Das galaktische Gottesreich

Das galaktische Gottesreich

Ein fantastischer Bericht

Reinhold Tauber


EUR 18,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 246
ISBN: 978-3-99146-119-7
Erscheinungsdatum: 21.12.2023
Kennen Sie das heilige Land Sib? Ein Hinweis: Es wird von Zar Wlad I., dem Prächtigen, regiert. Nein? Zugegeben, es ist ein fiktives Land in einer fiktiven Welt. Beim Lesen werden Ihnen die Personen und Orte jedoch gewiss bekannt vorkommen.

Eine Einleitung: Das Reich

Die Geschichte von Anfang an.
In die Berichts-Chroniken der Welt wurde er eingetragen als „Zar Wlad I., der Prächtige“.
Dieser Bericht folgt den Berichten. In dem Reich, das er beherrschte, schien fast ohne Unterbrechung die Sonne. War sie an dem einen Ende angekommen und senkte sich unter den Horizont, tauchte sie schon fast wieder am anderen Ende des Reiches über eben diesem wieder auf. Sein Kern, ein heiliges Land*, war über große Strecken leer wie vor Beimengung des Menschen in die Landschaft, der da und dort in diese eingesickert war. Der Kern war bewachsen von riesigen lichten Wäldern, auf dessen Böden essbare Pilze wuchsen (die Grund- oder überhaupt) Versorgung der Zweibeiner, durchtrabt von essbaren Vierbeinern, deren Genuss allerdings Vasallen des Prächtigen vorbehalten war.
Er war Herrscher, nicht, weil er etwa fürstlichen Geblüts mit Herrschafts-Tradition war, sondern weil er seinen Herrschaftsweg geebnet und freigesichelt hatte von Elementen, die er als Wildwuchs auf diesem beurteilt und als solchen behandelte, zur Harmonisierung der Verwaltung und allgemeiner Meinung, was zum inneren Frieden beitrage. So hatten die Bewohner dieses Kernlandes, die Demokraten genannt wurden, bei einer als demokratisch bezeichneten Wahl zum Staatsführer keine andere Wahl als jene für ihn. Der Wildwuchs wurde dem Bioabfall zugeordnet.
So war er vorangeschritten zu Macht und Pracht und Herrlichkeit.
Der Boden seines Kernlandes war ertragreich sowohl ober als auch unter der Erd’. Es strotzte von zu vergoldenden Elementen aller Aggregat-Zustände: Fest (brockig bis bröselig, schürfbar), flüssig (ölig, hochpumpbar), gasförmig (hochsaugbar). Dazu kamen als vierter seine von der Bevölkerung bewunderte Gelehrsamkeit, Weisheit, Fürsorge um das Land und seine Bewohner, dessen Boden reingehalten wurde von schädlichen Elementen, die sich immer wieder auf dem Boden festzusetzen versuchten wie Unkraut. Die Reinhaltung musste von Zeit zu Zeit erfolgen (wie ja auch Hausfrauen es nicht dabei bewenden lassen können, nur einmal Staub zu wischen, und damit habe es sich). Im fernen Osten des Landes gab es Einrichtungen, in denen es wie in Ameisenhaufen wimmelte von in allen Regionen zusammengekehrten Elementen, die versucht hatten, andere Wege einzuschlagen als die von dem Prächtigen gemäß vereinheitlichter Straßenverkehrsordnung vorgeschlagene. In den Ameisenhaufen vergleichbaren Einrichtungen wurden die Zusammengekehrten zu fleißiger, wenn auch auf Zeitablauf programmierter Tätigkeit ermuntert. Die Abläufe mussten immer knapper programmiert werden, um die vielen Zubringertransporte nicht in Unordnung geraten zu lassen. Die wurden immer mehr, weil eben der Wildwuchs sich trotz aller Vorkehrungen nicht ausrotten ließ, sondern sich in jüngster Zeit sogar zu verstärken drohte. Das auf Ablauf projektierte Ameisenende erfolgte gemäß dem frommen Finalspruch „Vom Staube bist du, zum Staube kehre zurück“, wegen Platzmangels durch Absenkungen in die heilige Mutter Erde in Sammelgruben wie in Nachbarschaft antiker Arenen.
Die Aggregatzustände in Materialform wurden von dem Prächtigen in alle Welt verteilt zu deren Wohlbefinden. Die Welt dankte es ihm mit reichlich Gold, das er zu einem Turm zu schlichten trachtete, der bis an den Himmel reichte, auf dass dessen von der Sonne beleuchtete Spitze in alle Welt strahle wie vordem die Spitzen der Pyramiden eines uralten Reiches* im Norden des südlichen Kontinents. Mit dem Bau hatte er schon begonnen, die Basis war gelegt, der Turm wuchs stufenweise und hatte bereits die Eigenhöhe des Prächtigen erreicht.
Er hatte um sein Kernland gelegene Länder gesammelt wie andere Briefmarken und deren adaptierte, harmonisierte Verfassungen eingeklebt in sein eigenes Buch des Staatsrechts. Wenn ein Land sich sträubte gegen das Einkleben seiner angepassten Verfassungen in des Prächtigen Buch des Staatsrechts, wurden die sich Sträubenden präzisionsmäßig zerstäubt, wobei Städte und Landschaften in Trümmer barsten. Über den dabei entstandenen Meeren von Material und Menschenresten erschien der Prächtige wie ein Phönix, der sich allerdings nicht erst den Staub und die Asche vom Gefieder streifen musste.
Die Berechtigung zum Befriedigen seines Sammeleifers erteilte ihm wie auch andere Berechtigungen die „Geka“*, das urdemokratische Element der parlamentarischen Gutheißung (sogar schon zu früherer Fürstenzeit eingeführt), die er zum Schluss einer Sitzung gemäß antikem Mahnspruch nicht verließ ohne (nur ein Beispiel) den Hinweis „Ceterum censeo Sancristom esse delendam“, was zu geeignetem Zeitpunkt auch bejaht und die dafür vorgesehene Sonderaktion genehmigt wurde. (Dazu später mehr.)


