Schmetterlinge in Glenshire

Schmetterlinge in Glenshire

Franziska Wickihalder


EUR 21,90
EUR 17,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 308
ISBN: 978-3-99130-247-6
Erscheinungsdatum: 01.06.2023
Melissa bucht eine Reise nach Glenshire in Südamerika. Regelrecht magisch zieht sie das kleine Königreich an. Ihr Unterbewusstsein drängt Melissa. Da gibt der Monarch einen Ball, und sie lernt die Liebe ihres Lebens kennen: Dauphin Philippe.
Kapitel 1
In Glenshire, Südamerika

„Kolleginnen und Kollegen. Danke, dass ihr alle gekommen seid. Es wird langsam ernst. Unser König ist nicht mehr der Jüngste. Dieses Jahr werden wir sein 35‑jähriges Thronjubiläum sowie den 40. Hochzeitstag feiern. Wie wir aus sicheren Kreisen erfahren haben, macht er sich Gedanken über seine Abdankung. Diese Quelle hat uns ebenfalls bestätigt, dass die ersten Dossiers an den Dauphin übergeben worden sind. Ich fordere daher jeden von euch auf, sich Überlegungen zum weiteren Vorgehen zu machen. Uns bleiben 8 Jahre bis zum runden Geburtstag des Dauphins. Diese 8 Jahre werden schneller vorüber sein, als dass es uns lieb ist. Es wird zweifelsohne passieren bis dahin. Nichtsdestotrotz. Ich benötige Vorschläge! Wir müssen vorbereitet sein!“ Frank schaute in die Runde und ließ das Gesagte seiner Wirkung walten. Viele nickten zustimmend, andere schienen mit den Gedanken überall, nur nicht hier zu sein. Dann verließ er das Rednerpult und setzte sich zu seinen Kollegen und gönnte sich ein Glas Rotwein. Zufrieden war er mit der Reaktion der Gruppe nicht. Aber dies war er noch nie gewesen.

