Blickwinkel - Ankunft & Aufbruch

Blickwinkel - Ankunft & Aufbruch

Cathrin Tebarth


EUR 13,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 64
ISBN: 978-3-95840-132-7
Erscheinungsdatum: 08.09.2016
Skurrile Begegnungen und Schicksale am Flughafen, Einblicke in den Alltag und die Flucht aus demselben, Beobachtungen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln … all das kommt in Cathrin Tebarths Novelle, Kurzgeschichten und Gedichten zusammen.
Für Christian, der mich inspiriert hat,
wieder zu schreiben




Arrival


Von jeher war ich fasziniert von dieser Atmosphäre.
Abflüge in die Freiheit – manchmal für immer. Verabschiedungen, Tränen der Wiedersehensfreude. Mit einem Wort – das pure Leben auf einem Terrain von wenigen Quadratmetern. Der Hauch von Freiheit, Schweiß, Liebe und Erwartungen, geballt in einem Gebäude.
Der Flughafen – für mich der spannendste Ort menschlicher Begegnungen.
Ich erinnere mich noch ganz genau an meinen ersten Aufenthalt. Im Alter von zehn Jahren flog ich mit meiner Familie nach Mallorca. Ja, weiß Gott nicht das spannendste Ziel, aber das war unwesentlich. Selbst der Flug, den ich als angenehm, ja, sogar beruhigend empfand, war nicht das, was mich so beeindruckt hatte. Nein, es waren die zwei Stunden, mitten in der Nacht, die ich erleben durfte in diesem Mikrokosmos der Begegnung und Anekdoten des Schicksals.
Wir saßen in einem der überteuerten Cafés des Abflugterminals und warteten dort aufs Boarding. Neben uns unterhielten sich zwei Männer in einer mir fremden Sprache. Sie waren dunkelhäutig und trugen lange, tunikaartige Gewänder. Ihre Sprache und ihr Geruch waren exotisch und machten mich neugierig. Ich überlegte mir, woher sie wohl kämen, und machte sie in meiner kindlichen Fantasie kurzerhand zu Kalif Storch und seinem Begleiter.
Dreißig Jahre und unzählige Flugreisen quer über den Globus später bin ich mehr denn je neugierig auf das, was mich erwartet, sobald ich einen Flughafen betrete.
Nun sitze ich wieder in einem Sessel dieser überteuerten Cafés der Arrival-Lounge.
Vor mir ein Milchkaffee.
Draußen scheint die Oktobersonne in ihrem charmantesten Gold.
Neben mir auf dem Boden liegt mein Handy, verbunden mit dem Anschlusskabel, das ich mit der Steckdose am Fußboden verbinden konnte. Gut – diese Möglichkeit.
Natürlich bin ich viel zu früh, die Maschine landet erst in zwei Stunden. Aber das habe ich bewusst entschieden.
Schließlich gibt es nichts Vergleichbares mit der Vorfreude und selbstverständlich nichts Spannenderes, als hier zu sein.
Ich ziehe zwei Zahnstocher aus dem silbernen Gefäß, das neben der Menükarte auf meinem Tischchen steht.
Er wird sich darüber freuen. Er ist verrückt nach Zahnstochern.
Die Luft riecht nach Nelke und Chanel Nr. 5, was an meiner Tischnachbarin liegt. Eine ca. fünfzigjährige Frau, die aus dem Orient stammt.
Ihre Augen sind tiefschwarz und voller Glanz, als sie mich anlächelt. Ich lächle zurück und frage mich, auf wen sie wohl wartet. Plötzlich strahlt sie noch mehr als zuvor und springt auf. Ich schaue ihr nach, wie sie mit zielstrebigen Schritten Richtung Schiebetür läuft.
Die Tür, aus der nacheinander immer wieder kleine Grüppchen der Ankommenden schreiten. Sie breitet ihre Arme aus und ihr Lachen und Schluchzen durchströmt den gesamten Arrival-Bereich. Mittlerweile bin ich wohl nicht mehr der einzige Mensch, der zu ihr hinüberschaut. Die alte Frau, die wahrscheinlich die neunzig überschritten hat und von ihr umarmt und gedrückt wird, verfällt ebenfalls in ein wahres Freudengeschrei. Ich tippe auf Mutter und Tochter und freue mich an dieser Wiedersehensfreude. Die beiden stehen noch minutenlang fest umschlungen, da brummt plötzlich mein Handy.
