vorne steht der leibhaftige Teufel hinter diesen Felsen! Hier bleiben wir nicht. Hier ist die Welt zu Ende, die Hölle nicht mehr weit. Man kann ja schon die Hitze fühlen!“
„Redet keinen Unsinn! Wo ist denn Euer Teufel, vor dem Euch derart fürchtet. Wenn Euer Glauben so groß wäre wie eure Goldgier, müsstet Ihr nicht so furchtsam sein.“
Der Pater ging eine kurze Wegstrecke in die angegebene Richtung und erkannte bald zwei spitze Auswüchse über den Felsen im Gegenlicht der untergehenden Sonne. Sie hatten merkwürdige seitliche Fortsätze. So etwas hatte er tatsächlich noch nie gesehen. Als er den Felsen umrundete, sah er einen merkwürdigen hohen Pfahl, der oben in zwei hornartigen Fortsätzen endete. Beim Näherkommen erkannte Kino, dass es sich um eine allerdings wunderliche Pflanze handeln musste. Sie war weißlich, wie ausgelaugt, hatte von oben bis unten kleine, laublose Ästchen und auch sonst nichts Grünes an sich. Sie mochte an die 20 varas (Ellen) hoch sein und etwa einen Fuß dick. Weiter unten gab es noch mehr von ihnen, die erste nennenswerte Vegetation seit Tagen. Von den sonst bei La Paz häufigen Sahuesos und Organos war hier nichts zu sehen, welche von den Einheimischen gerne wegen der Früchte und der als Kamm verwendeten Dornenkugeln genutzt wurden.
„Es ist eine Pflanze, ihr Angsthasen! Ein gutes Zeichen. Vielleicht wird es weiter oben endlich fruchtbar und grün!“
Aber am folgenden Morgen brannte die Sonne mit versengender Glut herunter, die Stimmung in der Truppe wurde immer schlechter und trotz der Fürsprache der Patres hatte sich Angst unter die Soldaten gemischt, die immer mehr der Meinung waren, dass sie am Ende der Welt und somit am Tor zur Hölle gelandet wären. Pater Kino gelang es aber noch, mit dem Hinweis auf eine Zeile von grauen Wolken, die sich über der vor ihnen auftürmenden Bergkette aufgereiht hatten, die lustlose Truppe bei Marschlaune zu halten. Sie begannen, einem Trockenbett nach oben zu folgen, welches glücklicherweise zu einem immer flacheren Tal wurde, umso höher sie kamen.
Hier oben schien die Luft allmählich frischer zu werden, man konnte wieder frei atmen. Der Pater wollte seine Beobachtung für sich behalten, sie mochte ja nur in seiner unbegrenzten Hoffnung existieren – aber die Männer schienen die Veränderung ebenfalls zu spüren und einige zeigten wieder freundlichere, beinahe erwartungsfrohe Gesichter. Hinter ihnen waren allerdings das tief unter ihnen liegende Meer und die drei Schiffe hinter einer Felswand verschwunden. Nach einer weiteren Stunde endete das nunmehr flache Tal auf einer flachen, allmählich nach Westen eintauchenden Hochebene. Eilig trieben ganze Felder von ballenförmigen grauen Wolken im frischen Wind heran, als ob sie von der eintönig-grauen, düsteren Wolkenschicht geboren würden, die tief über der Hochebene lagerte, welche sich unendlich weit in den Westen erstreckte, unsäglich öde, leer und bis auf die seltsamen wie umgekehrte Rüben in die ewiggraue Novemberdüsternis hinaufragenden Pflanzen völlig kahl. Eine weitab im Westen liegende Bergzeile steckte mit ihren bizarren Gipfeln im Nebelgrau. Hier oben gab es nichts, es hatte auch nie etwas gegeben! Hier war die Welt zu Ende, der Nebel mochte auf dem großen Südmeer liegen, welches zwischen dieser Insel und Asien mit dem lebensfrohen und reichen Manila erstreckt.
Der Admiral fällte noch vor Mittag die Entscheidung, zu den Schiffen zurückzukehren. Sie würden zur Küste absteigen, am Strand zurückgehen und dann nach Osten weiterfahren, um sich neu mit Proviant und vor allem Wasser zu versorgen. Soweit nach Norden war vielleicht außer Cortés noch kein Spanier gekommen, es mochte von Nutzen sein, die Beschaffenheit des Festlandes zu erkunden. Auch Pater Kino war deswegen mit dieser Entscheidung einverstanden.