„Was guckst du dir da an?“ „Wie? Sorry, Roger. Ich war mit den Gedanken an einem anderen Ort.“ Verwirrt schaute ich auf den Bildschirm und dann zu Roger. Unbewusst war ich von der geplanten Jobsuche abgedriftet und hatte den Streamingdienst geöffnet. Auf meinem Laptop lief eine Dokumentation über irgendwelche Reiseziele. „Das ist mir aufgefallen. Daher streame ich auf dem TV. Ich will den Beitrag ebenfalls sehen. ‚Unbekannte Länder‘, so was gibt es?“ Roger saß schon auf dem Sofa und deutete mir an, mich neben ihn zu setzen. „Zudem, ganz so ernst waren deine Absichten mit der Stellensuche nicht, sonst hättest du nicht zum Streaming gewechselt. Daher komm.“ Eigentlich hatte ich keine Lust auf einen weiteren Abend vor dem TV. Noch weniger motivierend fand ich jedoch meine ursprüngliche Idee, die offenen Stellen in der Gegend anzuschauen. Einmal mehr hatte ich einen bescheidenen Tag bei der Arbeit erlebt und nahm mir vor, dieses Wochenende erneut die Jobbörsen zu kontaktieren. Seis drum. Ich setzte mich zu Roger, kuschelte mich an ihn und sah mir den Bericht an. Er war Feuer und Flamme. Ich hingegen schaute nur mit einem Auge hin. Die meisten der gezeigten Staaten waren mir nicht fremd, aber zugegeben, viel vermochte ich spontan nicht über sie zu sagen. Bhutan? Schon gehört, liegt im Himalaja zwischen Nepal, Bangladesch und Tibet. Suriname? Ebenfalls nicht unbekannt, hätte ich jedoch in Afrika und nicht in Südamerika gesucht. Mehrheitlich wurden Inseln gezeigt, hauptsächlich im Pazifik, wie z. B. Niuë, Palau oder die Antillen. Alles exotische Orte und beliebt, wenn man eine Briefkastenfirma aufzumachen plante. Ein Leben vor Ort war sicherlich kein Zuckerschlecken. Eine Industrie oder Tourismus gab es selten. Entsprechend hoch war die Armut auf diesen Inseln. So viel wusste ich durch den Job als Treuhänderin. Und dann wurde ich hellhörig. Meine Sinne waren angespannt, und meine ganze Konzentration galt der Dokumentation. Es wurde ein Land namens Glenshire vorgestellt. Als ich von dieser Nation zum ersten Mal hörte, wurde ich regelrecht magisch angezogen. Es hatte etwas Spezielles, ich wusste nur nicht, was es war. Zudem, noch nie von Glenshire gehört? So erging es Roger und mir ebenfalls. Und man beachte, es handelte sich dabei nicht um irgendeine Insel im Pazifik, sondern um einen Staat in Südamerika, am Rand der Anden, zwischen Chile und Argentinien. Für südamerikanische Verhältnisse winzig klein. Aber mit nicht 40 km2 doch zu Recht als Nationalstaat zu bezeichnen. Es lässt sich mit der Schweiz vergleichen. Flächenmäßig. Einwohner hat es nur halb so viele wie die Eidgenossen. Knapp 5 Millionen seien es bei der letzten Volkszählung zum Anlass des 35. Thronjubiläums des Königs diesen Frühling. Ich wurde hellhörig. Ein Königreich mitten in Südamerika, von dem ich noch nie etwas gehört oder gelesen hatte? Gespannt schaltete ich auf Vollbildmodus und verfolgte den Beitrag. Kurz nach der Gründung wurde die Monarchie eingeführt, und seither regierte die gleiche Königsdynastie, welche, wenn auch weit außen, mit der britischen verwandt sei. Es handle sich um die einzige Monarchie auf dem amerikanischen Kontinent. Meine Gedanken waren vollständig bei dieser Dokumentation. Die Jobsuche rutschte in der Prioritätenliste nach hinten. Während der Unabhängigkeitskriege in Südamerika schien dieser Teil der Erde übersehen worden zu sein. Rundherum wurden blutige Kriege geführt, und mittendrin lag dieses kleine Land, es wurde von einer Monarchie regiert und überstand alles schadlos. Vergessen von Spanien, vergessen von England und später vergessen oder ignoriert von Chile und Argentinien und bis heute: vergessen von der Welt. Mehr wurde in der Dokumentation leider nicht gesagt. Dann war die ganze Sendung vorbei, und Roger zappte umher. Mich ließ dieses Glenshire nicht los, und so setzte ich mich erneut an den Esstisch, nahm den Laptop und öffnete den Internetbrowser. Ich war erstaunt, was mir das Internet alles für Treffer anbot. Gelinde ausgedrückt: nichts.
Der Artikel bei Wikipedia war ebenfalls dürftig. Ich erfuhr nicht mehr, als schon in dem kurzen Beitrag in der Doku gesagt wurde, bis auf dass die Nationalsprache Englisch ist. Dies hatte mich doch etwas verwundert, da im TV jeder Einwohner, den sie gezeigt haben, Spanisch gesprochen hatte. Beim Eintrag gab es ein älteres Foto der Königsfamilie. Das Bild betrachtete ich nur oberflächlich. Mich faszinierten mehr Fakten. Der König hieß Alois Aite Breagha und war bereits 72, seine Ehefrau, Königin Arabella Aite Breagha, 65 Jahre alt, und gemeinsam hatten sie einen Sohn, den Thronfolger, Dauphin genannt, Philippe, er war aktuell 32.
„Kommst du auch ins Bett? Es ist kurz vor Mitternacht. Ich gehe nicht davon aus, dass du heute nach Hause fährst, oder?“ „Wie? Ja, nein. Sorry. Nein, ich bleibe hier, und ja – ich bin gleich so weit.“ Wenige Minuten später schnarchte Roger neben mir, während ich hellwach im Bett lag. Der Schlaf ließ lange auf sich warten, denn die Gedanken wanderten, ganz atypisch für mich, immer nach Glenshire. Ich war kein Reisetyp. Meinen Urlaub verbrachte ich jeweils zu Hause. Das höchste der Gefühle war ein Wellnesshotel im Schwarzwald oder in Tirol. Wozu auch verreisen? Alles, was ich brauchte, war ein gemütlicher Stuhl, eine kalte Cola und ein Buch. Zu Hause genoss ich dies, ohne dass ich mir mit nervigen Touristen in einem unpersönlichen Hotel im Weg stand. Um meine Gedankengänge zu verstehen, muss man einiges über mich wissen.