Marginalie 1: Die Geka
Die monatliche Vollversammlung der Volksvertreter hatte vollzählig zu sein. Einziger genehmigter Nichterscheinungsgrund war mit ärztlicher Bescheinigung oder mit Bestattungsbestätigung beglaubigter Tod. Hatten die Volksvertreter Platz genommen, senkten sich von einem zentral gesteuerten Schnürboden Stricke mit Schlingen herab. Die Schlingen mussten unter den Achseln durchgezogen werden. Wurde zur Abstimmung geschritten, wurden die Stricke hochgezogen und die Abgeordneten in stehende Position gebracht, in der sie mit dem Mittelfinger der erhobenen rechten Hand die Zustimmung zum Antrag erteilen mussten, worauf sich die Stricke absenkten und die Abgeordneten sich wieder in Sitzposition bringen konnten. Es war allgemein nicht bekannt, ob ein Abgeordneter diese freiwillige Bekundungsaktion mit dem Mittelfinger der linken Hand vorgenommen hätte, was gemäß allgemeiner Definition als Zeichen mit dem sogenannten „Stinkefinger“ und also Ablehnung bedeutet hätte.

Doch, einmal: Als der „Stinkefinger“ der linken Hand eines Abgeordneten sichtbar wurde, senkte sich aus dem Schnürboden ein zusätzlicher Strick mit Schlinge, die sich um den Hals des Abgeordneten legte, worauf dieser Zentralstrick mit dem daran Befindlichen wieder hochgezogen wurde. Die Achselstricke flankierten den Vorgang in lockerer Begleithaltung. Auf dem Schnürboden protokollierten die auf und ab schnürenden Parlamentssekretäre das unmittelbar geahndete Abweichlertum mit der zur Vollständigkeit gehörenden Ergänzung, es sei kein Mittelfinger der rechten Hand feststellbar gewesen, weil dieser (so ergaben Blitzrecherchen) samt der dazugehörigen Hand und diese samt dem ihr zugehörigen Arm dem Abgeordneten bei einer Sonderaktion in einem einzugemeindenden Land durch eine Granate abhandengekommen war.