Sie segelten mit gutem Südwestwind über das Cortés-Meer nach Osten, kamen an einer sehr großen und hohen, dabei aber völlig unfruchtbar-kahlen Insel vorbei und sahen, dass dahinter die Küste nicht mehr weit sein mochte. Das Meer war hier somit kaum mehr als 25 Leguas breit. Am 19. Juni warfen sie Anker in der Mündung einer Bahia, oder Meeresarm, welche sie entdeckten. Am folgenden Tag segelten sie um ein steiles Kap herum in eine weitere, halbkreisförmige Bahia, welche in einem Ästuar auslief. Diese Bahia bekam von Pater Kino den Namen Bahia de San Juan Bautista. Heutzutage ist diese weite Bucht unter dem Namen Bahia de Kino bekannt, der einzige Ort aller durch Padre Kino erforschten Gegenden, der seinen Namen trägt.
Der Pater bestieg gegen Abend das am westlichen Ende der Bahia sich erhebende, sehr hohe und steile Vorgebirge, um seine Positionsbestimmungen zu machen. Die zahlreichen Inseln und Halbinseln lagen wie zerbrochene Tonscherben im glitzernden Wasser. Der enge, scheinbar vom Land umschlossene Kanal im Westen war wenig einladendes Terrain für die großen Schiffe, weshalb sie daraufhin am Strand der flachen Bahia, welche sie Playa de Balsas nannten, Anker warfen. Man konnte hier hunderte von varas vom Strand ins Meer hinauslaufen, ohne schwimmen zu müssen.
Pater Kino hielt eine Messe für die Soldaten und als er sich anschickte, das Evangelium zu lesen, sprach er:
„Del Santo Evangelio según San Marcos!
„Hört! Siehe, der Sämann ging hinaus, um zu säen. Und es geschah, indem er säte, fiel das eine an den Weg, und die Vögel kamen und fraßen es auf. Und anderes fiel auf das Steinige, wo es nicht viel Erde hatte; und es ging sogleich auf, weil es nicht tiefe Erde hatte. Und als die Sonne aufging, wurde es verbrannt, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es. Und anderes fiel unter die Dornen; und die Dornen sprossten auf und erstickten es, und es gab keine Frucht. Und anderes fiel in die gute Erde und gab Frucht, indem es aufsprosste und wuchs; und es trug eines dreißig-, eines sechzig- und eines hundertfach. Und er sprach: Wer Ohren hat zu hören, der höre!“
Den Soldaten und Seeleute war der Gedanken von Ackerbau fremd und sie waren unaufmerksam, was Pater Kino nicht verborgen blieb.
„Was seid Ihr doch für unverständige Grobiane! Aber wartet, ich will’s euch verständlich machen! Seht, der Samen, der auf sandigen Boden fällt, ist wie eine rasch entflammte Liebe, welche aber rasch erstirbt unter den Widrigkeiten des Lebens, wegen fehlender Substanz. Der Samen, welcher von den Disteln und Unkräutern überwuchert wird, ist eine große Liebe, welche durch Neid und schlechten Rat zerredet und verdorben wird, bis sich die Liebenden trennen, weil ihre Liebe nicht stark genug ist, um sich zu widersetzen. Der Samen, der zwischen die Steine des Weges fällt, keimt nicht, wie eine Freundschaft zu einer Dame nicht zu Liebe wird, wenn es am fruchtbaren Boden der Leidenschaft fehlt. Der gute Boden schließlich ist eine Liebe, welche wächst und gedeiht und langsam heranwächst und zu einer gesunden kräftigen Pflanze wird, welche reiche Frucht trägt und allen Widrigkeiten des Lebens zu trotzen vermag und kein Unkraut um sich duldet.“
Die Männer schwiegen verblüfft. Dann sagte einer: „Mann Padrecito, man könnte glatt meinen, Sie verstünden etwas davon!“
„Na und ob! Mein Vater hat mir die Bibelstelle immer so ausgelegt, wenn er mich dazu überreden suchte, endlich eine Frau zu nehmen!“
Die Männer stimmten ein herzhaftes Lachen an. Der Pater fügte an, dass sein Gleichnis auch auf den Glauben passen würde. Zuallererst müsse man Gott lieben, dann wäre man auch bereit, irdische Liebe zu empfinden. Trotz dieser erbaulichen Predigt fanden sie am folgenden Morgen, dass sie wegen widriger Winde aus Südwesten, die eine Rückkehr nach California verhinderten, erstmal am Strand der Bahia de Balsas bleiben mussten. Sie saßen einstweilig fest. Pater Kino und ein paar von den Soldaten machten eine kleine Tagesexpedition in die steinigen trockenen Berge hinter der Bahia. Es gab hier etwas mehr Bewuchs als zuletzt in California, und ein Soldat wies auf 3 seltsame, in bleichem Weiß schimmernde Gewächse hin, die auf einer Sanddüne standen und etwa einen Meter hoch senkrecht in den Himmel zeigten.