Ich wuchs, gut behütet, als Einzelkind auf. Meine Eltern vertraten die Ansicht, Leistungen müssten mit Extras belohnt werden. Dies hatte zur Folge, dass ich eine exzellente Schülerin war, denn ich wusste ganz genau, so bekam ich, was immer ich wollte. Diese Tochter wuchs zu einer egoistischen Teenagerin heran. Während des Studiums war ich eines der angesagtesten Mädels auf dem Campus, und mir gefiel dieser Status. Denn wer mit mir zu tun haben wollte, musste nach meiner Pfeife tanzen, und dies wollten erstaunlich viele. Da Vater und Mutter die Ausbildung finanzierten, genoss ich das Studentenleben in vollen Zügen – bis ich eines Tages ins Büro des Rektors gerufen wurde. Mit einem Schlag wurde ich ins wahre Leben katapultiert. Mir wurde offenbart, dass meine Eltern am Morgen bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Der Schulleiter versicherte mir zwar, für mich da zu sein. In Tat und Wahrheit war ich ab sofort alleine auf der Welt. Mutter hatte keine Geschwister mehr, ihr Bruder verstarb als Kind an Krebs. Vater hatte eine Schwester, zu der hatten wir jedoch nie Kontakt. Ich kannte sie nicht. Dies hieß für mich, zum ersten Mal musste ich Verantwortung übernehmen und mir Gedanken darüber machen, wie ich meinen Lebensunterhalt bestreiten würde. Sachen, mit denen ich mich bis Mitte 20 nie beschäftigte. Mit beidem wurde keine Freundschaft geschlossen. Ich suchte mir einen Job, das heißt, es waren innert kürzester Zeit einige Jobs, welche ich ausübte. Solange ich den legendären „Welpenschutz“ genoss, waren Firma und Arbeit in Ordnung. Sobald mir mehr Befugnisse übertragen wurden oder ich mich hätte ins Zeug legen müssen, um einen Auftrag entsprechend abzuschließen, schmiss ich den Job hin und suchte mir etwas Neues. Da die Stellen selten rund um den Wohnort lagen, wurde ich zur Nomadin und zog im ganzen Land umher. Vom Norden in den Osten, weiter in den Süden und dann in den Westen. Mit so vielen Umzügen ist es schwierig, einen Freundeskreis aufzubauen. Daher grenzt es fast an ein Wunder, dass ich seit 4 Monaten in einer Beziehung mit Roger lebte. Er arbeitete als Buchhalter in einer Firma, welche sich im gleichen Gebäude wie das Treuhandbüro, in dem ich tätig war, untergebracht war. So haben wir uns kennen- und mit der Zeit auch lieben gelernt.