Marginalie 2: Über körpernahe Rechtsdienstleistungen
Vor kurzem hatte die Geka eine wichtige verfassungsrechtliche Entscheidung von großer Bedeutung getroffen. Sie festigte das Fundament der Rechtsprechung mit Regeln, die schnelle Entscheidungen in Notfällen betrafen. Notfälle waren dann gegeben, wenn querdenkende Elemente an den von dem Prächtigen definierten Fundamenten des Staatsganzen rüttelten, da es schon im Ansatz zu verhindern galt, was gegen die verfassungsmäßig definierte Straßenverkehrsordnung der Verwaltungswege gerichtet war.

Waren solche Elemente dingfest gemacht worden, wurde gemäß genau bestimmten körpernahen Rechtsdienstleistungen im Sinne der verfassungsmäßig verpflichtenden Transparenz aller die Allgemeinheit betreffenden, sie bewegenden und interessierenden Angelegenheiten vor aller Augen im Palast des Rechts vorgegangen: Urteil und Vollzug wurden über Video auf Großleinwänden auf alle großen Plätze der großen Städte des Landes übertragen. Auf den Videos waren von Morgengrauen bis Morgengrauen die Ermahnungen des Prächtigen zu Wohlverhalten, Lohn für Wohlverhalten sowie spürbarer Tadel für Nichtwohlverhalten zu sehen und zu hören, unterlegt von Melodien aus dem weltbekannten, thematisch passenden Musikwerk „Die Macht des Schicksals“. Die Ermahnungen wurden zu eingeblendet angekündigten Zeiten unterbrochen, um eben der Transparenz der Rechtsdienstleistungen zu entsprechen, die in Blockabfertigungen erfolgten, der Rationalität wegen. Zu diesen Zeiten hatte der Verkehr in den Städten stillzustehen und es hatten aller Augen sowohl der gehenden Volkselemente als auch jener in rollendem Gut Sitzenden auf die Schau-Wände gerichtet zu sein. Seitwärts gerichtete Augen deuteten auf Nichteinverständnis und emotionales Abweichlertum des Augeneigners, was durch ein Dutzend Kameras auf jedem Platz mit automatischem Bildfixieren jedes Elements festgestellt wurde, dessen Personsdaten im Identifizierungs-Zentralspeicher abgerufen werden konnten. Dies führte zur umgehenden Vorladung in den Palast des Rechts zur Darlegung der Gründe des Augen-Abweichens, wobei – eine Serviceleistung des Staats – die Vorladung mit einer Fahrt in den Palast in fensterlosen Fahrzeugen verbunden war, mit gründlicher Rechtsbelehrung schon während der Fahrt, die beim Eintreffen am Palast abgeschlossen war. Während der Fahrt entstandene kleine Schäden an der Struktur des Belehrten waren erklärbar durch heftiges Schütteln des Fahrzeugs in Kurven auf zuweilen Unebenheiten aufweisenden Straßen mit versehentlichem Anschlagen des Reisenden an die Fahrzeugwände. Waren die Gründe plausibel – z. B. verrutschtes Glasauge, seit der Geburt Fehlstellung des Auges (medizinisch festgestelltes „Schielen“) –, wurde der Überprüfte nach Hause geschickt, wobei der Rücktransport auf eigene Kosten des Überprüften mittels öffentlichen Verkehrsmittels erfolgen musste, da der Staat aus Kostenminderungsgründen keine derartige Leistung erbringen konnte. In den meisten Fällen war ein Rücktransport ohnehin nicht nötig, da unbefriedigende Erklärungen deutlich festgestelltes Abweichlertum erkennen ließen, was zur sofortigen Verwahrung bis zum Urteil und der in diesem ausgesprochen notwendig gewordenen körpernahen Rechtsdienstleistung führte.