„Sehen Sie mal, Padrecito, die können Sie als Altarkerzen nehmen, wenn Sie hier eine Kirche bauen wollen!“
Die Pflanzen schienen dieselben zu sein, die in California die Leute so erschreckt hatten. Interessiert schaute Kino die Pflanzen an und machte sich ein paar Notizen. Sie stießen in ein flaches, langgestrecktes Tal vor, das voller Distelbäume stand, dieselben, die sie von California kannten, und Cardón getauft hatten. Auf einigen klebten leuchtend rot gefärbte Blumen, sie bemerkten dann beim Näherkommen, dass es Früchte sein mussten, weil an den im Sand liegenden Stücken zahllose Ameisen krabbelten. Mit einer Lanze schlugen die Soldaten einige herunter und zu ihrer Überraschung hatten sie einen süßen Wohlgeschmack. Es musste sich somit um eine andere Pflanze handeln.
Am 29. Juni entdeckten sie endlich eine tiefe Flussmündung, wo Indios damit beschäftigt waren, Austern und Muscheln aus dem bis zu 7 brazas (13 Meter) tiefen Wasser zu ziehen. Dies war die am weitesten landeinwärts gelegene Stelle der von Pater Kino und seiner Expedition entdeckten Bahia. Die Indios erzählten von einem mächtigen Fluss, der von Ures und Cucurpe herunterkam und zur spätsommerlichen Regenzeit enorme Mengen an Stämmen, Ästen und Röhricht anschwemmte, welche noch jetzt sichtbar waren. Sie fragten sie nach den süßen Früchten. Sie kämen von den Sahuaros, meinten sie. Bald würden sie ausschwärmen und sie einsammeln.
Die Indios lebten damals auf einer von allen Punkten der Bahia gut einsehbaren Insel. Sie waren unter den Spaniern in Sinaloa als Seri bekannt und als unzivilisierbare Wilde, Kannibalen gar, berüchtigt. Hierher wollten sich die Spanier dann vor dem sich verstärkenden Südweststurm zurückziehen, um die Schiffe zu schützen. Der ungünstige Wind sollte die Abreise der Expedition nach La Paz für volle 45 Tage verhindern. Pater Kino wusste damals noch nicht, dass er sein geliebtes Niederkalifornien für Jahrzehnte nur noch aus der Ferne sehen und La Paz niemals wiedersehen sollte. Zunächst brauchten sie aber wieder Trinkwasser, was die Expedition eine ganze Kiste voller Gebrauchsgegenstände für die Seri kostete, damit sie aufs Festland auf Wassersuche gingen.
Als die Spanier auf der Insel ankamen, wurden sie von den Seri am Strand willkommen geheißen. Es waren ihrer nicht viele, vielleicht ein paar Dutzend – Männer, Frauen und Kinder. Ein hochgewachsener Indio stand ein wenig abseits, in Begleitung zweier weiterer Eingeborenen.
„Im Namen meiner Brüder des Volkes der Comcaac wünsche ich die fremden Reisenden hier in unserer Wohnstatt willkommen!“, sprach der hochgewachsene Anführer in geläufigem Spanisch.
„Im Namen Gottes des Allmächtigen grüße ich meine neuen Brüder und erbitte Gottes Segen für unsere Freundschaft und Zusammenarbeit. Wir sind dankbar, dass wir bei Euch wohnen dürfen, bis besserer Wind unsere Weiterfahrt erlaubt.“
Damit gingen die Spanier an Land. Die Soldaten waren von den Indio-Frauen sehr angetan, waren sie doch von stolzer, schöner Gestalt und wirkten überdies freundlich. Der, der sie angeredet hatte, setzte sich mit seinen Begleitern zum Admiral und den Patres. Es waren seine Kinder, Sohn und Tochter. Er wurde von den Spaniern als Cacique angeredet, doch der Indio wehrte ab:
„Ich bin ein Gleicher unter meinen Brüdern, und lehre sie alles über die Götter und wo wir Wild und Fische finden, um keinen Mangel zu leiden. Bei uns ist aber jeder Mann sein eigener Herr und Meister. Ich bitte Euch, auch meine Kinder zu begrüßen. Auch sie haben von mir Kastilisch gelernt!“
„Das tun wir gerne, und es erfreut uns die Bekanntschaft Deiner Kinder machen zu dürfen. Aber jetzt sind wir müde und würden uns gerne ausruhen!“
„Dann kommt mit in mein Haus, auf dass ich Euch ein Lager anbieten kann. Die restlichen Eurer Männer werden von meinen Brüdern versorgt werden. Wir wollen alles, was Ihr wisst, von Euch lernen. Wir haben gehört, dass Ihr Bartträger große Weisheit in euren Köpfen trägt.“
Die Tochter des großgewachsenen Indios ging voran. Sie war groß gewachsen, wie ihr Vater, von dem sie wohl ihre recht breiten Schultern geerbt hatte. Ganz schwarzes, herrliches glattes Haar, das ihr bis an ihre schmale Taille reichte. Ihre sonnengebräunte Haut spielte fast ein wenig ins Bronzefarbene. Sie hatte eine vollerblühte formvollendete und dabei kräftig wirkende Gestalt, welche ihr einen königlichen, geschmeidigen Gang verlieh. Die Soldaten sprachen miteinander, in der Meinung, diese India würde sie nicht verstehen.