Es war Samstag, und ich wachte kurz vor Mittag auf. Zumal der Schlaf erst in den Morgenstunden kam. Roger war längst beim Fußballtraining, und später würde er ein Turnier haben. So genoss ich die Einsamkeit der Wohnung und wunderte mich etwas über den Traum der vergangenen Nacht. Ich träumte davon, nach Glenshire gereist zu sein, und vor Ort hätte ich die beste Zeit meines Lebens gehabt. Irgendetwas an diesem Land ließ mir keine Ruhe, zumindest was mein Unterbewusstsein betraf. Auf dem Weg ins Bad kam ich am Spiegel im Korridor vorbei und blieb stehen. Ich betrachtete mich. Anfangs 30, Figur o. k. bis auf ein paar Problemzonen, die Größe war für eine Frau perfekt, haselnussbraunes, bis an die Ellbogen reichendes, leicht gewelltes Haar. Ich fand mich gut aussehend, jedoch etwas verbittert. Ich lebte zwar in einer Beziehung, doch glücklich war ich mit meinem Leben nicht.
Mit einer heißen Dusche versuchte ich, die düsteren Gedanken abzuschütteln. Es gelang mir, doch dann kehrten die Bilder aus der Dokumentation über Glenshire zurück. Daher beschloss ich, den Vorsatz, endlich aktiver zu sein und mein Dasein nicht zu vergeuden, in die Tat umzusetzen. Bis zum Jahreswechsel in 4 Monaten hatte ich noch 4 Wochen Urlaub übrig. So beschoss ich, das unbekannte Land kennenzulernen. Vorher würde ich keine Ruhe mehr finden, so viel war klar. Irgendetwas zog mich dahin, nur was war es? Mein Haar tropfte noch immer. Es war mir egal, einen schnellen Kaffee, und dann nahm ich den Bus ins Stadtzentrum und suchte ein Reisebüro, um eine 4‑wöchige Reise nach Glenshire zu buchen. Roger hatte mal wieder ein Turnier, und so würde ich das Wochenende alleine verbringen. Da er seine Freizeit verplante, wie es ihm gefiel, machte ich es genauso. Nur mit dem Unterschied, er war 2 Tage abwesend, ich würde einen ganzen Monat unterwegs sein.

„Es tut mir leid, Frau Taubert, aber ich kann nirgends einen Ort namens Glenshire ausfindig machen. Ich habe zuerst in Großbritannien gesucht, anschließend in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland. Ich finde nichts. Sind Sie sicher, dass es sich um einen Ort und nicht einen Stadtteil handelt?“ Die Dame riss mich aus meinen Gedanken. Ihre Brille war ihr während der mühsamen Suche in diversen Systemen auf die Nase gerutscht. Besserwisserisch, wie ich halt war, antwortete ich schnippisch: „Es ist weder ein Ort noch ein Stadtteil, sondern ein Land. Die Hauptstadt heißt Luklana. Suchen Sie in Südamerika.“ Die Dame sah mich ungläubig über den Rand ihrer Brillengläser an und fing wieder an zu tippen. Doch dann sah ich, wie sie erstaunt die Augenbrauen hob. „Tatsächlich, ich habe etwas gefunden. Kaum zu glauben. Von diesem Land habe ich noch nie gehört und arbeite schon über 20 Jahre in dieser Branche.