Diese Dienstleistung erfolgte in Varianten, da der Prächtige ein starres Schema in der Leistungsverordnung aus humanitären Gründen ablehnte. (Die formell zugelassenen Menschenrechts-Organisationen hatten die Elastizität der Dienstleistung eingehend geprüft und als menschenrechtskonform erkannt, was sie auch internationalen Organisationen außerhalb des Wirkungsbereichs des Prächtigen mitteilten.)

Die Dienstleistung im Detail:
Wöchentllich erfolgte die Erledigung eines „Zehnerblocks“. Die Zehnerschaft, des Terrorismus überführt (Hauptparagraf der Rechtsprechung, dazu später mehr), wurde in den Saal der Finalisierung im Palast des Rechts mit der Übertragung für die Öffentlichkeit geführt. In einer Urne (zu der wir gleich kommen) lagen nummerierte Kuverts, in jedem drei Scheine mit jeweils einem Piktogramm: Kugel, Strick, Spritze. Ein Waisenmädchen aus einer bereits eingemeindeten Region (von denen gab es viele) mit verbundenen Augen – Symbol der unparteiischen Justitia – griff ein Kuvert. Dieses wurde vom Vollzugsbeauftragten geöffnet. Das Waisenmädchen zog aus diesem einen Schein. Gezogene Nummer und gezogenes Piktogramm wurden der Zehnerschaft mitgeteilt, worauf die jeweils gewählte Einheit aus der Rückseite des Saales in den Vordergrund geschoben und die Erledigung kameragerecht vorgenommen wurde. Zuvor aber war die Begnadigung des Zehnten ausgesprochen worden (die Reihung erfolgte nach dem Zufallsgenerator). Der erhielt einen Schein mit allen drei Piktogrammen und dem Zusatzbescheid: „Nichtzutreffendes streichen“. Er wurde aus dem Block gestellt und seine Wunschkennzeichnung zuletzt ausgeführt.

Ursprünglich war eine größere Zahl von Piktogrammen geplant. Doch die Möglichkeiten etwa des besonders in Ländern mit ausgeprägter demokratischer Gesinnung beliebt angewandten elektrischen Stuhls sowie der besonders in einem Westland des zentralen Kontinents zur Rechtspflege sehr beliebten Garrotte schieden aus, da diese technischen Einrichtungen mit internationalen Patentrechten versehen und Anfragen auf Anwendungs-Genehmigungen unbeantwortet geblieben waren. Auch auf das Piktogramm Hacken wurde nach eingehender Erörterung im engen Beraterrat des Prächtigen verzichtet, da dies als Anbiederung an die Rechtspflege eines besonderen „Staats“* im südlichen nahöstlichen Bereich hätte gedeutet werden können, mit dem man aber grundsätzlich nichts am Hut hatte. Allerdings wollte man auf die auf hohem Qualitätsniveau arbeitenden Erledigungsfachleute jenes „Staats“ nicht verzichten, die sich in ihrer kargen Freizeit als genehmigte Teilzeitarbeiter betätigen durften. Diese Übereinkunft erfolgte nach heiklen Verhandlungen im diplomatischen Hintergrund. Freilich mussten die Teilzeitarbeiter umgeschult werden auf ihnen neue Praktiken, doch waren sie sowohl lernbegierig als auch schnell von Begriff.


Damit kommen wir zur Urne als einer Besonderheit der Dienstleistung, ihrer Vorgeschichte und Anwendung:

Der Triumph des Kläffers

Es war der abgesägte Oberteil einer Besonderheit, Instrument nachdrücklicher Unterstützung der Realisierung territorialer Vorstellungen. Entwickelt wurde es in einem kleinen Ostland*, ziemlich weit von dem Zarenreich entfernt. Jenes Land wurde beherrscht von einem selbst ernannten Einzelverwalter, formatmäßig so breit wie hoch, eine wabbelnde Würfelmasse.