„Sieh mal einer an, unser Admiral hatte also doch recht. Das ist eindeutig Calafia, die Amazonenkönigin!“
„Mann, dass diese Wilden sich an so einer erfreuen dürfen. So eine gibt es in ganz California nicht“
„In ganz Neuspanien nicht, Trottel! Mal sehen, ob sie mit sich reden lässt, ich würde mich nicht zweimal bitten lassen“
„Ausgerechnet bei Dir, Du kriegst ja nicht mal eine, wenn Du sie bezahlen willst, und außerdem kommst Du dem Admiral ins Gehege. Hast Du nicht gesehen, wie er sie angeschaut hat?“
Ob dieses Geredes drehte die junge Frau diesen Schwätzern ihr Gesicht zu, ein Gesicht rund wie der volle Mond, mit großen mandelförmigen Augen. Sie streifte sie mit einem Blick aus ihren pechschwarzen Augen, der sie verstummen ließ.
In den folgenden Wochen beschäftigten sich die Patres damit, die willigen Seris im christlichen Glauben zu unterweisen, während die anderen zusammen mit den Soldaten in der Bahia auf Fischfang ausgingen, oder den Seevögeln, die in großer Zahl auf der Insel nisteten, bei ihren Flugkunststücken zuzusehen, oder sich gelegentlich bei ihren Eiern zu bedienen, wenn sie sicher sein konnten, dass sie einigermaßen frisch waren. Die besten Fänge wurden dazu benutzt, sich die Gunst der von den Spaniern weiterhin Calafia genannten Tochter des spirituellen Leiters der Seris zu erwirken.
Aber keiner ihrer zahlreichen Verehrer fand Gnade vor ihren dunklen Augen, gleichviel, ob Indio oder Spanier. Sie saß meistens in der Unterweisung oder verrichtete die Hausarbeit für ihren Vater. Eine Mutter schien es nicht zu geben, sie mochte verstorben sein. Die Patres erzählten ihren Schützlingen von ihrer Religion, wobei sie ihr Leiter nicht nur gerne gewähren ließ, er hörte Pater Kino ebenfalls häufig zu, und nahm ihn zum Abend hin des Öftern beiseite.
„Jetzt hat mein Bruder im schwarzen Rock viel von seinem Gott erzählt und es scheint uns, dass Deine Worte gut sind. Wir möchten, dass Du hier bei uns bleibst und uns weiterhin all jenes erklärst, was wir nicht kennen. Wir bauen Dir ein Haus oder einen Palast, von dem Du in Deinen Gesprächen immer erzählst, wo Ihr die Feier zu Ehren eures Gottes abhaltet. Ich lasse Dir Pferde und Lebensmittel vom Landesinneren bringen, damit Dir nie etwas fehlen möge.“
„Das wird nicht möglich sein. Ich muss wieder zurück zu jenem Land dort drüben. California. Es warten dort Menschen, die meiner Weisheit ebenfalls bedürfen.“
„Was will mein Bruder in jenem schlechten Land? Dort ist das Ende der Welt, wo Riesen und Geister im Nebel hausen und kein Sterblicher lange leben kann. Hier ist das Tor zum Ende der Welt, der letzte Ort, wo Menschen leben sollen. Auch hier bleiben wir nicht lange, sobald der Regen kommt, gehen wir nach Osten, um dem Hirsch nachzustellen und aus den Früchten der großen Dornenbäume Mus und einen Trank zu machen, der dabei hilft, mit den Göttern zu sprechen.“
„Wir haben dort drüben auf der Insel California ein Dorf aufgebaut, um die Pflanzen anzubauen, woraus das Brot gemacht wird, das wir Euch gegeben haben.“
„Das wird nicht möglich sein. Der Regengott hat dieses Land verflucht und von seinen Gaben ausgenommen. Er will nicht, dass dort Menschen siedeln. Du kannst es hier viel besser haben. Ich habe mit meiner Tochter gesprochen und weiß, dass sie Dir gefällt!“
„Das muss ein Irrtum sein, ich habe nichts dergleichen gesagt.“

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