“ Die Dame fand einen Flughafen in Glenshire. Man kam nur via Chile oder Argentinien hin. Pro Woche gab es eine Verbindung von Santiago de Chile und eine von Córdoba in Argentinien. Ansonsten existierten 2 Bahnlinien ins Ausland sowie diverse Straßenverbindungen. Ich entschied mich für eine Flugreise via Santiago. Zugfahren war gar nicht meins, zu lange und zu ungemütlich, und in einem fremden Land traute ich mich nicht gleich hinter das Steuer. Ich gab die Zustimmung zur Buchung und fühlte eine gewisse Nervosität und Vorfreude in mir hochsteigen. Meine erste Flugreise, und diese würde ans andere Ende der Welt führen. Spanisch sprach und verstand ich, in der Theorie. Im praktischen Gebrauch konnte noch keine Erfahrung vorgewiesen werden. Während der Ausbildung besuchte ich einen Spanischkurs. Im Alltag wurde Spanisch selten bis nie benötigt. Daher wusste ich nicht, was noch alles präsent war. Das Reiseziel hieß aber auch nicht Chile, sondern sein Nachbar, und dort sprach man Englisch, wie ich gestern gelernt hatte. Ein kleiner Dämpfer meiner Freude und Zuversicht folgte sogleich, als mir die Dame weder in Luklana noch in Glenshire ein Hotel oder eine Pension reservieren konnte. Keine der Applikationen der Reiseveranstalter ergab irgendwelche Treffer bei der Suche nach einer Unterkunft. Es gab von der Fluglinie allerdings den Hinweis, Übernachtungsmöglichkeiten könnten an der Information am Flughafen Santiago de Chile oder Córdoba gebucht werden. So blieb mir nichts anderes übrig, als mit viel Vertrauen um die halbe Welt zu fliegen, um dort erst ein Quartier im Zielland zu finden. Die Dame im Reisebüro versicherte mir, sollte es am Flugschalter nicht möglich sein, ein Zimmer zu buchen, gäbe es die Alternative, den Weiterflug nach Luklana vor Ort zu stornieren. Dort könne ich mich auch an die Reiseleitung oder Botschaft wenden, es würde mir geholfen werden, ein Hotel in Santiago zu finden sowie den Flug entsprechend umzubuchen. Dies war beruhigend, und so besuchte ich auf dem Heimweg das Passbüro, um meinen ersten Reisepass überhaupt zu beantragen. Wieder zurück in der Wohnung schrieb ich eine Liste mit Angelegenheiten, welche vor Abreise zu erledigen waren. Wie zum Beispiel die Versicherung betreffend Auslandsreisen zu kontrollieren, die Gültigkeit der Kreditkarte zu prüfen oder einen Reisekoffer zu besorgen. Ich war erfahren, was das Kistenpacken anging, nicht aber in Bezug auf Ferienreisen ins Ausland.
Am Abend traf ich Roger und ein paar Kumpels vor einer Bar. Voller Freude offenbarte ich ihm, was am Morgen gebucht wurde. Sagen wir mal so, er war mäßig begeistert. Da er praktisch keinen Urlaub mehr hatte, bis Ende des Jahres, bestand keinerlei Möglichkeit, mich zu begleiten. Dies war, auch wenn ich es ihm gegenüber nicht zugab, meine volle Absicht. Ich war mir nicht sicher, wie es in unserer Beziehung weitergehen sollte, und daher sah ich in der Reise die Chance, den Status nochmals zu überdenken und gegebenenfalls nach der Rückkehr anzupassen.