Es war dieses kleine Land bewohnt von einer kleinwüchsigen zähen Population, deren Techniken der Verteidigung gegenüber nicht willkommenen Eindringlingen von normaler Behandlung der Gegner wie in einem seriösen mittelalterlichen Turnier ziemlich abwichen. War in einem solchen seinerzeitigen Turnier der Gegner im Kampfspiel seines halben Gesichts beraubt worden oder überhaupt ohne Absicht seines Lebens, entsprach das den Regeln. Die zähen Kleinwüchsigen behandelten ihnen ins Netz gegangene Mitglieder eingedrungener Einsatztruppen wie Schlachtergesellen Ochsen und Kühe vor endgültiger Zerlegung. Internationale Menschenrechtsbeobachter begleiteten die Methoden mit wenig Beifall, was die zähen Kleinwüchsigen wenig kratzte. Die militärischen Vertreter des ansonsten erfolgsgewohnten großen Westlandes hatten seinerzeit schließlich die Flagge streichen müssen, was ihrem Selbstbewusstsein schweren Schaden zufügte, aber die Scharte wechselten sie anderswo wieder aus.


Nun waren Begleiter auf dem Weg des einem antiken Würfelhocker* ähnelnden Landesverwalters an die Macht einer nach dem anderen ausgerutscht, ohne den Weg fortzusetzen, da sie auf ihrem eigenen Blut ausgerutscht waren. So ging er schließlich allein durchs Ziel nach zügigem Marathon des Voranschreitens.
Er hatte jedoch einen Ehrgeiz. Er wollte es den Großen der Welt gleichtun, sich auf eine Stufe mit ihnen, auf Augenhöhe stellen. Er versicherte sich mit Geldmitteln, die er erbarmungslos aus dem armen Volksboden presste, der besten Experten der Anwendung erweiterter physikalischer Prinzipien in Instrumenten der Untermauerung seiner Vorstellungen von seiner Position in der Rangordnung der Mächtigen der Welt. Er bezahlte manchen mehr als das Land ihrer Herkunft, das ihnen weniger Erfolgsgebühr entrichten wollte, als der Würfelhocker anbot (wie etwa Legionäre im als friedlich bezeichneten Kampfsport Fußball wie Aktien verschachert werden). Die Legionäre wurden (was in den von ihnen unterschriebenen Dienstverträgen nicht zu lesen stand) sofort nach ihrer Ankunft kaserniert und hatten täglich Fortschritte in ihrer Arbeit aufzuweisen. Kein Fortschritt bedeutete wie in der allgemeinen Wirtschaft Rückschritt und wurde mit dringend erbetener Aufholung desselben bedacht. Die mit plausiblen Argumenten begleitete Aufforderung hatte meist die Entwicklung immenser geistiger Fähigkeiten zur Erreichung des Planziels zur Folge.
Das Planziel war ein Instrument, das den Würfelhocker seiner Meinung nach in das Konzert der Mächtigen der Welt einfügte. Er war wie ein Kläffer in einer Hundemeute, der seine Kleinheit durch wütendes Bellen ausgleichen muss, wobei ihm nur die Gutmütigkeit Größerer erspart, eins auf die Schnauze zu bekommen. Das schließliche (auch nur als Zwischenschritt gedachte) Ergebnis der Entwicklungsarbeit war das „Neutrinchen“*, von dem die Welt alsbald Notiz zu nehmen hätte. Der die Welt laut anbellende Würfelhocker war jedoch auch Geschäftsmann. So reichte er das Neutrinchen bei der globalen Patentbehörde ein mit der Überlegung, es erstens rechtlich kopiersicher zu machen und zweitens sodann das Produkt einkommensintensiv zu vermarkten. Die Behörde hatte gewisse Bedenken, dem Begehr zu entsprechen, und trug die Sache dem sogenannten Sicherheitsausschuss der Welt-Staatenvereinigung* vor. Diese Vereinigung, als Alibi-Instrument der Weltbevölkerung von wenig Nutzen, aber hohen Kosten, erging sich in jedem Entscheidungsfall in Kommissionen und Unterkommissionen, wo die Angelegenheiten irgendwann im Sumpf der wirkungslosen Strukturen versanken. Eine solche Einrichtung war eben der Sicherheitsausschuss der Staatenvereinigung, dem die Großen der Welt – hauptsächlich aus den Großregionen West und Ost stammend, widerwillig geduldet jene aus dem Zarenreich – angehörten. Sie teilten sich formal nicht erkennbar, aber faktisch wirksam die Welt nach ihren eigenen Vorstellungen auf, denen die Gesamtgemeinschaft zuzustimmen hatte. Der Ausschuss empfahl, das Patent zu genehmigen mit einer wichtigen Einschränkung in den künftigen Nutzungsverträgen: Das Produkt dürfe ausschließlich zur Eigenverteidigung genutzt werden.