Huhu – habe Verspätung. Der Anschlussflug in Paris geht erst in zwanzig Minuten. – Bin total fertig – freue mich auf dich. –
Ich schreibe schnell zurück:
Macht nichts. Ruhe dich aus – vielleicht kannst du ja etwas schlafen. Freu mich auch auf dich, so sehr.
Ich bezahle und verlasse den Flughafen für eine kleine Pause. Draußen an der kühlen, klaren Herbstluft stecke ich mir eine Zigarette an. Der richtige Moment, um eine zu rauchen. Nach einigen Zügen kommt ein Mann auf mich zu. Er sieht älter aus, als er vermutlich ist. Tiefe Falten um die Mundwinkel und ein zynischer Blick. Er versucht, höflich zu sein, als er mich um Feuer bittet, aber er wirkt aalglatt. Ich reiche ihm mein Feuerzeug und komme nicht umhin, zu bemerken, dass seinen Hosenstall geöffnet ist. Frappierend dieser Kontrast zu seinem makellosen Outfit. Der Anzug armani-teuer, die Krawatte vor lauter Seide protzig und die Schuhe garantiert handgenäht. Gierig inhaliert er den Rauch. Dann drückt er die halb aufgerauchte Zigarette in den Aschenbecher, als wenn er seinen ganzen Frust mit ihr ausdrücken wolle. Ich schaue auf den Boden und versuche, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Doch ich kann nicht überhören, was nun passiert. Er telefoniert.
„Hallo Schatz. Fliege gleich ab – ja, den schwarzen Anzug habe ich dabei. Ja, das Meeting beginnt in vier Stunden. Melde mich dann morgen, wenn es zeitlich passt. Grüß die Kinder lieb. Ja – ja, ich auch.“
Ich blicke auf und mein Blick streift seinen für einen kurzen Moment. Mit der rechten Hand fährt er durch sein schütteres Haar, dann streift er seine Krawatte ab und steckt sein Handy in die Hosentasche. Er geht wieder hinein. Er hinterlässt einen Geruch von nervösem Schweiß. Ich folge ihm.
Wieder drinnen in der Ankunftshalle hab ich ihn jedoch verloren. Wohin kann er so schnell verschwunden sein?
Meine Augen erblicken das WC-Zeichen und meine Blase sagt mir, das wäre jetzt eine gute Idee.
Ich betrete also den zweiten Mikrokosmos, denn die Damentoilette des Flughafens ist wirklich noch mal eine Welt für sich. Nirgendwo sonst schauen sich die Frauen genauer im Spiegel an, richten, ungeniert aller Beobachter, länger ihr Haar oder ziehen den Lippenstift nach. Sei es, weil sie dem Tod beim Absturz mit letzter Würde oder dem Beginn ihrer Reise oder eben dem Menschen, den sie abholen, mit möglichst graziler Weiblichkeit begegnen wollen. Mitunter habe ich schon beobachtet, wie Frau sich komplett umgezogen hat, da das Reiseziel zwanzig Grad wärmer oder der Anzutreffende zwanzig Jahre jünger war. Ich verlasse erleichtert die Toilette und bewege mich Richtung Waschraum. Während ich die Seifenspendertaste drücke, erblicke ich im Spiegel ein Lächeln.
Die Frau, der dieses Lächeln gehört, ist die Toilettenfrau. Sie sitzt auf einem Hocker und strahlt mich an. Ihre Gestalt, die eher kräftig ist, und ihr dunkle Haut erinnern mich an die Großmutter meiner besten Freundin. Ich lache zurück und bewege meinen Kopf zu einem höflichen Gruß. Ihre Haare sind hochgesteckt und ihre Hände ruhen in Bethaltung auf ihrem Schoß. Ich hole meinen Lippenstift aus meiner Handtasche und beginne, ihn neu aufzutragen.