Ein paar Wochen später war es endlich so weit. Mein Reisepass kam einige Tage, bevor die Reise losging. Am besagten Tag fuhr ich mit dem Taxi zum Flughafen. Vor lauter Nevosität konnte ich kaum stillsitzen, und die Fahrt kam mir ewig vor, auch wenn es nur 15 km ohne Stau waren. Bis zum Abflug nach Madrid hatte ich noch 2 Stunden Zeit. Sobald wir gelandet waren, hieß es, sich beeilen. Mir blieben 90 Minuten, und ich hatte keine Ahnung, wie weiter. Musste das Gepäck entgegengenommen und neu eingecheckt werden? Beim Abflug konnte mir niemand eine Antwort darauf geben. Mir war wieder bewusst, warum ich Ferien zu Hause so mochte. Nach einer Flugreise bräuchte ich mindestens eine Woche Erholung von diesem Stress. Es klappte alles. Das Gepäck wurde automatisch zum Anschlussflug gebracht. Der Flug Madrid–Santiago war mit 13 ½ Stunden der längste dieser 3‑teiligen Reise. Ich hatte nur 3 Bücher eingepackt, diese mussten für die Hin- und Rückreise reichen. Niemand sagte mir, dass im Flieger Filme gezeigt würden. Somit waren die Sorgen unbegründet, und die Zeit verging, sprichwörtlich, wie im Flug. Das Flugzeug landete in Santiago, und ich erhaschte zum ersten Mal einen Blick von Südamerika. Was ich in der ganzen Aufregung um meine Reise vergessen oder besser gesagt nicht bewusst wahrgenommen hatte, war der Zeitunterschied. Das Essen im Flieger war, sagen wir mal, bescheiden, und so hatte ich Hunger, es war für mich Mittagszeit. Hier erwachte das Leben erst langsam, und so ziemlich alle Restaurants und Kioske am Flughafen waren noch geschlossen. Bis ich mich orientiert, den Koffer vom Band gehievt und die Immigration hinter mich gebracht hatte, waren die ersten Imbisse offen, und ich gönnte mir ein kleines Frühstück. Mein Spanisch schien so weit verständlich, als dass ich effektiv bekam, was ich gedachte zu bestellen. Gesättigt suchte ich den Touristservice. Noch benötigte ich eine Übernachtungsmöglichkeit in Glenshire. Bevor ich es richtig realisierte, waren die ersten 2 von insgesamt 6 Stunden Aufenthalt bereits vorüber. Dann begann der Stress. Die Dame der Airline, mit der ich angereist war, meinte, der Touristservice sei im andern Terminal. Also machte ich mich auf den Weg dahin, um dort zu erfahren, dass ich ganz falsch sei und die Unterkünfte im Terminal, wo ich ankam, gebucht werden müssten. So hieß es, alles wieder zurück. Immer mit dem Koffer im Schlepptau und durch sämtliche Sicherheitskontrollen. Bei der besagten Information erfuhr ich dann, Hotels in Glenshire könnten nur direkt am Desk der entsprechenden Fluglinie gebucht werden. So suchte ich das Check-in der „Glen-Air“ auf und endlich: Der freundliche Herr checkte mich zuerst auf den Flug ein, nahm mir meinen Koffer ab und reservierte mir ein Zimmer in einer kleinen Pension inmitten der Altstadt von Luklana. Vom Flughafen zur Unterkunft könne ich vor Ort ein Taxi nehmen, versicherte mir der Herr zudem. Nun musste ich nur noch 2 Stunden vor dem Gate totschlagen. Ich war so was von nervös und gleichzeitig auch müde. Aus purer Angst, einzuschlafen, trank ich einen Espresso nach dem anderen, und dies, obwohl ich Kaffee gar nicht so sehr mochte. Auf dem Weg zu einem meiner vielen Toilettenbesuche kam ich an einem Bücherkiosk vorbei, der ein Buch über Glenshire anpries. Genau, was ich in den letzten Wochen immer gesucht hatte! Mit einer weiteren Tasse Kaffee in der Hand setzte ich mich auf einen der Sitzplätze vor dem Gate, begann gespannt zu lesen und brachte Folgendes in Erfahrung: Luklana, die Hauptstadt von Glenshire, hatte knapp 1 Mio. Einwohner und war mit Abstand die größte Stadt des Landes. Alles floss hier zusammen. Ähnlich wie früher in Paris, oder wie schon die alten Römer sagten: Alle Wege führen nach Rom. Oder eben hier: Alle Wege führen nach Luklana. Es ist, wie ich damals in der Dokumentation erfahren hatte, eine Monarchie. Der König regiert nicht nur sinnbildlich, sondern ist das politische Staatsoberhaupt. Gleichzeitig existiert ein vom Volk gewähltes Parlament. Der König ist der ‚Parlamentsvorsitzende‘ und hat somit das letzte Wort. Glenshire ist ein stolzes und modernes Land, gleichzeitig sehr darauf bedacht, nicht beachtet zu werden im Weltgeschehen. Es besitzt auf jedem Kontinent nur eine Botschaft oder ein Konsulat und ist weder bei der UNO noch sonst wo ein Mitglied. Ihr Motto ist: möglichst nicht aufzufallen, um so in Ruhe gelassen zu werden. Nun, soweit ich es beurteilen konnte, ist ihnen dies bis jetzt sehr gut gelungen, denn egal wo ich Glenshire erwähnte: Niemand hatte bisher etwas von diesem Land gehört. Jemand tippte mir auf die Schulter und sprach mich auf Spanisch an: „Entschuldigung, Señora, fliegen Sie nach Luklana? Nur, weil Sie ein Buch über Glenshire lesen. Das Boarding ist schon fast abgeschlossen.“ Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und schaute in das Gesicht einer älteren Dame, welche mich soeben vor meinem Albtraum gerettet hatte. „Ja, vielen Dank für den Hinweis. Ich war so in die Lektüre vertieft, dass ich den Aufruf zum Boarding gar nicht mitbekommen habe“, antwortete ich ihr erleichtert und total außer Atem, da ich kurzzeitig in Panik geriet. Sie meinte lächelnd: „Ach, schon gut. Ich dachte nur, da Sie das Buch meines Mannes lesen, reisen Sie eventuell nach Glenshire, und wir möchten doch nicht, dass unsere Gäste den Flug verpassen. Zudem wird das Buch meiner Heimat absolut nicht gerecht, sie ist in Wirklichkeit noch viel schöner und spannender. Gerade jetzt, wo wir Frühling haben und alles blüht und duftet.“ Wie toll ist das denn? Ich habe soeben meine erste Bewohnerin von Glenshire kennengelernt, und sie ist gleich noch die Frau des Buchautors. Während wir zusammen in den Flieger stiegen, plauderten wir, und sie erzählte mir einiges über ihre Heimat. Ich konnte es kaum erwarten, endlich in Glenshire anzukommen.
Wie die Dame aus dem Flugzeug mir schon gesagt hatte, in Glenshire fing der Sommer an. Viel sah ich noch nicht davon, denn es war bereits dunkel, als wir ankamen. In der Luft lag der Duft eines warmen Tages, der sich langsam davonschlich, um der Kühle der Nacht Platz zu machen. Mit dem Taxi fuhr ich vom Flughafen zur Pension „Ses McDonovan“. Die Fahrt dauerte knapp 30 Minuten und führte durch eine einsame Gegend. Erst als wir an die Stadtgrenze kamen, herrschte eine gewisse Lebendigkeit in den Straßen. Die Leute waren trotz der Kühle und Dunkelheit draußen unterwegs. Links und rechts säumten altmodische Laternen den Straßenrand. In ihrem Schimmer konnte ich viele Bäume entlang des Weges ausmachen. Die Häuser dahinter schienen aus Stein zu sein. Diverse Leuchtreklamen über den Schaufenstern verrieten mir, dass praktisch jedes Gebäude im Erdgeschoss ein Geschäft beherbergte. Der Fahrer hielt vor einem alleinstehenden 3‑stöckigen Fachwerkhaus. Das Schild neben der Tür wies in großen Lettern auf den Namen hin: „Ses McDonovan“. Ich war in meinem Hotel angekommen. Die Besitzerin Elise begrüßte mich herzlich und führte mich in einen Raum, der als Rezeption, Speisesaal sowie Gemeinschaftsraum diente. In der rechten Ecke stand ein Pult mit Computer und zwei Sesseln davor, links davon eine bequem aussehende Polstergruppe mit niedrigem Couchtisch. Daneben war ein kleines Büchergestell platziert worden. Der hintere Teil des Raumes war mit einigen Esstischen und Stühlen vollgestellt. Dort wurde, so schien es, das Frühstück serviert. Elise erklärte mir alles, verstanden habe ich jedoch fast nichts. Zuerst wusste ich nicht, ob es an meiner Müdigkeit oder an ihrem Akzent lag. Das Englisch in Glenshire erinnerte mich sehr an die Akzente Nordschottlands, und für ungeübte Ohren war dieser fast nicht zu verstehen. Ich hoffte, dass ich mich schnell an die Aussprache gewöhnen würde, denn sonst würde es ein einsamer und harter Urlaub werden. Irgendwie verstanden wir uns dann doch, und ich konnte das Zimmer mit Blick auf die Hauptstraße raus beziehen. Nach der Reise war ich zu müde, um meine Aussicht zu studieren. Es war ja schon 22 Uhr, und ich hatte eine über 24 Stunden andauernde Reise sowie eine Zeitverschiebung von 6 Stunden hinter mir. So beschloss ich, eine Dusche zu nehmen und das nächstgelegene Pub aufzusuchen, um etwas zu essen und mich dann ins Bett zu legen und einfach glücklich zu sein.

5 Sterne
Schmetterlinge in Glenshire - 03.11.2023
Erich

Die Neuautorin hat den einen ausgeglichenen Pfad zwischen Liebes-, Fantasie- und Kriminalroman gewählt und es scheint so, als wäre die Geschichte noch nicht zu Ende. Ich bin gespannt, was Franziska Wickihalder in Zukunft schreibt.

5 Sterne
Schmetterlinge in Glenshire - 29.08.2023
Doris Walker

Sehr gut Geschrieben! Hat mir sehr gefallen beim Lesen, nicht zu langweilig!

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