Diesem Passus stimmte der Würfelhocker zu, da in den Verträgen keine Definition der Art der Selbstverteidigung verlangt würde. Das schlösse den Begriff der „Vorwärtsverteidigung“ ein, der erweiterte Interpretationsbegriff stelle keine Vertragsverletzung dar. In einem individuellen Zusatz zu der sogenannten Staatsverfassung seines Landes, den in das internationale Übereinkommen einzufügen er keinen Anlass sah, war das Recht vorgesehen, als Erster Neutrinchen einzusetzen, wenn ihm danach war.


Die Pläne zu der Entwicklung waren den Mitgliedern des Ausschusses stückweise schon bekannt. Ihre Experten des Datenerwerbs arbeiteten an der Sicherung der Puzzle-Stücke fleißig, wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Enttarnungen vieler guter Mitarbeiter der Auftraggeber und deren öffentliche Neutralisierung auf dem Hauptplatz der Hauptstadt des Landes des Würfelhockers verzögerten oft die Übermittlung der Teilpläne. Also musste man sich bei Bedarf vorderhand auf das Anmieten des durchaus Beifall verdienenden Produkts beschränken, ehe man selbst so weit sei, durch kleine Variationen des nachgebauten Produkts dieses als Eigenentwicklung ohne rechtliche Verletzung des Datenschutzes und des Patents auf den Markt zu bringen.
Es war eine von der Welt bewunderte Entwicklung. Sie wurde in mehreren Varianten von unterschiedlicher Wirkungsweise angeboten. Nicht dem Land des kläffenden Würfelhockers zugehörende Experten in Explosivwirkungstechnik berechneten, dass zehn von der effektivst wirkenden Klasse der Neutrinchen, gebündelt wie Stangen des sogenannten Dynamits, entzündet einen Krater von Trichterstruktur ergäben, der bis zum Erdmittelpunkt reiche und die Erde ausrinnen lasse wie ein likörgefülltes Schokoladebonbon im Mund des Genießers, da die Erde ja schließlich als solche ein Bonbon sei, gefüllt mit heißem nougatähnlichem Weichstoff.
Es war ein Produkt, das auch dem zeitgemäßen Schlagwort von „erneuerbarer Energie“ entsprach, eine Zweikammer-Einrichtung. Beispiel die kleinste Variante: Die eine enthielt den Treibstoff, die andere das Arbeitsmaterial (garantierte Erfolgsleistung auf zehn km² mit dem Vorteil der Begrenzung auf diese Fläche ohne Gefahr der Luftverschmutzung darüber hinaus). Das Ziel wurde einprogrammiert. Über dem Ziel wurde das Arbeitsmaterial ausgestoßen und das um dieses Gewicht erleichterte Neutrinchen konnte mit der zweiten Treibstoffhälfte wie ein Bumerang heimkehren zur neuerlichen Auffüllung und Programmierung. Diese umweltfreundliche Entwicklung wurde sowohl von der Weltgesundheitsorganisation – eben der sauberen Eingrenzung der taktischen Vorwärtsverteidigung wegen – als auch von der GUTO (Galactic Unit Treaty Organization) anerkannt und zur Nutzung empfohlen. Zar Wlad I. dem Prächtigen wurden sie schon verleast, was die GUTO allerdings zur Erzielung und Aufrechterhaltung des sogenannten „Gleichgewichts des Schreckens“ für ihre Partnerstaaten auch begehrte, aber, wie gesagt: Das sollte sich noch hinziehen.
Jetzt wieder zur Urne.
Diese war eben das abgesägte Oberteil eines vom Zaren bestellten Neutrinchens, das eine besondere Aufgabe erfüllen sollte. Es war programmiert worden auf das sogenannte Weiße Haus in der Hauptstadt des großen Westlandes*, da der dem Zaren zugeneigt gewesene Präsident des Landes, seinerzeit auf den Thron gehievt mit effektiver Wahlhilfe von IT-Experten des Zarenbüros, abgelöst worden war von einem Präsidenten, dem man nachsagte, für den Zaren nur geringe Sympathien zu hegen. Es sollte also Vorkehrung getroffen werden, im Sinne der Vorwärtsverteidigung möglichen Schaden schon im Vorfeld zu verhindern.