„Sie sind schön genug, meine Liebe.“
Nun drehe ich mich zu ihr um. Ich schließe die Augen für einen Moment, wie ich es immer tue, wenn ich auf mein Aussehen angesprochen werde. Es passiert mir immer wieder. Ja, natürlich ist es besser, als nicht wahrgenommen zu werden, aber es macht mich verlegen, weil mir anderes viel wichtiger ist. Ich blicke kurz zu Boden, dann wieder auf sie.
„Danke. Wenn Sie meinen!“ Ich lächle sie an. Dann zwinkert sie mir zu.
„Auf welche besondere Person warten Sie denn nun schon so lange?“ Sie fängt an, aus tiefster Brust zu lachen, und ich muss automatisch mitlachen.
„Woher wissen Sie …?“
„Nun ja – Liebe – Sie waren vor einer Stunde schon mal hier drin, das kommt eher selten vor bei den Abholern.“
Ich blicke verlegen zur Seite.
„Außerdem strahlen Sie so!“
„Hm – und Sie auch.“
Ich lege ihr eine Zweieuromünze auf ihren Teller. Da legt sie ihre Hand auf meine.
„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!“
„Danke! Ihnen auch!“
Ich drehe mich um und will den Raum verlassen, aber plötzlich halte ich inne und drehe mich zu ihr. Ohne groß nachzudenken, frage ich sie:
„Wieso arbeiten Sie hier?“
Sie schaut mich an, ganz tief und lange. Ich warte auf ihre Antwort. Gerade, als ich mich frage, wieso ich ihr diese Frage gestellt habe, antwortet sie:
„Ich wollte in einem Raum arbeiten, in dem ich sicher sein kann, dass kein Mann ihn je betreten wird.“
Nun sehen ihre Augen tief und verloren aus.
Ich verstehe sofort und gehe unverwandt zu ihr. Ich nehme ihre Hand und halte sie einen Moment. Dann lasse ich langsam los und nicke ihr zu. Nun verlasse ich den Raum.
Langsam schlendere ich Richtung Proseccobar. Das ist jetzt wohl genau das Richtige.
An der ovalförmigen Bar im Retrostil sitzen fast ausschließlich Geschäftsleute. Aktentaschen, Handys, Laptops und genervte Blicke schmücken das Feld. Das Licht über der Theke schimmert pink und versetzt schon am Nachmittag in Abendstimmung. Mein Aufenthalt hier wird nur von kurzer Dauer sein – aber ein Prosecco tut mir jetzt gut. Also setze ich mich an die Bar und warte, bis der Typ dahinter mich um meine Bestellung bittet.
„Einen Prosecco bitte – ach, und haben Sie vielleicht Oliven?“
„Nein, da muss ich leider passen. Aber Erdnüsse könnte ich Ihnen bringen.“
Der Mann, der mir dies mit einem etwas lausbübischen Lächeln anbietet, ist vermutlich Anfang dreißig. Seine Stirn glänzt ein wenig und ich registriere sofort, dass er Maskara benutzt.
„Nein! Vielen Dank. Oliven wären jetzt fantastisch gewesen. Aber nicht weiter schlimm.“
Ich blicke mich um und schaue auf die große Anzeigetafel. Noch 1,5 Stunden, dann landet Flug 4U9451.
Während ich meinen Rock glatt streiche, wird mein Prosecco serviert.
„Prösterchen!“
„Vielen Dank!“
Ich trinke einen Schluck und schließe die Augen für einen kurzen Moment. Da nehme ich wieder diesen Geruch von vorhin war. Ein süßlicher Schweißgeruch. Als ich die Augen öffne, blicke ich meinen Rauchgesellschafter von eben an.
Er sitzt mir gegenüber an der anderen Seite der Bar. Hatte er nicht zu seiner Frau gesagt, er würde gleich abfliegen? Was sucht er dann hier im Arrival-Bereich?
Die Antwort gibt mir seine Sitznachbarin. Eine blutjunge Stewardess. Ihre Uniform sitzt knalleng und ihr Dekolleté ist von eher prominenter Natur. Sie sitzt fast auf seinem Schoß und flüstert immer wieder in sein Ohr. Ich trinke den zweiten Schluck aus meinem Glas und blicke auf mein Handy. (Das würdest du lieben, Spatzerl. Du verpasst gerade etwas!)