Allerdings wäre dies ohnehin nur die „gelbe Karte“ gewesen, um allfällige spätere Verhandlungen zur Schaffung einer friedlichen Koexistenz nicht zu gefährden. Wäre die „rote Karte“ gezückt worden, hätte das die Einebnung von 30 der 50 Bundesstaaten des großen Westlandes inklusive der Hauptstadt bedeutet. Das wollte man sich für allfällige spätere Aktionen vorbehalten.


Leider hatte dieses Neutrinchen ein Problem: Die Hauptplatine (ein aus dem großen Ostland* bezogenes Zubehör) versagte im vor der Lieferung an den Auftraggeber vorgesehenen Test, so dass das Neutrinchen sozusagen blindging. Das Arbeitsmaterial hatte sich infolge eingebauten Sicherheitsmechanismus ohne gezündet worden zu sein in den Kanal der Test-Abschussrampe ergossen, unter Mitentsorgung des mit der Entsendung des Neutrinchens befassten Arbeitsteams.
Diese Blamage blieb im kleinen Ostland nicht ohne Konsequenzen. Der Chefkonstrukteur der aktuellen Serie der Leasing-Objekte wurde nach Kürzung von Körper-Extremitäten in die Kammer des Arbeitsmaterials eines wegen Zeitablaufs ohnehin schon zum Ausrangieren vorgesehenen Neutrinchens gestopft und auf eine programmierte Reise geschickt. Über einer Region des nördlichen Staatsnachbarn* des großen Westlandes wurde er aus der Arbeitsmaterialkammer gestoßen und das Neutrinchen kehrte um seine Last erleichtert heim. In einer großen Stadt des Staates fand eben ein Freilichtkonzert mit Klavier-Accompagnement statt, als auf dem Klavierkörper klirrend ein vom Himmel gefallenes Objekt zu liegen kam. Nun war man in der Region gewohnt, dass zuweilen tiefgefrorene Fischschwärme vom Himmel gefallen kamen, doch dieser seltsame Fisch mit einem annähernd Menschenkopf und Stummeln von Körperteilen ähnelnden Auswüchsen anstatt von Flossen war ihnen neu. Diese Besonderheit wurde in Glas gegossen und in das große Aquarium des Meeresbewohnermuseums gesenkt, wo sie von Besuchern aus aller Welt gebührend bewundert wurde, gewissermaßen ein „Meeres-Ötzi“*.
Die vorausbezahlte Leasinggebühr für das Neutrinchen wurde dem Prächtigen für die nächste Sendung gutgeschrieben, das Oberteil des untauglich Gewordenen dem Zarenreich zu günstigem Preis offeriert.

Das könnte ihnen auch gefallen :

Das galaktische Gottesreich

Robert Huber

Anekdoten und Schnurren

Weitere Bücher von diesem Autor

Das galaktische Gottesreich

Reinhold Tauber

Das Leben – Geschichten aus der Wirklichkeit

Das galaktische Gottesreich

Reinhold Tauber

Hilflos im Netz

Buchbewertung:
*Pflichtfelder