Noch einmal schaue ich hinüber und merke nun, was es ist, das mich gerade so in den Bann zieht.
Es ist die Metamorphose dieses Mannes. Vor einer halben Stunde wirkte er noch alt und verbissen. Ein unsympathischer Bürotyp. Aber jetzt, wo er da sitzt neben seinem Jungbrunnen, da wirkt sein Gesicht entspannt und das Glucksen seines verspielten Auflachens nach jeder neuen Ohrbotschaft macht ihn fast sympathisch.
Ein unsanfter Schubser an meiner Schulter entlässt mich aus meinen Gedanken.
„Oh – Entschuldigung, gnädige Frau.“
Ein älterer Mann mit Schnauzbart grinst mich etwas unbeholfen an.
„Schon gut – nichts passiert!“
Er setzt sich auf den Hocker neben mir und bestellt sofort ein Bier. Der Barkeeper begrüßt ihn recht vertraut und schaut dann etwas mitleidig auf mich. Ich fange an, mit meinem Armband zu spielen. Meinem Nachbarn wird sein Wunsch serviert. Er trinkt das Glas in wenigen Sekunden leer. Sein Geruch ist unangenehm und ich sehe, dass seine Hände zittern, als er das leere Glas auf den Tresen stellt.
„Ein herrlicher Oktobertag heute, nicht wahr?“
Oh nein! Kein Small Talk jetzt – da steht mir nicht der Sinn nach.
„Ja, das stimmt!“
Ich frage den Barkeeper, ob es in Ordnung sei, das Glas mit nach draußen zu nehmen. Eine weitere Zigarette wäre jetzt nicht schlecht. Er nickt mir verständnisvoll zu und entlässt mich aus der Situation. Die Sonne steht nun schon ziemlich tief. Nicht mehr lange und es wird dämmern. Ich krame meine Schachtel aus der Handtasche und suche nach meinem Feuerzeug.
„Darf ich Ihnen aushelfen?“
„Ja, danke! Ich finde nie etwas in meiner Tasche. Zumindest kann es dauern!“
Ich lasse mir Feuer geben und inhaliere. Gewöhnlich rauche ich nicht, aber in Sommernächten, am Meer und vor allem am Flughafen ist es anders. Der freundliche Mann, der mit mir raucht, trägt eine rote Brille und eine schwarze Baskenmütze. Er hat ein kleines Bäuchlein, aber er sieht trotzdem gut aus.
Ein schwarzer Mantel – etwas zu warm für diese Jahreszeit – und ein grauer Schal schmücken ihn. Er hält die Zigarette weit von sich, als hätte er eigentlich Angst vor ihr.
Er ist mir sofort sympathisch. Nun fragt er mich lächelnd:
„Ist es nicht immer wieder aufregend, jemanden abzuholen?“
Ich blicke ihn an und muss herzlich lachen.
„Ja und wie. Ich liebe es!“
Er steigt ein ins Lachen und plötzlich können wir gar nicht mehr aufhören.
„Ah – verrückt, beim Rauchen trifft man die nettesten Menschen – darf ich mich vorstellen – mein Name ist Valentin!“
„Welch schöner Name, ich heiße Antonia. Meine Freunde nennen mich Toni!“
Ich muss noch einmal auflachen. Ich mag diesen Kerl. Ich mag seine offene und freundliche Art. Er darf so mit mir sprechen, habe ich gerade entschieden.
„Hm, sagen wir mal, ein sehr lieber, besonderer Freund.“
Er schaut mich direkt an und seine kleinen, blauen Augen, von unzähligen Lachfalten umrandet, blitzen auf.
„Schön – wie schön!“
„Und wie steht es bei Ihnen, Valentin?“
Jetzt blickt er etwas nervös zur Seite und dann fasst er sich an seinen grauen Dreitagebart.
„Ach – das ist eine sehr lange Geschichte.“
„Ich verstehe!“
„Hast du noch Zeit? Ich meine, ich muss noch drei Stunden warten, bis er ankommt. Bin schon tierisch aufgeregt … also, falls du noch Zeit hast?“
Ich bin erstaunt. Da wartet jemand ja noch länger als ich.
Mein Interesse ist geweckt. Wieder muss ich herzlich lachen.
„Wie schön. Bin ich ja doch nicht die Einzige, die sich hier stundenlang aufhält. Ich liebe alle Geschichten und ja, ich habe noch Zeit!“
„Supi – sollen wir einen Kaffee trinken gehen?“
„Ja, sehr gerne!“
Wir drücken unsere Zigaretten im Aschenbecher aus und betreten wieder das Gebäude des Flughafens.
„Sollen wir in das kleine Café neben der Buchhandlung gehen? Die haben so leckere Sandwiches. Ich habe ehrlich gesagt etwas Hunger!“
„Ja, gerne – etwas zu essen kann nicht schaden!“
Also laufen wir Richtung Buchhandlung. Vielmehr rennen wir, da Valentin ein ziemliches Tempo vorgibt. Plötzlich bleibt er vor einer Herrenboutique stehen.
„Schau mal – ist das nicht ein cooler Schal! Ich überlege die ganze Zeit, ob ich ihn mir gönnen soll!?“
Ich schaue auf die Schaufensterpuppe. Blaues Sakko und knallgelber Schal. Der Schal ist bedruckt mit kleinen grauen Vögeln. Sieht echt gut aus.
„Valentin – er würde dir gut stehen. Was überlegst du noch?“
Er strahlt mich an und nimmt meine Hand. Ein angedeuteter Handkuss folgt.
„Meine Liebe – einen Moment bitte. Bin sofort wieder zurück.“
Zwei Sekunden später ist er im Laden verschwunden. Ich beobachte ihn, wie er der Verkäuferin per Handzeichen zu verstehen gibt, dass er gerne den Schal aus dem Schaufenster hätte. Diese entkleidet die Puppe und läuft zurück zur Kasse. Er zückt seine Karte und kann es kaum abwarten, bis sie ihm das Objekt der Begierde aushändigt. Dann ist er auch schon wieder draußen.
„Ach, herrlich – manchmal braucht man einen Anschubser. Jetzt hast du dir aber wirklich einen Kaffee verdient. Danke fürs Warten.“
Ich lache und freue mich auf seine Geschichte. Wir betreten das kleine Café hinter der Buchhandlung. In der Ecke am Fenster ist noch ein Zweiertisch frei. Ich liebe Plätze in der Ecke – da hat man den besten Blick auf das Geschehen. Aber nun ist meine ganze Aufmerksamkeit auf mein Gegenüber konzentriert.
„Also – bin ganz Ohr. Auf wen wartest du?“
Valentin legt seine Mütze ab. Darunter findet sich zwar kein Haar mehr, aber das schadet ihm nicht. Er lächelt etwas verlegen und dann wird sein Blick traurig.
„Eigentlich warte ich schon seit 32 Jahren.“
Die Kellnerin kommt und fragt, was wir wünschen.
„Zwei Milchkaffee und zwei Croissants – richtig?“
Ich warte auf sein Nicken, und nachdem es kommt, nicke auch ich noch mal zur Kellnerin.
„Genau mein Flavour – lustig!“
„Also 32 Jahre sind eine lange Zeit!“
Er schaut mich an und seine Augen werden etwas feucht.
„Ja, aber es hat sich gelohnt. Vor 32 Jahren habe ich eine Zeit lang auf Sizilien gearbeitet. Ein Job in den Semesterferien. Da habe ich ihn kennengelernt. Er war Postboote und brachte jeden Morgen die Post in die kleine Trattoria, in der ich gekellnert habe. Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick.“
Der Kaffee und die Croissants werden serviert. Ich blicke auf zur Kellnerin und bedanke mich, dann bin ich wieder ganz bei meinem Gegenüber.
„Er war verheiratet. Jeden Tag sprachen wir miteinander. Er zeigte mir Bilder von seiner Frau und seinem kleinen Sohn. Aber ich konnte nicht mehr zurück. Es war einfach um mich geschehen. Der Höhepunkt des Tages war der Moment, wenn er unsere Trattoria betrat, und danach wäre ich am liebsten wieder in mein Bett gekrochen, um auf den nächsten Tag zu warten. Kennst du das?“

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